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Ein Unfallwagen in Berlin.

© IMAGO/Jürgen Ritter

Unfallbilanz der Berliner Polizei : „Autofahrer drängeln, Radfahrer schimpfen, jeder will der Schnellste sein“

Die Aggressivität im Verkehr steigt, die Zahl der Unfälle ebenso. Doch die Zahl der Getöteten ist so niedrig wie noch nie: 33 Menschen starben 2023, darunter zwölf Radfahrer und elf Fußgänger.

Gute Nachrichten hatte Polizeivizepräsident Marco Langner mehrere zu verkünden: Die Zahl der Verkehrstoten ist mit 33 auf einen historischen Tiefstand gesunken. Kein Kind starb im Verkehr, die Zahl der Schwerverletzten sank ebenfalls. 1991 hatte es im wiedervereinigten Berlin 198 Verkehrstote gegeben. Weniger erfreulich ist Langners Einschätzung der Stimmung auf den Straßen. Die Aggressivität sei seiner Beobachtung nach gestiegen, und zwar bei allen Verkehrsteilnehmern: „Autofahrer drängeln sich noch rein, Radfahrer schimpfen, jeder will der Schnellste sein.“

Insgesamt habe der Verkehr in Berlin zugenommen, sagte Langner am Montag bei der Vorstellung der Unfallbilanz für 2023. Die Zahl der Autos stieg um 10.000, die Einwohnerzahl auf 3,9 Millionen. Die Gesamtzahl der Unfälle stieg auf 134.000, also 4000 mehr als 2022. Darunter waren 120.000 Blechschäden, 34.000 davon reine Parkplatzrempler. Zum Vergleich: Im Vor-Corona-Jahr 2019 erfasste die Polizei 147.000 Unfälle, also deutlich mehr.

Bei 13.729 Unfällen wurden Menschen verletzt: 14.139 leicht und 2073 schwer. 16 der 33 Toten waren „Senioren“, wie die Polizei sie nennt. Bei sieben Unfällen gab es keine weiteren Beteiligten, also wenn ein Auto gegen den Baum fährt oder ein Radfahrer ohne Fremdeinwirkung stürzt. Dass die Zahl der Toten und Schwerverletzten sank, sei ein Erfolg der Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei, lobte Langner. Beweisen lässt sich das nicht. Vor fünf Jahren hatte Polizeipräsidentin Barbara Slowik das genaue Gegenteil gesagt: „Trotz aller Kampagnen gab es wieder einen Anstieg.“

Genau 246.267 „Einsatzkräftestunden“ wurden in Kontrollen und Überwachung gesteckt, hat das Präsidium ausgerechnet. Besser zu verstehen: An jedem Tag des Jahres waren 84 Polizisten acht Stunden lang mit Kontrollen beschäftigt. Es hätten viel mehr sein können, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Denn 314.000 Einsatzkräftestunden gab es gegen die Blockadeaktionen der Klimakleber, „die hätte ich lieber in die Verkehrssicherheit gesteckt“, sagte Spranger bei der Pressekonferenz im Präsidium. Wieder umgerechnet: Die „Letzte Generation“ beschäftigte an 365 Tagen 109 Polizisten für jeweils acht Stunden.

Von elf geplanten ist noch keine neue Blitzersäule in Betrieb

Deshalb setzen Polizei und Politik auf Lösungen, die weitgehend ohne Personal auskommen, also fest installierte Blitzersäulen und die ebenfalls automatisch arbeitenden Blitzer-Anhänger, die alle paar Tage an einen neuen Standort gefahren werden. Vor einem Jahr hatte Spranger verkündet, bis Ende 2023 sollten elf neue Säulen fertig sein. Das war viel zu optimistisch. Im Januar war durch einen Artikel im Tagesspiegel bekannt geworden, dass keine einzige fertig ist, überwiegend wurde noch nicht einmal mit dem Bau begonnen.

Im Betrieb ist noch immer keine davon. Der für die Technik im Präsidium zuständige Oliver Woitzik nannte mehrere Gründe: Zwei Bezirke (Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitte) hätten noch nicht einmal eine Baugenehmigung erteilt, anderenorts fehle schlicht der Strom. Auf einen Anschluss warte man mittlerweile bis zu einem Dreivierteljahr, sagte Woitzik. Er hofft, dass bis zum Sommer die elf Säulen wirklich fertig sind. Auch die im Herbst ein zweites Mal gesprengte Anlage am Kurfürstendamm soll bald wieder aufgestellt werden.

Gegen Unfälle helfen aus Polizeisicht: Prävention, „Repression“ (also Kontrollen), gut gestaltete Verkehrswege – und die eigene Verantwortung. Daran scheint es zunehmend zu mangeln. Denn 21 der 33 Getöteten hatten den Unfall selbst verschuldet, also 64 Prozent. Bei den zwölf Radfahrern waren es acht, die Quote lag mit 67 Prozent also noch etwas höher, heißt es in der Statistik des Präsidiums. Recht neu in der Statistik sind die E-Scooter. Die Zahl der Unfälle ging deutlich zurück, von 1140 auf 1000. Zum Vergleich: 2020, im ersten Jahr der Statistik, waren es nur 320.

Und jetzt droht laut der Polizei eine neue Gefahr: Drogen. „Wir werden sehen, wie sich die Legalisierung von Cannabis auf die Unfallzahlen auswirkt“, sagte Langner. Die Rangfolge der Unfallursachen blieb unverändert. Auf Fehler beim Abbiegen (10.602 Fälle) folgen Vorfahrt (5038 Fälle), Tempo (2263 Fälle) und Alkohol (1419 Fälle). Diese Reihenfolge nannte schon die erste vom Präsidium veröffentlichte Unfallbilanz von 2001.

Trotz der vielen Tempounfälle verteidigte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) die Rückkehr von Tempo 50 auf 33 Hauptstraßen. Aus Umweltgründen galt auf vielen Abschnitten seit Jahren Tempo 30. Das Bundesimmissionsschutzgesetz schreibe die Rückkehr zur Normalität vor, wenn sich die Schadstoffbelastung deutlich gebessert habe. Normalität ist in Deutschland Tempo 50, das steht in der Straßenverkehrsordnung. Ausnahmen müssen begründet werden. Schreiner sagte, derzeit werde geprüft, ob aus Gründen der Sicherheit Tempo 30 auf bestimmten Hauptstraßen weiter gelten könne.

Eine Zahl zum Schluss: In Berlin schleppten Polizei und Ordnungsämter 77.399 Autos ab, etwa 5000 weniger als im Jahr zuvor.

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