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Eng beieinander. Menschenmassen beim Abschlusstag vom Oktoberfest 2022 auf der Theresienwiese.

© Foto: Imago/Future Image/B. Saar

„Die Patienten stapeln sich in den Fluren“: Ist das Oktoberfest schuld?

In München sind die Kliniken wegen Corona überlastet. Für viele ist „die Wiesn“ die Ursache. Doch stimmt das?

Ein Brandbrief machte in dieser Woche in München die Runde. Der Betriebsrat der Krankenhaus-Gruppe „München Klinik“ warnte in einem Schreiben an den Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) vor dem Kollaps des Gesundheitswesens: „Die Notfallzentren sind überfüllt, die Patienten stapeln sich auf den Fluren“, schrieben die Mitarbeiter. Das Krankenhaus sei „gefährlich überlastet“.

Die Kliniken sind überfüllt - wegen Corona

Grund dafür sind die massiv nach oben schnellenden Corona-Infektionen. Nicht nur erkrankte Eingewiesene führen zur Überlastung in den Kliniken, diese müssen schließlich auch noch isoliert werden. Vor allem ist das Personal selbst – Pflegekräfte sowie Ärzte und Ärztinnen – massenhaft an Corona erkrankt und kann nicht arbeiten.

In der Stadt München ist die 7-Tage-Inzidenz am Dienstag auf 1497 hoch geschnellt, am Donnerstag lag sie wieder etwas niedriger bei 1234. Ist die Spitze jetzt überwunden? Kein Mensch weiß das. Im Münchner Umland sieht die Statistik jedenfalls teils noch dramatischer aus: Fürstenfeldbruck verzeichnete am Donnerstag die Zahl von 1474, Ebersberg 1253. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer drei Mal so hoch ist, denn viele Infizierte werden nicht mehr PCR-getestet. Damit fließen diese Fälle nicht in die Zählung ein. Mit einer Gesamtinzidenz von knapp 1017 nimmt Bayern im Ländervergleich den zweiten Plan ein hinter dem Saarland (1573).

Wer etwa einen Termin für eine neue Hüfte hat, dem wird erst einmal abgesagt.

Manfred Theiss, CSU-Stadtrat von München

Der Münchner CSU-Stadtrat Manfred Theiss ist selbst Klinikarzt und sagt dem Tagesspiegel: „Planbare Eingriffe werden derzeit verschoben. Wer etwa einen Termin für eine neue Hüfte hat, dem wird erst einmal abgesagt.“ Dies sei zwar nicht akut lebensbedrohlich, aber für die Gesundheit des Betroffenen dennoch schädlich.

Auch würden Patienten, so Theiss, innerhalb der Stadt von Klinik zu Klinik weiter verlegt – je nachdem, wo gerade noch Behandlungskapazitäten bestehen. Betten an sich gibt es genug, viele stehen aber leer, weil das Personal fehlt. Ein besonders drastischer Fall wird aus dem Landkreis Mühldorf am Inn vermeldet: Dort ist die gesamte Klinik am Haag bis zum 31. Januar 2023 geschlossen. Das Personal muss stattdessen in anderen Krankenhäusern im Landkreis aushelfen.

Wiesn ganz oder gar nicht

Vor allem über die derzeitige Ausstattung des Gesundheitswesens ist der Stadtrat Theiss erschüttert: „Wir sind schlechter aufgestellt als vor Corona, das muss man sich mal vorstellen.“ Politik und Gesellschaft müssten sich entscheiden, ob man mehr Geld für eine bessere Versorgung bezahlt oder aber eine schlechtere hinnimmt.

Krankenwagen mit Blaulicht. Der Betriebsrat der Krankenhaus-Gruppe „München Klinik“ warnt vor dem Kollaps des Gesundheitswesens.

© Imago/Wolfgang Maria Weber

Hat die bayerische Lage mit dem Oktoberfest zu tun, das vor knapp zwei Wochen zu Ende gegangen ist? „Es gibt schon eine Wiesn-Welle“, sagt Manfred Theiss. Er selbst war und ist für die Wiesn, um „Normalität“ zu zeigen. Diese Normalität müsse man sich aber mit einem besseren Gesundheitssystem auch leisten.

Die Wiesn und Corona – ein schwieriges Thema in der Isar-Metropole. Keiner will der Miesepeter oder die Spaßbremse sein. Allen voran nicht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der in einem abrupten Kurswechsel nun quasi beschlossen hat, dass Corona kein Problem mehr ist. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Parteigenosse Dieter Reiter beharken sich fast täglich. Lauterbach präsentiert die Zahlen und sagt, bei 13 Euro für die Maß Bier wären Gratis-Coronatests für die Besucher der Zelte drin gewesen.

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Reiter führt an, dass er beim Gesundheitsministerium mehrfach angefragt und die Auskunft erhalten habe, dass Einschränkungen rechtlich nicht möglich seien – Wiesn ganz oder gar nicht. Allerdings hätte der OB an die Wirte appellieren können, Tests zur Verfügung zu stellen. Hat er aber nicht.

Eine Umfrage der „Süddeutschen Zeitung“ unter den Münchner Stadtrats-Fraktionen offenbart - auf teils ungewollt komische Weise - die Hilflosigkeit. Die SPD-Fraktionschefin etwa steht zur Wiesn, man hätte aber „ein begleitendes, präventives Konzept“ entwickeln sollen. FDP/Bayernpartei meint, die Herbstwelle rolle bundesweit, das habe „mit der Wiesn nichts zu tun“. Und der Linken-Fraktionschef sinniert, ob es bei dieser Frage überhaupt „ein Richtig oder Falsch“ gebe.

Ein paar Fragezeichen bei der direkten Verbindung zwischen Coronaverbreitung und dem Oktoberfest bestehen aber. So gibt es in Bayern auch Landkreise mit höheren Zahlen, die weit weg von München liegen – etwa Tirschenreuth in der Oberpfalz (Inzidenz 1812), das Ostallgäu (1439) oder die Stadt Ansbach (1296). Und in Stuttgart ist das Volksfest, der „Canstatter Wasen“, zu Ende gegangen. Mit drei Millionen Besuchern ist es etwas mehr als halb so groß wie die Wiesn – also auch nicht klein. Die baden-württembergische Landeshauptstadt meldet hingegen eine Inzidenz von nur 353.

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