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Ehemann Robert (Bozidar Kocevsk) versucht seiner Frau Kathleen (Franziska Hartmann) Trost zu spenden.

© WDR/kineo Film/Michael Kotschi

Drama im Ersten: Tod beim Kita-Ausflug

Das TV-Drama „Kalt“ handelt vom Alptraum aller Eltern und Erzieher. Wer trägt die Verantwortung für allgegenwärtige Risiken?

Eine ganz alltägliche Situation verwandelt sich in einen Alptraum: Bei einem Kita-Ausflug, bei dem drei Erzieherinnen mit 17 Kindern in die nahe Natur losziehen, verlassen zwei Kinder die Gruppe und stürzen ins eisige Wasser. Als Gruppenleiterin Kathleen Selchow (Franziska Hartmann) ihr Fehlen bemerkt und zum Fluss eilt, ist es für den kleinen Nico zu spät. Und ob die ins Krankenhaus eingelieferte Jenny überlebt, bleibt ungewiss.

Wie groß ist die Schuld der Erzieherinnen? Wer trägt die Verantwortung für allgegenwärtige Risiken? Und: Wie kann das Leben weitergehen nach einem solchen Unglück? Das WDR-Drama „Kalt“ ist ein seltenes Beispiel dafür, dass sich Produktionsfirmen (Kineo, Potsdam) und Sender jenseits der allgegenwärtigen Krimis noch an existenzielle Stoffe mit sorgfältig entwickelten Figuren wagen. („Kalt“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15)

„Kalt“ ist es hier buchstäblich von Anfang an, auch in den grauen und farblich matt gehaltenen Bildern. Der Fernsehfilm nach dem Drehbuch des Pädagogen und Grimme-Preisträgers Hans-Ullrich Krause („Der Fall Bruckner“) ist ein enorm intensives Nachbarschafts-Drama, bedächtig und ohne überflüssige Worte inszeniert (Regie: Stephan Lacant).

Die offene Frage, was genau geschehen ist, hält die Spannung von Anfang an hoch. Kathleen Selchow war ins eisige Wasser gesprungen, um die beiden Kinder zu retten. In eine Wärmefolie gehüllt, wird sie von der Polizei nach Hause gefahren. Sie steigt vorzeitig aus dem Wagen, um an einer Tür in der Nachbarschaft zu klingeln.

„Es ist alles gut“, sagt Robert. Das Gegenteil ist wahr.

„Können wir reden?“, ruft Kathleen. Aber Nicos Mutter Melanie Sieten (Patricia Aulitzky) öffnet nicht. Zuhause wird Kathleen von ihrem Mann Robert (Božidar Kocevski) in den Arm genommen. „Es ist alles gut“, behauptet Robert, das Gegenteil ist natürlich wahr. Das Publikum ist zu keinem Zeitpunkt schlauer als Kathleen und sieht das Unglück allein mittels der grobkörnigen Erinnerungsbilder in Kathleens Kopf, die nach und nach den Ablauf rekonstruieren.

In der Reihenhaussiedlung kennt jeder jeden, alle wissen Bescheid, gehen Kathleen fortan aus dem Weg oder blicken ihr stumm hinterher. Regisseur Lacant, ein Spezialist für eindringliche Dramen („Toter Winkel“, „Freier Fall“, „Fremde Tochter“), weiß ihre plötzliche Ausgrenzung ohne viele Worte zu erzählen. Und Franziska Hartmann gelingt es, die schiere Verzweiflung, die Empathie, aber auch die Robustheit der Figur überzeugend zu verkörpern.

Kathleen verkriecht sich nicht, sucht das Gespräch mit ihren Kolleginnen und versucht herauszufinden, welche Schuld sie persönlich an der Tragödie trifft. Dass sie Teile des Geschehens verdrängt zu haben scheint, ist angesichts des gewaltigen Schocks nachvollziehbar. Etwas gewagt erscheint allenfalls, dass sie der Aufforderung der Anwältin (Deniz Orta) folgt und persönlich bei Jennys Familie nach Umständen forscht, die sie entlasten könnten.

„Mich hat interessiert, wie es um die Frage des ‚Risikos‘ steht“, sagt der 1954 geborene Autor Hans-Ullrich Krause. „Moderne Gesellschaften setzen sehr viel daran, Risiken einzugrenzen, zu verringern oder ganz auszuschließen.“ Doch der Versuch, alles zu kontrollieren, führe in einer Nebenwirkung dazu, dass Menschen ihre Achtsamkeit verlören.

„Wir haben kein Gefühl mehr für Gefahren, wir haben keinen Instinkt dafür, dass etwas schief gehen könnte“, sagt Krause. Es sei natürlich absolut wichtig, Risiken einzuschränken. „Aber: Niemand sollte sich sicher fühlen, nur weil er oder sie sich an die Regel hält.“

Krause nimmt in dem Film auch die Kinder in den Blick, insbesondere Kathleens Sohn Luca (Johann Barnstorf), den die mögliche Mitschuld seiner Mutter am Tod seines Spielkameraden aus der Nachbarschaft stark verunsichert. Einerseits wehrt sich Luca aggressiv gegen Anfeindungen in der Schule, andererseits sucht er den Kontakt zu Nicos Mutter. Auch Jennys Bruder Ronald (Rankin Duffy) erhält eine keineswegs unbedeutende Nebenrolle.

Zugleich lenkt der Film die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des nicht gerade üppig entlohnten Berufs Erzieherin. Kathleens Kolleginnen, die bei dem Ausflug ebenfalls für die Aufsicht über die Gruppe zuständig waren, reagieren unterschiedlich, die eine mit unversöhnlicher Abgrenzung, die andere mit dem Ausstieg aus der Berufsausbildung. „Alles gut“ wird gewiss nichts, aber der Film findet eine Antwort auf die Frage, was es bedeutet, nach einer solchen Tragödie Verantwortung zu übernehmen.

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