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Michelle Yeoh in "Everything Everywhere All At Once"

© David Bornfriend/Leonine

„Everything Everywhere All At Once“: Die Steuerschurkin aus dem Multiversum

Das Regie-Duo Dan Kwan und Daniel Scheiner hat mit dem Fantasykomödie „Everything Everywhere All At Once“ einen Film gemacht, der Marvel und DC alt aussehen lässt. Und verdammt langweilig.

Auf manche Filme kann einen keine Rezension vorbereiten. „Everything Everywhere All At Once“ ist so einer. Ein Versuch über den Inhalt: Evelyn Wang (Michelle Yeoh) betreibt einen Waschsalon, führt eine lieblose Ehe und verliert zunehmend den Draht zu ihrer Tochter (Stephanie Hsu). Zu allem Überfluss muss sie sich mit einer Steuerprüferin (Jamie Lee Curtis) herumschlagen – und das ist zunächst nur bildlich gemeint. Als ihr Mann (Ke Huy Quan) ihr unvermittelt eröffnet, sie sei nur eine von endlos vielen Versionen ihrer selbst, die in einem Multiverse nebeneinander existieren, wird der Konflikt mit der Beamtin schließlich doch noch handgreiflich. Diese entpuppt sich als Handlangerin einer finsteren Macht, die danach strebt, alle Versionen von Evelyn zu vernichten – und das gesamte Multiverse ins Chaos zu stürzen.

Die Fantasie der „Daniels“ ist einfach ansteckend

Klingt absurd? Auch im Kino hat man lange Zeit keine Ahnung, wohin diese irrwitzige Irrfahrt durch die Dimensionen trudelt. Tatsächlich verbringen die Figuren einen Großteil des Films damit, einander – und dem Publikum – den Plot zu erklären. Das ist selten ein gutes Zeichen, funktioniert hier aber erstaunlich gut. Das Gehirn hat man ohnehin spätestens nach einer halben Stunde ausgeschaltet, gibt sich der Geschichte hin und staunt, mit wie viel Fantasie das amerikanische Regie-Duo Dan Kwan und Daniel Scheinert, kurz: The Daniels, eine wrestelnde Jamie Lee Curtis im Sachbearbeiterinnen-Look auf die Kung-Fu-kämpfende Michelle Yeoh losgehen zu lassen, ohne dass das Ganze vollends sinnfrei wirkt.

The Daniels sind mit haarsträubendsten Geschichten bekannt geworden, vor allem dank „Swiss Army Man“ mit Daniel Radcliffe als furzender Leiche. Sie wirken wie begabte Kinder, die mit Freude ihren Baukasten zerlegen und aus den Einzelteilen etwas zusammenzimmern, von dem sie nachts geträumt haben. Mit „Everything Everywhere All At Once“ demonstrieren sie, dass ihrer Imagination keine Grenzen gesetzt sind. Sie zeigen aber auch, dass sie ihre Ideen in eine adäquate Form gießen können.

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Der Film sieht mit seinen aufwändigen Actionszenen teurer aus, als er war (knapp 25 Millionen Dollar). Für die Choreographie der Kampf-Sequenzen engagierten The Daniels die YouTuber Andy und Brian Le, nachdem sie deren Kung-Fu-Clips im Netz gesehen hatten. Die Amateur-Kämpfer haben nun einen kleinen Auftritt im Film.

So abgedreht „Everything Everywhere All At Once“ auch wirkt, Kwan und Scheinert sind jederzeit in der Lage, das entfesselte Chaos zu bändigen, sie wechseln Tempo und Tonlage nach Belieben. Auf Martial-Arts-Gekloppe à la Jackie Chan undSequenzenin „Matrix“-würdiger „Bullet Time“ folgen unerwartet stille Momente zwischen Mutter und Tochter. Im Kern ist der Filmein Familiendrama,getragen von der wunderbaren Michelle Yeoh, die vor dreißig Jahren tatsächlich schon mit Jackie Chan vor der Kamera stand.

Und weil die beiden Daniels die Familie Wang wie selbstverständlich zwischen Englisch, Mandarin und Kantonesisch wechseln lassen, wird „Everything Everywhere All At Once“ ganz nebenbei auch zu einem Statement in Sachen Repräsentation. Michelle Yeoh spielte bereits in der dank der durchweg asiatischen Besetzung in Hollywood einflussreichen – und enorm erfolgreichen – Rom-Com „Crazy Rich Asians“ (2018) eine Hauptrolle.

Die Reizüberflutung ist maßlos, dabei hochgradig einfallsreich, streckenweise geradezu philosophisch und mitunter schlichtweg genial: eine Mischung aus Videospiel, Rührstück, Kubricks „2001“ und infantiler Komödie, deren Gags auch nicht immer zünden müssen. Man nimmt es Dan Kwan und Daniel Scheinert nicht weiter übel, dafür sind ihr Einfallsreichtum und ihre spürbare Liebe zumKino einfach zu ansteckend. Am Ende sitzt man mit brummendem Schädel im Kino und fragt sich: WaszumGeier wardenn das?Eines ist jedenfalls sicher: So einen Film hat es noch nicht gegeben. 

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