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Martin Gehlen (Archivbild von 2011)

© Katharina Eglau

Ein Leben für die Menschen: Nahostkenner und Korrespondent Martin Gehlen ist tot

Noch am Samstag erschien eine seiner fundierten Analysen. Nun ist Martin Gehlen, Nahostkenner und Freund der arabischen Welt, gestorben. Ein Nachruf.

Tunis. Die Stadt, seine Zuflucht. Um nahe bei denen bleiben zu können, die ihm und seiner Frau Katharina Eglau so sehr ans Herz gewachsen waren. Damit sie beide sich nicht zu sehr in Gefahr brachten, zogen sie 2017 dorthin. „Immer wieder verzaubern uns die Menschen mit ihrer Freundlichkeit und ihrem Humor“, erzählte Martin Gehlen Kolleg:innen so oft von seinen Begegnungen im Nahen Osten. In Israel, den Palästinensischen Gebieten, Iran, Libyen, Ägypten und so vielen anderen Ländern, die für viele Menschen allzu oft vor allem mit Terror, Gewalt und Hass verbunden werden. Aber eben auch mit Hoffnung. Die beiden – auch sie eine Kollegin – fühlten sich wohl.

Der Arabische Frühling hat Martin Gehlen elektrisiert. Die Menschen, die voller Elan und Ausdauer 2011 auf dem Tahrir-Platz für ihre Rechte und gegen Hosni Mubarak demonstrierten. Tag für Tag, Nacht für Nacht. Er und seine Frau, die Fotografin mit Leib und Seele ist, waren meist mittendrin. Er, der äußerlich meist so zurückhaltende und besonnene Kollege, fieberte mit den Ägyptern.

Diese Zeiten waren aber nicht nur ereignisreiche Tage und Wochen, in denen ein Reporter mitten in der ganz großen Historie unterwegs ist. Dort, wohin die ganze Welt gespannt schaut. Doch diese Zeit war auch für ihn nicht einfach. Plötzlich konnte niemand sagen, ob es eine Hatz auf ausländische Journalisten geben würde. Wir haben ihn angerufen, waren ständig persönlich in Kontakt. Nicht nur wegen seiner kenntnisreichen und immer empathischen Berichte. Sondern, weil wir uns um den Menschen Martin Gehlen sorgten. Das waren schwere Stunden.

Wie weit sollten und dürften wir seinem Wunsch nachgeben, auf jeden Fall zu bleiben. Martin Gehlen ging Vorräte einkaufen und verbarrikadierte sich im Wortsinne in seiner Wohnung. „Hier kommt so schnell keiner rein“, erzählte er damals am Telefon. Und sollte sich die Situation zuspitzen, versprach ich als Ressortleiterin ihm, ich würde ihn im Zweifel selbst dort rausholen kommen und heim holen. Und wir wussten beide, das war kein leeres Versprechen.

Am Anfang schimpfte er fast jeden Tag

Vom unserem ersten Tag beim Tagesspiegel an – im Juli 1990 – waren wir Tischnachbarn. Für Martin Gehlen, den ruhigen Journalisten, hinter dem man zunächst gar nicht einen gebürtigen Rheinländer vermutete (er kam aus Düsseldorf), war der Wechsel aus Ulm nach Berlin ein Schock. Diese direkten Menschen. Dieser Dreck in der Stadt. Am Anfang schimpfte er fast jeden Tag. Aber er ließ sich rasch auf die Menschen ein. Und es dauerte nicht lange, da guckte er sich nach einer Wohnung um, in der er auf Dauer an der Spree bleiben könnte.

Als er zum Tagesspiegel kam, glaubte Martin Gehlen nicht im Traum daran, dass er einmal Korrespondent im Nahen Osten werden würde. Sein erster Tag im damaligen Nachrichtenressort: ein Schock für den immer bestens organisierten Journalisten und akribisch arbeitenden wie denkenden Wissenschaftler.

Für ihn waren möglichst viele verschieden Quellen ein inneres Bedürfnis, also ging er sofort ins Archiv. Er kam wie vom Donner gerührt zurück: Dort waren die Artikel auf Pappe aufgeklebt. In der Redaktion hatten noch nicht einmal alle eine elektronische Schreibmaschine.

Martin Gehlen und Katharina Eglau beim Tagesspiegel-Salon 2013 im Verlagshaus

© Thilo Rückeis

Martin Gehlen war kein Mann der Vergangenheit. Ruhig und beharrlich erarbeitet sich der sozial engagierte und interessierte Biologe einen Namen als Gesundheitsexperte und Kirchenmann, blickte auf die USA und deren Klimapolitik – über die wir zum Ende des Rio-Gipfels nicht einer Meinung waren. Aber er war Argumenten immer offen. Und er archivierte seine Quellen fein säuberlich in Aktenordnern.

Er ging als Fellow für einige Zeit nach Harvard und Paris, studierte in Jerusalem. Schließlich promovierte er neben seinem Job in der Politikredaktion. Dafür stand er extra früh auf. Er arbeitete verlässlich wie immer und achtete darauf, dass trotz allem auch seine geliebte Kultur nicht zu kurz kam. Ja, er engagierte sich sogar für die Kollegen im Betriebsrat. 2008 ging er als Korrespondent für mehrere Zeitungen nach Kairo. Beschwingt und fröhlich.

Wegen der sich zuspitzenden Lage zogen er und seine Frau 2017 nach Tunis. Am Samstag früh erschien eine seiner fundierten Analysen aus der arabischen Welt in der Ulmer „Südwestpresse“. Der Titel: „Das Comeback des IS“. An diesem Tag starb unser hoch geachteter Kollege, ein sehr feiner Mensch, an den Folgen eines Herzinfarktes. Er wurde nur 64 Jahre alt.

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