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© dpa/Hannes P Albert

Die Angst vorm nächsten Schuljahr: Lehrermangel in Berlin noch größer als prognostiziert

Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) präsentierte am Dienstag eine überraschend hohe Zahl zum Personalmangel. Demnach können fast 1500 volle Lehrkräftestellen nicht besetzt werden.

Das Berliner Lehrkräftedefizit steigt dramatisch. Dies machte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Dienstag im Senat deutlich. Demnach fehlen nicht mehr knapp 1000 Kräfte wie 2022, sondern sogar fast 1500. Die Senatorin begründete dies mit der nochmals erhöhten Zahl an Pensionierungen sowie Schülerzuwachs.

Die Steigerung überrascht auch deshalb, weil die Bildungsverwaltung bisher erwartet hatte, dass sich das Defizit etwa im selben Rahmen wie im Vorjahr bewegen werde. Angesichts dieser Entwicklung bekräftigte die Christdemokratin, dass es bei der Bekämpfung des Mangels „keine Denkverbote“ geben dürfe.

Bei der Bekämpfung des Lehrkräftemangels darf es keine Denkverbote geben.

Katharina Günther-Wünsch, CDU-Bildungssenatorin

Als Instrumente zur Linderung nannte sie den Einsatz von Lehrkräften mit nur einem statt vorgeschriebener zwei Fächer. Auch soll der Einsatz von Vertretungsgeldern entbürokratisiert und die Abordnungen ausgebildeteter Lehrkräfte – etwa in die Verwaltung – kritisch durchforstet werden.

So wird Abhilfe gesucht

Die vor drei Wochen neu ins Amt gekommene Senatorin hatte bereits als Parlamentarierin nach dem Umfang der Abordnungen gefragt, aber von ihrer SPD-Vorgängerin zum Teil wenig aussagekräftige Angaben bekommen. Daher habe sie jetzt von ihrer Behörde „eine Aufschlüsselung“ erbeten, sagte Günther-Wünsch. Wie der Tagesspiegel berichtete, gibt es beispielsweise einen Fall, in dem eine Lehrerin Yogakurse für Schulpersonal erteilt.

Die Vergrößerung des Defizits trifft vor allem Schulen in der Peripherie. Sie sind es, die seit etwa zehn Jahren professionell ausbluten: Zunächst fehlten „nur“ Fachlehrkräfte in den bekannten Mangeldisziplinen wie Physik, Musik oder Informatik, dann alle Fächer. Schließlich waren selbst Quereinsteiger nicht mehr zu haben, weshalb zuhauf „sonstige Lehrer“ einspringen müssen.

Auch dies war und ist aber noch nicht der Tiefpunkt: Nachdem im Sommer selbst die „sonstigen Lehrer“ nicht mehr reichten, durften Lehrerpositionen in Stellen für Verwaltungskräfte oder Sozialarbeiter umgewidmet werden. Diese Praxis soll auf noch weitere Professionen wie Logopäden, Ergotherapeuten, Musik- und Lerntherapeuten sowie pädagogische Assistenzen ausgeweitet werden.

DIe Angst vor Abwanderung

Zwar können gerade die Schulen im Brennpunkt solche Professionen gut gebrauchen, „aber sie können nun mal keine massenhaft fehlenden Lehrkräfte ersetzen“, gab am Dienstag eine Spandauer Schulleiterin zu bedenken. Sie berichtet von Brennpunkt- und Außenbezirksschulen, die noch mehr als zehn freie Stellen hätten – und keine Bewerbungen in Sicht.

Etliche dieser Schulen kritisieren jetzt Günther-Wünschs Entscheidung, eine Notmaßnahme ihrer Vorgängerin zurückzudrehen: Astrid-Sabine Busse (SPD) hatte im März verfügt, dass personell gut ausgestattete Schulen nicht alle freie Stellen besetzen dürfen. Die Hoffnung war, dass sich die Interessenten dann in Mangelschulen umlenken lassen würden.

Die CDU-Senatorin hatte diese Anweisung vor einer Woche zurückgenommen, weil Schulleitungsverbände warnten, dass potenzielle Bewerber aus Berlin lieber nach Brandenburg gehen oder dass Lehrer aus anderen Bundesländern gar nicht erst nach Berlin kommen würden, weil sie nicht gegen ihren Willen an Schulen gelenkt werden wollten.

Der Verzicht auf die Steuerung wird den eklatanten Mangel an ausgebildetem Personal nicht nur zementieren, sondern sogar weiter verstärken. 

Hartmut Schurig, Personalrat Marzahn-Hellersdorf

Nun aber geht die Sorge um, dass Lehrkräfte, die sich gerade mit der Zuweisung an eine Brennpunktschule abgefunden hatten, einen Rückzieher machen. Sollte entsprechend verfahren werden, „wird die jetzt schon bestehende Unterausstattung an vielen unserer Schulen zu weiteren katastrophalen Folgen für die Bildung in unserer Region führen“, warnte der Personalratsvorsitzende von Marzahn-Hellersdorf, Hartmut Schurig, in einem Brief an die Senatorin, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Der Verzicht auf die Steuerung werde „den eklatanten Mangel an ausgebildetem Personal nicht nur zementieren, sondern sogar weiter verstärken“. Schurig fordert, mehr Ausbildungsseminare für Referendare in Brennpunkte zu verlagern. Es habe einen „Klebeeffekt“, wenn die Nachwuchskräfte erst mal an Schulen in Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf angekommen seien, bestätigen Schulleitungen.

„Systemsprenger“ erschweren die Arbeit im Brennpunkt

SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic forderte für die Brennpunktschulen eine „starke Rückendeckung“. Die Brennpunktzulage müsse in Entlastungsstunden umgewandelt werden. Zudem benötigten diese Schulen „temporäre Angebote für schwer beschulbare Jugendliche“. Schulleitungen nennen sie „Systemsprenger“.

Eine Tagesspiegel-Umfrage unter Schulleitungen ergab bislang noch keinen konkreten Hinweis auf Lehrkräfte, die infolge von Günther-Wünschs Entscheidung einen Rückzieher an einer Brennpunktschule gemacht hätten. Das, erwartet Nuri Kiefer von der GEW-Schulleitervereinigung, werde aber noch kommen.

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