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Ingeborg Bachmann, 1965.

© imago/Michel Neumeister / Werner Neumeister

Briefwechsel Ingeborg Bachmann - Max Frisch: Großartige Lesung am Berliner Ensemble

Wo die Liebe steht und fällt: Constanze Becker und Matthias Brandt zeigen das Drama des berühmten Schriftstellerpaares, das sich nichts und alles schenkte.

Mitten hinein in die Konzentration klingelt ein Handy, kurz. Matthias Brandt schaut auf, lächelt indigniert und setzt die Lesung fort. Vielleicht hat er gedacht: Ja, die Zeiten haben sich viel radikaler verändert, als es in diesen Briefen der Liebe und Verzweiflung den Anschein hat. Was sich Bachmann und Frisch da an den Kopf werfen, ans Herz legen, um die Ohren hauen, auf den Leib schreiben – das werden Paare immerzu tun. Man trifft sich, und dann – trifft man sich.

Aber vor sechzig Jahren – Matthias Brandt erblickte gerade das Licht der Welt, und an seine Lesepartnerin Constanze Becker war noch lange nicht zu denken –, Anfang der 1960er gab es nur Telefone mit Wählscheibe. Und Briefpapier. Schriftsteller hackten auf Schreibmaschinen herum, und zum intellektuellen Habitus gehörte die Pfeife, das Whiskytrinken. Dazu ein gehöriges Maß Moralität, jedenfalls nach außen hin.

Heiße Ware auf Papier

Das Berliner Ensemble ist ausverkauft an diesem Abend. Es herrscht gespannte Erwartung, als gäbe es sogleich etwas Neues. Dabei ist es mehr die freudige Erwartung, dass die Vergangenheit so viel noch hergibt. Die alten Idole überraschen. Da ist noch etwas, was man nicht wusste.

„Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken“, so nannte Ina Hartwig 2017 ihr schönes Buch. Jetzt fügt sich so manches zusammen in dem Konvolut des letztlich doch veröffentlichten Briefwechsels Bachmann vs. Frisch, Frisch vs. Bachmann. Aber es bleiben Lücken, das wissen die Herausgeber dieses archäologischen Riesenwerks.

Zwei schwarz verhängte Tische, schmucklose Bühne. Constanze Becker und Matthias Brandt streifen in neunzig Minuten (die Lesefassung erstellte Johannes Nölting) durch die liaison dangereuse, die 1958 begann und sich hinzog, wohl bis 1965, mit Unterbrechungen. Sie lesen sich hinein mit Neugier, aber auch Vorsicht. Das ist heiße Ware. Mit diesen Briefen ist nicht zu spaßen. Sie stecken voller Zärtlichkeiten und Minen.

Wer hat Angst vor Max Frisch?

Buchvorstellung auf dem Theater. „Wir haben es nicht gut gemacht“, lautet der Titel des 1000seitigen Wälzers, der jetzt zugleich bei Suhrkamp und Piper erscheint. Das passt, das ist die richtige Bühne. Man denkt an Simone de Beauvoir und Jean–Paul Sartre, die ihre offene Beziehung offenbar besser lösten, Edward Albees alter Bühnenhit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ drängt sich natürlich auf. Es ist dieselbe Zeit. Nur zynisch, offen aggressiv, das sind Frisch und Bachmann erst viel später, wenn überhaupt.

Wer hat Angst vor Ingeborg Bachmann? Vor Max Frisch? Man hütet sich, Sympathien zu verteilen. Dazu geben Becker und Brandt auch keinen Anlass. Sie tasten sich behutsam auf das Schlachtfeld vor, das eben doch noch ein Bett von Rosen sein sollte. Und dann bleibt es nicht aus, dass Brandt dem Autor näherkommt, er spielt ja Frischs „Gantenbein“-Roman am BE in einer hochgelobten Soloperformance.

Männer erklären die Welt

Er versteht sich auf Ironie und Distanz. Mansplaining. Den Begriff gab es damals nicht. Aber die Welt muss voll von Männern gewesen sein, die das Rederecht ausübten. Notgedrungen. Frisch gerät in die Defensive, er fühlt sich alt und wird geschwätzig in den Briefkaskaden voller Selbstmitleid und Selbstdemontage. Matthias Brandt kommt in Fahrt. Das hat komische Seiten, aber die bohrenden Wiederholungen sind quälend.

Die Liebesbeziehung kann nicht leben und will nicht sterben. Wie soll man sich das Liebesleben solcher Kopffüßler vorstellen? Toxisch, das Wort hat man in solchen Zusammenhängen auch noch nicht benutzt. Constanze Becker nimmt sich mehr und mehr zurück, in ihren Briefen verhärtet sich Ingeborg Bachmann. Wie gut, dass sich die beiden Lesenden nicht ausagieren, sie sparen sich jede Illustration. Es gilt das geschriebene Wort.

Rom, Paris, die Schweiz, New York. Die Post geht ab in einem durchaus komfortablen Leben. „Expresspost“, noch so ein altes, schönes Wort. „Please Mr. Postman“ hieß ein amerikanischer Hit aus jener Zeit, vom Briefträger und Briefkasten hing viel ab. Wir sind in den Schlaf- und Arbeitszimmern der Hochkultur nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Protagonisten wurden schnell zum Mythos. Frisch reist in die USA, Bachmann hat ein Stipendium in West-Berlin, neue Beziehungen und Affären stellen sich wie automatisch ein.

Die Einschläge im Papierkrieg stecken in den Unterschriften. „Dein alter Max“, heißt es nachher bitter, sie setzt dann nur noch „Ingeborg“ darunter, nicht „Deine Ingeborg“; oder auch nur „I.“ Diesen Punkt am Schluss setzt Constanze Becker sehr elegant, mit leisem Vergnügen. So oft wünschen sie einander nur das Beste, zeigen sich großzügig, was andere Partner betrifft – hier gewinnt keiner.

Und fast wirkt wie es wie ein Hauptberuf, das Briefeschreiben, das Ringen um Präzision, wo alles sich ins Ungefähre auflöst. Constanze Becker und Matthias Brandt wirken bei der Verbeugung auf der Bühne – der Applaus ist stark – noch etwas mitgenommen.

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