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Flüchtlingslager im Libanon.

© Mika Schmidt/Imago

Geflüchtete werden enteignet: Assads späte Rache

Syriens Regime nimmt Geflüchteten ihre Immobilien und gibt sie Getreuen. Hier berichten Betroffene.

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Vom Balkon seiner Wohnung aus konnte er auf Olivenhaine schauen, auf die Minarette von drei Moscheen und auf die große Häuserwand, auf die jemand das Konterfei von Hafiz al Assad, dem Vater des heutigen Präsidenten, gemalt hatte. Am Horizont ragte die weiße Spitze des Berges Hermon auf. Und im Herbst konnte Khalid Abdulrahman von hier aus die vorbeifliegenden Zugvögel beobachten. Seit sechs Jahren saß er jetzt nicht mehr auf seinem Balkon, und sehr wahrscheinlich, sagt Abdulrahman, wird er dieses Vergnügen nie wieder haben.

Die Wohnung, die er zurücklassen musste, als er sich im Frühjahr 2015 auf den Weg nach Europa machte, hatten seine Eltern gekauft. 200 Quadratmeter Neubau, im südlichen Speckgürtel von Damaskus. Abdulrahman, er heißt in Wirklichkeit anders, lebt heute in Berlin-Lichtenberg, er habe es gut hier, sagt er am Telefon, aber es sei eben nicht die Heimat.

Das Haus, in dem sich seine Wohnung befindet, ist vom Bürgerkrieg, dessen Beginn sich am Montag zum zehnten Mal jährt, nie beschädigt worden. Die Kämpfe zwischen Regimetruppen und den Aufständischen der Freien Syrischen Armee kamen nicht näher als bis auf zwei Kilometer an seine Straße heran. Womöglich wird bald eine andere Familie in Khalid Abdulrahmans Wohnung einziehen. Womöglich Anhänger des Regimes. Präsident Baschar al Assad plant, Immobilien wie diese zu beschlagnahmen.

„Es ist der Versuch, uns endgültig zu entwurzeln“

Die Drohung betrifft Millionen Syrer. All jene, die vor Jahren ins Ausland oder in andere Landesteile geflohen sind, weil sie nicht in der Armee des Diktators dienen wollten. Allein von den 750000 syrischen Flüchtlingen, die aktuell in Deutschland leben, besitzen geschätzt 40 Prozent Wohnungen oder Häuser. Jene, die zu Assad gehalten haben, kommen so zu Reichtum. Khalid Abdulrahman sagt: „Es ist der Versuch, uns endgültig zu entwurzeln.“

Den Plan dazu hat im Februar der Brigadegeneral Elias al Bitar auf einer Pressekonferenz verkündet. Al Bitar leitet die „Abteilung für Wehrdienst-Befreiung und Reserve“. Am Tag der Pressekonferenz saß er am Schreibtisch vor einem Ölgemälde, das Diktator Assad mit Sonnenbrille zeigt, um ihn herum glitzerten Sterne.

Brigadegeneral Elias al Bitar stellt den neuen Plan des Regimes vor.
Brigadegeneral Elias al Bitar stellt den neuen Plan des Regimes vor.

© Screenshot: Youtube

Wer sich geweigert habe, für das Regime zu kämpfen, müsse umgerechnet 8000 US-Dollar zahlen, verkündete al Bitar. Wer nicht zahle, dessen Eigentum werde beschlagnahmt. Und wer keines besitze, der sei schuld daran, dass die Regierung den Besitz seiner Eltern, Kinder oder Großeltern enteigne.

Die Aufzeichnung der Pressekonferenz verbreitete sich im Internet, Khalid Abdulrahman entdeckte sie auf Facebook. Er sagt: „Das Regime gibt sich nicht damit zufrieden, dass sie uns gezwungen haben, unser Heimatland zu verlassen. Jetzt wollen sie auch noch unsere Spuren und Erinnerungen auslöschen.“

Das Ziel: ein homogenes Syrien

Die Ankündigung, Angehörige zu enteignen, verstößt gegen syrisches Recht, aber was heißt das schon unter diesem Regime, sagt Abdulrahman. Bis jetzt haben seine Eltern, die noch in Syrien leben, keine Zahlungsaufforderung bekommen.

Natürlich sei Assad bewusst, dass die Mehrheit derjenigen, die seit Ausbruch des Bürgerkriegs geflohen sind, keine 8000 Dollar aufbringen kann. „Doch selbst wenn ich das Geld hätte, würde ich es nicht hergeben“, sagt Abdulrahman. Das Regime würde es benutzen, um noch mehr Menschen zu töten.

Die Strategie, Regimegegner zugunsten loyaler Landsleute zu enteignen und so ein homogenes Syrien zu schaffen, verfolgt Assad seit spätestens 2018. Damals erließ er das sogenannte Dekret Nummer 10, das die Ausweisung von im Krieg zerstörten Flächen zur Neubebauung regeln sollte: Demnach würde Eigentümern ein Monat Zeit bleiben, um ihre Ansprüche zu dokumentieren, was aus dem Exil heraus unmöglich wäre. Andernfalls sollte die Fläche an den Staat übergehen.

Es war von Beginn an die Strategie Assads, Gegner seines Regimes und Kritiker zu vertreiben und ihre Rückkehr zu erschweren

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion

Die Bundesregierung kritisierte das Vorhaben damals: Nachdem das Regime und seine Verbündeten ganze Regionen belagert, bombardiert und die Zivilbevölkerung zur Flucht gezwungen hatte, sollten die Menschen nun „unter fadenscheinigem Vorwand enteignet und um Haus und Hof gebracht werden“. Nach internationalem Druck stoppte Assad das Dekret zunächst für ein Jahr.

„Es war von Beginn an die Strategie Assads, Gegner seines Regimes und Kritiker zu vertreiben und ihre Rückkehr zu erschweren“, erklärt Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Der neueste Plan, den Assads Brigadegeneral im Februar verkündete, treibe „den Zynismus des Regimes auf die Spitze“. Syriens Präsident müsse wissen, dass „willkürliche Enteignungen europäische Hilfen für den dringend notwendigen Wiederaufbau Syriens unmöglich machen“.

Straßenszene in einem östlichen Vorort von Damaskus, im März 2021. 
Straßenszene in einem östlichen Vorort von Damaskus, im März 2021. 

© Reuters/Omar Sanadiki

Für seinen Kollegen von den Grünen, Omid Nouripour, zeigt die mögliche Enteignung von Kriegsdienstverweigerern „einmal mehr die Rechtlosigkeit, die weiterhin in Syrien unter dem Assad-Regime herrscht“. Das Land bleibe auf „nicht absehbare Zeit unsicher für Geflüchtete“.

Der Bundestagsabgeordnete Bijan Djir-Sarai von der FDP sagt, Assad habe kein Interesse daran, den Geflüchteten eine Rückkehrperspektive zu eröffnen. Leider spielten Deutschland und Europa in der seit zehn Jahren andauernden Krise keine Rolle: „Der Ton wird nachweislich von Moskau und Teheran angegeben.“

Tatsächlich hat das Regime nie aufgehört, Häuser und Grundstücke zu enteignen, sagt Fadel Abdul Ghani, der Gründer des syrischen Netzwerks für Menschenrechte, am Telefon. Seine Organisation ist ein Kooperationspartner von Human Rights Watch. Sie hat Hunderte Fälle dokumentiert, in denen die Regierung Häuser, Fabriken oder Ackerland ihren Besitzern nahm.

Die Botschaft lautet: Kehrt nicht zurück. Ihr habt keinen Platz mehr in Syrien und ihr besitzt nichts

Abdul Ghani, Netzwerk für Menschenrechte

„Sie verfolgt damit mehrere Ziele“, sagt Ghani. „Einerseits die Bestrafung von Menschen, die in Regionen lebten, die nicht vom Regime kontrolliert wurden. Andererseits eine Belohnung seiner Unterstützer für deren Loyalität.“ Davon abgesehen stellten Enteignungen eine wichtige Geldquelle für das Regime dar - genau wie die jetzige Forderung, einer Enteignung durch die Zahlung von 8000 Dollar zu entgehen.

Die Botschaft für jene, die ihr Eigentum nun verlören, sei eindeutig, sagt Abdul Ghani: „Sie lautet: ,Kehrt nicht zurück. Ihr habt keinen Platz mehr in Syrien und ihr besitzt nichts.’“

Zu Beginn dieses Jahres übernahm das Regime mehr als 44 000 Hektar Ackerland in den Regionen von Hama und Idlib - und versteigerte es unter Assad-Anhängern. Die Gebiete gehören Geflüchteten, von denen sich die meisten außerhalb Syriens befinden, sie wurden nicht über die Auktionen informiert.

Achteinhalb Hektar, Tomaten, Gurken, Mais

Einer von ihnen heißt Anas Tarbush. Der 37-Jährige stammt aus Sahl ar Ruj, einer wasserreichen Region im westlichen Teil der Provinz Idlib. Vor einem Jahr griff die syrische Armee die Region an, Tarbush musste mit seiner Frau und drei Töchtern weiter nach Norden fliehen, in das kleine Gebiet, das bis heute von Aufständischen besetzt ist. Seine Familie lebt in einem Flüchtlingslager nahe der syrisch-türkischen Grenze.

Am Telefon sagt er, in seinem früheren Leben habe er achteinhalb Hektar besessen, darauf Tomaten, Gurken und Mais gepflanzt, 70 Olivenbäume standen auf dem Grundstück. Anas Tarbush besitzt Fotos, auf denen er mit seinen Kindern in den Feldern spielt oder die Pflanzen versorgt.

Anas Tarbush auf seinem Grundstück.
Anas Tarbush auf seinem Grundstück.

© privat

Auf den Facebookseiten von Assad-Anhängern las er von den bevorstehenden Auktionen. „Da ist große Hilflosigkeit, wenn man zusehen muss, wie das eigene Land illegal verkauft wird und man nichts dagegen tun kann.“ Das Regime habe auch eine offizielle Begründung für das Vorgehen genannt: Das Land gehöre schließlich Terroristen. Anas Tarbush sagt: „Jeder, der Assads Gegner ist, gilt als Terrorist.“

Im Flüchtlingslager arbeitet er für Hilfsorganisationen. Hier herrscht die sogenannte „syrische Heilsregierung“, die von Al-Kaida nahestehenden Islamisten installiert wurde. Derzeit existiert eine brüchige Waffenruhe. Die verbliebenen Rebellengebiete in Idlib werden von der Türkei geschützt, deren Armee hat hier Dutzende Stützpunkte errichtet. Im Frühjahr 2020 einigten sich die Türkei und Syriens Schutzmacht Russland auf einen Waffenstillstand.

Was aus dem Haus geworden ist, weiß er nicht

Auf der anderen Seite der Mauer, in der Türkei, lebt Rabih Al Hamoui, 32. Auch er ist vor Assad geflohen, auch er heißt eigentlich anders. Vor drei Jahren habe er in seinem Exil einen Anruf seines früheren Nachbarn erhalten. Der habe ihm berichtet, Soldaten hätten Möbel aus seinem Haus gestohlen und machten sich dort breit. Seine drei Hektar Ackerland, die er von seinem Vater geerbt hatte, seien beschlagnahmt worden. „Sie wurden inzwischen versteigert“, sagt er. „Ausschließlich an Schabiha.“ Gemeint sind damit Regimetreue, die sich an Verbrechen gegen Zivilisten beteiligt haben.

Was aus dem Haus geworden ist, wisse Al Hamoui nicht. Er sagt, er könne auch keinen Verwandten zu einer Behörde schicken, um nachzufragen. „Derjenige würde verhaftet werden.“

In seiner Heimatstadt lebten vor dem Krieg 20 000 Menschen. Nach der Eroberung durch Assads Truppen hat das Regime der Zivilbevölkerung erlaubt, zurückzukehren. Wer nicht gegen das Regime sei, habe nichts zu befürchten. Bis heute kamen etwa 400, sagt Rabih Al Hamoui.

Dafür ist Platz für große Bauprojekte. Hinter einigen steckt der Iran, dessen Milizen seit 2011 an der Seite Assads im Bürgerkrieg kämpfen. In Hejira, acht Kilometer südlich von Damaskus, wird gerade ein sogenannter „Unterhaltungskomplex“ gebaut. Er liegt am Rande eines Wohngebiets, in das nach Ende der Kampfhandlungen nur wenige Bewohner zurückgekehrt sind. Er liegt aber auch in der Nähe einer Region, die als Hochburg iranischer Milizen gilt.

Der Unterhaltungskomplex soll einmal Basketball- und Tennisplätze enthalten, ein Fußballstadion mit Tribünen, einen Versammlungsplatz mit Fontäne, Gärten und Spielplätze. Entlang der Außenmauer wehen schon jetzt die Flaggen iranischer Milizen.

„Wir wissen, dass der Iran viele Gebiete in Syrien kauft“, sagt Abdul Ghani, der Gründer des syrischen Netzwerks für Menschenrechte. Die Aktivitäten beschränkten sich nicht nur auf die Hauptstadtregion. Während in einigen Fällen direkt der iranische Staat als Käufer auftrete, agiere anderswo die von Teheran finanzierte Terrormiliz Hisbollah.

Jedes Frühjahr, sagt Anas Tarbush, habe sein Grundstück grün geleuchtet. Er sagt, dass er dieses Land zurückhaben möchte. Deshalb werde er nicht versuchen, ins Ausland zu gehen, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Sondern im Flüchtlingslager bleiben und „in der Hoffnung leben, dass ich eines Tages alles zurückbekomme“. Und dass Assad und seine Vollstrecker vor internationalen Gerichten angeklagt werden. „Diese Hoffnungen aufzugeben, kommt nicht infrage.“

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