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Anis Mohamed Youssef Ferchichi, besser bekannt als Bushido, lebt jetzt im Superreichen-Exil, sprich Dubai.

© RTL / Foto: RTL+

Kritisch gesehen: „Bushido - Reset“: Ein ganz normales Leben

Auch in der Fortsetzung des Bushido-Porträts „Unzensiert“ kommt der Zuschauer dem spießigen Gangsterrapper näher, als er es möchte. Die RTL+-Produktion scheut zwar jede Kritik, ist aber sehenswert.

Normalität ist wie deren Abweichung höchst persönlich. Für die einen ist es normal, im Privatjet zum Shoppen nach Paris zu fliegen und mit vier, fünf Gucci-Taschen zurückzukehren. Für andere ist es normal, den Discounter beim Einkauf nach Sonderangeboten zu durchstöbern, bis ein Essen unter fünf Euro für vier Personen im Korb liegt. Wenn allerdings Anna-Maria Ferchichi ihr Leben beschreibt, gehen ihr die Maßstäbe doch ein wenig durch.

„Krass“, sagt Bushidos Ehefrau

„Krass“, meint die neunfache Mutter mit Millionenvermögen, Villa in Kleinmachnow und Mann, der ungewöhnlicher kaum sein könnte, „ich hatte mal ein ganz normales Leben.“ Klingt betriebsblind, abgehoben, lebensfern? Für Durchschnittsbürger mit Durchschnittsorgen in Durchschnittshäusern schon. Ihr Mann allerdings heißt Anis Mohamed Youssef Ferchichi, ist als Bushido nicht nur bekannter, sondern berüchtigter Rapper und steht unter Personenschutz, weil ihm der halb so bekannte, aber doppelt berüchtigte Clan-Chef Arafat Abou-Chaker nach dem Leben trachtet.

So viel also zur individuellen Einordnung des Ausnahmezustands, der eine Dokumentation von Peter Rossberg schon einmal sechs Teile hautnaher Dauerbeobachtung bei Amazon Prime widmete. Fast zwölf Monate nach „Unzensiert“ hat der „Bild“-Reporter nun nachgelegt und ein noch passenderes Medium für seinen Starschnitt gefunden. Von Mittwoch an zeigt Springers Fernsehhofberichterstatter RTL auf seinem Streamingportal weitere sechs Teile der Langzeitstudie. Und während der Auftakt Ende 2021 den Kleinkrieg entzweiter Freunde beschrieben hat, mündet er Ende 2022 in einer Flucht.

Die Ferchichis, so erfahren wir zu Beginn von „Reset“, emigrieren nach Dubai. Vom individuellen Terror eines organisiert Kriminellen also zum staatlichen Terror einer autokratischen Monarchie – das ließe sich ebenso gut analysieren wie die sonderbare Existenz des populären Gangsterrappers, in dessen Dasein es kaum weniger dunkle Ecken auszuleuchten gibt als in dem seiner vielen Feinde. Zu dumm, dass Rossberg nicht nur fürs Boulevardblatt „Bild“ arbeitet, sondern auch noch Bushidos Kumpel ist.

Und so wirft letzterer ersterem zwar gönnerhafte Mea-culpa-Bröckchen der Sorte „ich hab‘ viel Scheiße gebaut“ vor die Kamera, darf sich ansonsten aber als fürsorglicher Patriarch einer schwer gebeutelten Großfamilie gerieren. Was aus journalistischer Sicht eine Frechheit ist, funktioniert als Homestory allerdings verblüffend gut. Denn so nah, wie RTL+ dem kleinkriminellen Spießer auf seiner Tour ins Superreichen-Exil kommt, kämen ihm seriöse Medien von ARD bis Tagesspiegel nie.

Wie beim Amazon-Porträt behalten auch die Protagonisten von „Reset“ alle Fäden in der Hand. Weil sie sich spürbar geschmeichelt fühlen, geben sie aber auch Persönliches von sich preis. Und so erleben wir die Ferchichis, wie sie weinen und streiten, Migräne haben und die Schnauze voll, mal stark sind, mal schwach und dabei auf anrührende Art menschlicher als ihre Bling-Bling-Bilder. Dass man sich dieser Nähe drei Stunden kaum entziehen kann, mag mit derselben Sensationslust zu tun haben, die einen beim Autounfall zum Gaffen bremsen lässt. Aber der Sog ist real. Und ziemlich sehenswert.

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