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Szene aus „As You Fucking Like It“

© Arno Declair

Deutsches Theater Berlin: Gute Frauen, echte Frauen

Zwei Premieren am Deutschen Theater: Jette Steckel inszeniert „Das Himmelszelt“, Bastian Kraft zeigt frei nach Shakespeares „As You Fucking Like It“ .

Die Bedingungen sind denkbar schlecht für eine kluge Urteilsfindung: Eingesperrt in einen miefigen dunklen Raum, ohne Essen und Trinken, sollen auf der Bühne des Deutschen Theaters zwölf Frauen als „Matronenjury“ über ein Leben entscheiden. Wir schreiben – so sieht es die britische Gegenwartsautorin Lucy Kirkwood in ihrem Stück „Das Himmelszelt“ vor – das Jahr 1759. Und zu Gericht sitzen, nein: stehen die Frauen über ihre prekäre junge Geschlechtsgenossin Sally Poppy, der vorgeworfen wird, zusammen mit ihrem Liebhaber Thomas ein elfjähriges Mädchen getötet zu haben. Thomas wurde umgehend gehängt, aber Sally behauptet, schwanger zu sein – was das Todes- in ein Verbannungsurteil verwandeln würde. Die Frauen sollen nun auf Basis ihrer Erfahrungen als Mütter zu einem einstimmigen Urteil darüber finden, ob Sally die Wahrheit sagt.

Inhaltlich ist das tatsächlich ein well made Gerichtsreißer mit feministischem Überbau, den die Regisseurin Jette Steckel hier nach allen Regeln der Genrekunst als pausenlosen 160-Minüter auf die DT-Bühne brettert. Was angesichts des Szenarios von Florian Lösche durchaus buchstäblich zu verstehen ist. Aus Theatersicht betrachtet, bietet „Das Himmelszelt“ aber vor allem die Gelegenheit, endlich mal auf engstem Raum die geballte brancheneigene Schauspielerinnen-Kompetenz und -prominenz zu versammeln – was das DT denn auch sattsam tut.

Birgit Unterweger brilliert als personifizierte Hartherzigkeit

Denn all die Marys, Kittys und Helens, die Manuel Harder hier als abgründiger Gerichtsdiener Mr. Coombes geradewegs von der Haus-, Hof- und Feldarbeit, von tyrannischen Gatten und aus anderen hardcore-patriarchalen Umständen in den Gerichtsverschlag holt, tragen zuhauf spieldienliches Konfiktpotenzial mit sich herum. Birgit Unterweger brilliert als personifizierte Hartherzigkeit aus privilegiertem Haus, die Sally unter allen Umständen hängen sehen will.

Karin Neuhäuser liefert die perfekte Charakterstudie einer vermeintlichen Gerechtigkeitsfanatikerin, die in Wahrheit eine Rechnung mit der Angeklagten offen hat. Maren Eggert schafft das Kunststück, als warmherzig der Aufklärung verpflichtete Hebammen-Lichtgestalt selbst noch den abgegriffensten Parolen Leben einzuhauchen. Und nicht minder sensationell agiert Kathleen Morgeneyer als absolut kompromisslose, unterprivilegierte Sally, die noch nicht mal um ihres Lebens willen daran denkt, sich irgendwem anzubiedern.

Eigentlich ist Lucy Kirkwoods Idee, auf der Folie der historisch verbrieften „Matronenjurys“ heutige Geschlechterverhältnisse zu bespiegeln, ja eine überaus interessante. Zumal die Dramatikerin sich dabei auch einem zumindest derzeit eher selten beleuchteten Aspekt zuwendet, nämlich dem der Komplizinnenschaft: Zu welchen Fragen wird Frauen überhaupt Handlungs- und Entscheidungsmacht „zugesprochen“, welche Macht nehmen sie sich selbst, und inwiefern stützen sie sogar eigens Strukturen, die sie benachteiligen?

Auf die Gebärfähigkeit reduziert

Schade nur, dass der Text insgesamt unter einer ziemlichen Plattitüdenlast ächzt. Und dass im Plotverlauf – parallel zur Lockerung der einengenden signalorangefarbenen Kleider (Kostüme: Andrea Schraad) – auch im Stakkato Geheimnisse unter dem Teppich hervorgekehrt werden müssen, die nahe am Klischee siedeln. Tatsächlich ist „Das Himmelzelt“ nicht davor gefeit, trotz aller feministischer Vorzeichen selbst merkwürdige Weiblichkeitsstereotype zu reproduzieren. Etwa wenn Anja Schneider – wiewohl sie das rein darstellerisch bemerkenswert gut löst – in der Rolle der einzigen Nichtmutter der Jury in einem Anfall von Mutterschaftsneid urplötzlich wie wild auf die Angeklagte losgehen muss. Da wird die Frau an sich dann doch überraschend stark auf ihre Gebärfähigkeit reduziert.

Solche Probleme haben Bastian Kraft und sein Ensemble nebenan in den DT-Kammerspielen nicht. Denn hier heißt es von vornherein: „Wie es euch gefällt“ beziehungsweise „As You Fucking Like It“. Gegeben wird mithin eine jener Shakespeare-Komödien, in denen Frauen umständehalber als Männer verkleidet ihren Angebeteten nachreisen, auf dass sich anschließend in symbolträchtigen Wäldern lauter Irrungen und Verwechslungen vollziehen, an deren Ende dann wie von Zauberhand hingetragen lauter glückliche Hetero-Paare vorm Altar stehen.

Bastian Kraft bekämpft dieses Stereotyp mit einer grundsympathischen Vielfalts- und Gute-Laune-Offensive in Rosa (das, wie wir erfahren, rein historisch betrachtet die längste Zeit eine „Männerfarbe“ war). Er selbst – kurzfristig für den erkrankten Helmut Mooshammer als Premieren-Darsteller eingesprungen – treibt das Identitätswandlungs- und Verwechslungsspiel mit seinen Mitstreiter:innen Lisa Hrdina, Caner Sunar und Regine Zimmermann insofern auf die Spitze, als alle vier die weibliche Hauptfigur Rosalinde und zusätzlich jeweils noch diverse andere Figuren verkörpern, die ihrerseits gern nur als Leinwandhelden aufkreuzen.

Die Botschaft hat man zwar schnell kapiert. Und das Ganze ist, wie bei Shakespeare bekanntlich auch, ein mal intelligenterer, oft aber auch durchaus bekennend platter Spaß – der genau das sein will.

Nächste Vorstellungen: „Das Himmelszelt” am 24. November sowie am 2. und 8. Dezember, „As You Fucking Like It“ am 24., 25. und 28. November

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