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© Starz Media

Historien-Serie auf Starzplay: Triumph des Y-Chromosoms

Der Mangel an Privatsphäre ist für Zuschauer des 21. Jahrhunderts auf bizarre Art sehenswert. Die Serie „The Serpent Queen“ zeigt Frauen auf der Höhe ihrer Macht

Wer glaubt, die Generation Instagram breite als erste ihr Leben komplett vor Publikum aus, kennt die Generation Cinquecento schlecht. Glaubt man der Starz-Serie „The Serpent Queen“, vollzog sich Mitte des 16. Jahrhunderts nahezu alles vor aller Augen.

Bräute entjungfern, Furunkel entfernen, Notdurft verrichten, Freunde betrügen, Verwandte demütigen – nichts schien damals zu vertraulich für öffentliche Aufmerksamkeit. Dieser Mangel an Privatsphäre ist für Zuschauer des 21. Jahrhunderts auf bizarre Art sehenswert – und damit ein kleines Fernsehwunder von Justin Haythe.

Vorm Seriendebüt für Western („Lone Ranger“), Action („Snitch“), Lovestorys („Revolutionary Road“) und Popkultur („Bohemian Rhapsody“) zuständig, hat der englische Autor aus alldem ein Stück Historytainment gebastelt, das fiktionale Maßstäbe setzt („The Serpent Queen“, Starzplay, jeden Sonntag eine neue der acht Folgen).

Ausnahmefall einer maximal männlichen Epoche

Dafür ist allerdings in den acht Folgen weniger die Darstellung intimer Verrichtungen durch Regisseurin Stacie Passon verantwortlich als ihre Titelfigur: Caterina di Medici, mächtigste Frau der Renaissance, also Ausnahmefall einer maximal männlichen Epoche.

Und das kam so: Da ihre Eltern (gut sichtbar) an der Syphilis sterben, landet die Tochter im Kloster – bis ihr Onkel Papst Clemens VII. sie entführen und Frankreichs Kronprinz Henri heiraten lässt, um die Macht der Herrschersippe zu festigen. Was der Prinzessin so virtuos gelingt, dass sie als zehnfache Mutter zur Königin aufsteigt. Der Handlungsrahmen ist historisch belegt, die meisten Charaktere auch, und wie üblich im Genre sind Kostüme, Kulissen, Habitus absolut akkurat, die Rahmenbedingungen also authentisch.

Bis auf, nun ja, alles andere. Denn abseits aller Fakten, die den Karneval früherer Epochen naturgemäß umfloren, führt der künstlerische Freiheitsdrang von Passon und Haythe alle Wahrhaftigkeit mit Death Metal, Gaultier-Roben und Monologen in die Kamera ad absurdum.

Wenn sich Samantha Morton als reife Caterine zu Beginn eine Magd zur Komplizin dressiert, ist von deren Haut (Schwarz) bis zur Sprache („wow!“) daher vieles unzeitgemäß, aber zielführend. Einerseits, weil sie Rahima (Sennia Nanua) beim täglichen Frühstück ihren Aufstieg erzählt. Andererseits, da die Gegenwart beider vor Andeutungen unserer Zukunft strotzt.

Optisch ist „The Serpent Queen“ also retrospektive Unterhaltung; unter den Puffärmeln und Pluderhosen aber könnte der weibliche Selbstermächtigungsprozesse auch heute stattfinden. Schließlich stößt die Königin in spe schon als Teenager (Liv Hill) an gläserne Decken, die heute unwesentlich brüchiger sind als vor fast 500 Jahren.

Kein Wunder, dass Schlangen unterm Rock der Strippenzieherin hervorkriechen

Alles andere als attraktiv oder geachtet, hat die junge Medici da zwei Optionen, dem Teufelskreis von Misogynie, Bodyshaming und Fremd-Judging zu entkommen: femininer als die weibliche Konkurrenz zu sein oder maskuliner als die männliche. Es wird dann doch beides.

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Unterstützt von einem Team ähnlich Ausgestoßener von der kleinwüchsigen Mathilda (Kiruna Stamell) bis zum Magier Cosimo (Enzo Cilenti), lässt sich das hässliche Entlein von Guido Maria Kretschmers Renaissance-Version zum stolzen Schwan aufmöbeln und kriegt so den Fuß in die Tür des französischen Hofes, wo er die Platzhirsche an Skrupellosigkeit übertrifft.

Kein Wunder, dass im Vorspann Schlangen unterm Rock der Strippenzieherin hervorkriechen und den Serientitel „Serpent Queen“ somit auch visuell belegen.

Hier trotzt eine Frau den Herren die Macht mit deren Mitteln ab und bedient sich dabei diverser Geschlechtsgenossinnen wie Diane de Poitiers (Ludivine Sagnier). „Du muss ihm einen Sohn schenken, dann bist du frei“, rät sie ihrer Cousine und Nebenbuhlerin, denn: „Freiheit bedeutet Macht.“ Und die nutzt Caterine auch, um sich der Vasallen, Höflinge und Speichellecker bei Hofe zu entledigen, denen die Evolution X-Chromosomen verpasst – Genmutationen also, die Stacie Passon mit feministischer Freude zerlegt.

Bis auf wenige Ausnahmen wie Barry Atsma als Herzog de Montmorency, sind Kerle hier infantile Knalltüten mit Herz aus Stein und Hirn im Hodensack. Dass Cosima vom angry young girl zur ebenso wütenden Frau über 40 wird, ist angesichts der toxischen Männlichkeit nachvollziehbar wie ihr Versuch, dasselbe mit Rahima zu tun.

Auch wenn sie züchtige Kleider tragen, haben die Damen also die Hosen an. Das mag nicht ganz der Realität entsprechen, ist aber von aberwitzigem Unterhaltungswert – und macht „The Serpent Queen“ zur besten Geschichtsserie seit langem.

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