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Ein Kunde zieht in einem Plattenladen in Seoul Bob Dylans Album „Infidels“  aus dem Regal.

© picture alliance / Yonhap/YONHAP/dpa

Bob Dylans Livealbum „Shadow Kingdom“: Selige Zeilen, brüchige Welt

Für seine Platte „Shadow Kingdom“ hat sich Bob Dylan noch einmal einige seiner Klassiker vorgeknöpft und sie neu arrangiert. Nie klang „Forever young“ rührender.

Natürlich altert auch Bob Dylan, aber vielleicht tut er das auf eine andere Art als die allermeisten anderen Menschen, eher retardierend. Während der Folksänger auf seinen frühen Platten bereits wie ein alter Mann klang, scheint er nun, jenseits der 80, stimmlich immer jünger zu werden. Auf dem Demo zu seiner 1963 erschienenen Anti-Kriegs-Hymne „Blowin‘ in the Wind“ hustet er, und auf anderen Stücken aus dieser Zeit wie „Masters of War“ oder „Bob Dylan’s Blues“ grummelt, schnarrt und nöhlt er mächtig.

Sein neues, gerade erschienenes Album heißt „Shadow Kingdom“. Ein Titel, der von Shakespeare stammen könnte. Es enthält Lieder, die Dylan zwischen 1965 und 1989 geschrieben hat. Noch einmal stimmt der Literaturnobelpreisträger einige seiner Klassiker an, begleitet von ein paar handverlesenen Sessionmusikern, darunter den Gitarristen T Bone Burnett und Tim Pierce, dem Bassisten Don Was und den Akkordeonisten Jeff Taylor und Doug Lacy.

Die Platte basiert auf einem Film der Dokumentarregisseurin Alma Har’el, den Dylan im Coronasommer 2021 streamte. Da spielen die Musiker im Hintergrund wie Bankräuber mit Masken vor den Gesichtern, während der Sänger im Vordergrund in einem weißen Anzug performt, der auch Frank Sinatra gut gestanden hätte.

Die Pandemie hatte Dylans Never Ending Tour jäh unterbrochen, er hatte Zeit, sich noch einmal ein paar Titel seines frühen und mittleren Werks vorzuknöpfen und sie neu zu arrangieren. Der Film „Shadow Kingdom: The Early Songs of Bob Dylan“, der kein Konzert zeigt, sondern 13 Lieder in einer Film-Noir-Inszenierung wie Videoclips aneinanderreiht, war damals schnell wieder aus dem Angebot des Streamingdiensts Veeps verschwunden. Nun soll er noch einmal herauskommen.

Das melodische, gern übermütig quietschende Akkordeon ist das zentrale Instrument des Zydeco, so weht ein Hauch von Louisiana-Leichtigkeit durch die Songs. „Queen Jane Approximately“, sanft, fast flüsternd von Dylan gesungen, geht in eine rockabillyartig beschleunigte Version des Nashville-Gassenhauers „I’ll Be Your Baby Tonight“ über. Den „Tombstone Blues“, in dem er Galilei, Jack the Ripper, Johannes den Täufer und Cecil B. DeMille aufruft, spricht er mehr als dass er singt.

Es ist eine stotternde, säuselnde, manchmal bellende Deklamation, gefolgt von den verhallten Akkorden einer akustischen, elektrisch verstärkten Gitarre. „Mama’s in the factory, she ain’t got no shoes / Daddy’s in the alley, he’s lookin’ for food / I’m in the kitchen with the tombstone blues“, lauten zentrale Zeilen.

Dem Wesen des Blues, der immer wieder anders von Armut, Rückschlägen und Ausweglosigkeit berichtet, kommt der späte Dylan nahe, indem er loslässt. Auf ein Schlagzeug verzichtet er, kein Paukenschlag stört das Ineinanderfließen der Akkordeonakkorde und Gitarrentöne. Selbst die Mundharmonika, deren wütendes Quietschen bei manchen alten Aufnahmen nerven konnte, bläst der Meister nun zärtlich und sanft. Seine Stimme klingt manchmal hell fistelnd, geradezu wiedergeboren.

„What Was It You Wanted“, die Selbstbefragung von Dylans 1989er Comebackalbum „Oh Mercy“, klingt nun - minimalistisch von einer Gitarre und dem Akkordeon gerahmt - wie eine Meditation. „Whatever you wanted / Slipped out of my mind / Would you remind me again / If you’d be so kind.“ Wünsche verwehen, das Gedächtnis setzt aus. Ein Fünfminutenessay über das langsame verschwinden. Auf die 13 Lieder folgt das Instrumental „Sierra’s Theme“, eine Referenz an den Boxer Rubin „Hurricane“ Carter.

Carter, ein Opfer des Rassismus in der amerikanischen Polizei und Justiz, war wegen eines Mordes, den er nicht begangen hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Dylans Hymne „Hurricane“, 1975 veröffentlicht, sorgte dafür, dass der Fall noch einmal aufgerollt wurde und Carter freikam.

Dylan hat gern die Kontrolle und er taucht immer wieder ab. Im Netz kursieren nur wenige Bilder aus den letzten Jahren von ihm. Bei seinen Auftritten - zuletzt gastierte er im Oktober 2022 in Berlin - müssen die Besucher ihre Handys abgeben. „Shadow Kingdom“ ist das erste Album nach der Sinatra-Huldigung „Shadows in the Night“ (2015), auf dessen Cover er sein Gesicht zeigt.

Eine Schwarzweißaufnahme im Gegenlicht, der Sänger bläst selbstvergessen seine Mundharmonika. Das schönste Stück heißt „Forever Young“, die Stimme wird brüchig, das Vibrato flattert. „May your heart always be joyful / May your song always be sung“, ruft Dylan uns zu. Wir sind tief gerührt.

„Shadow Kingdom“ von Bob Dylan ist bei Columbia Records erschienen.
„Shadow Kingdom“ von Bob Dylan ist bei Columbia Records erschienen.

© Columbia Records

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