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In dieser Serie muss niemand die kulturellen Wurzeln negieren: Lamia (Amel Charif, li.) und ihre Freundin Meriem (Sogol Faghani).

© ARD Degeto/Albrecht Grünhagen

TV-Serie „Lamia“: Innerkulturelle Kollisionen

Eine sechsteilige ARD-Serie stellt migrantisches Leben auf ungewohnt entspannte Art dar.

Wer den Begriff „Culture Clash“ verwendet, meint damit meist interkulturelle Kollisionen unterschiedener Sitten und Gebräuche, Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse. Wenn hierzulande auf Bildschirm oder Leinwand Kulturen ineinander krachen, dann bevorzugt diejenigen Alteingesessener christlich-okzidentaler Prägung mit derjenigen hinzugezogener muslimisch-orientalischer Prägung. Häufig trägt das dann drollige Titel wie „Türkisch für Anfänger“ oder „Der Hodscha und die Piepenkötter“, was gängige Klischees zwar oft wohlmeinend karikieren soll, sie am Ende aber nur reproduziert.

Falls ein Culture-Clash-Format mal von diesem Automatismus abweicht, stammt es in der Regel von Fatih Akin, aus Frankreich oder ist gar keine interkulturelle, sondern eine innerkulturelle Kollision und heißt zum Beispiel: „Lamia“. In der sechsteiligen Dramedy erleben wir die algerische Hauptfigur nämlich nur selten im mehr oder weniger tragikomischen Konflikt mit „Almans“, wie Deutschstämmige hier genannt werden. Sie kollidieren eher mit ihresgleichen. Und das ist wirklich neu.

Von Schweden über die Türkei nach Deutschland: Regisseurin Süheyla Schwenk

Regisseurin Süheyla Schwenk, in Schweden geboren und über die türkische Heimat ihrer Ahnen nach Deutschland gekommen, schildert uns das Leben der algerischen Familie Mazouz und nur das. Vater Said (Husam Chadat) war einst in die DDR geflohen und lernte dort seine Frau Radia (Sahra Daugreilh) kennen, mit der er nach dem Mauerfall zwei Kinder bekam: erst Lamia (Amel Charif), dann Younes (Shadi Eck), mit denen sie beengt, aber scheinbar zufrieden in einer kleinen Mietwohnung leben.

Liefe die Serie nicht in der ARD-Mediathek, sondern – sagen wir: am Degeto-Freitag zur linearen Primetime, würde Lamias Sippe deshalb andauernd auf Eingeborene voller Marotten treffen, die sich mit denen der vermeintlich Fremden auf heitere Art und Weise reiben. Diese Begegnungen gibt es auch hier, sie sind allerdings alles andere als komisch. Weil Lamia in Ruhe ihr Studium beenden will, nimmt sie an einer Wohnungsbesichtigung teil und wird sofort Opfer rassistischer Vorurteile.

Eben noch servil und höflich, erstarrt die Maklerin beim Namen der (hier geborenen) Algerierin und verbietet ihr anders als der deutschen Konkurrenz im selben Raum, Fotos zu machen. Was den Auftakt habitueller Gegensatzpaare am laufenden Meter bilden könnte, ist allerdings die Ausnahme. Fortan nämlich hält sich Lamia vornehmlich in der eigenen Blase auf. Dort hat der Writers Room von Sarah Kilter und Nilgün Akinci schließlich mehr als genug kulturelle Schlachtfelder vorgefunden.

Es clasht also auch ohne nennenswerte Beteiligung Blutsdeutscher gehörig im Hause Mazouz. Dem strengen Vater geht der Freiheitsdrang der unverheirateten Tochter zu weit, ihrer besten Freundin Sina (Amina Merai) nicht weit genug, während Saids Verhältnis zu Radia unter einem Geheimnis aus seiner DDR-Vergangenheit leidet und ihr Sohn erwägt, nach Algerien zu ziehen, was die Geflüchteten von früher entsetzt ablehnen.

Es knirscht im häuslichen Gebälk

Da es auch finanziell knirscht im häuslichen Gebälk, lässt Süheyla Schwenk ihr Personal also reichlich Alltagsdebattenstoff durchkauen. Sie wagt dabei jedoch Erstaunliches: zum einen reden die Mazouz’ und ihr Umfeld zweisprachig, was der Serie große Authentizität verleiht. Zum anderen muss niemand zwanghaft die Gepflogenheiten der historischen Herkunft negieren, weshalb Lamia und ihr neuer Schwarm Edi (Eidin Jalali) viel über den Islam diskutieren, statt ihn als traditionellen Ballast abzulehnen.

Ein so entspannter Umgang mit Vergangenheit und Zukunft ausländisch verwurzelter Charaktere war bislang die Ausnahme der hiesigen Fernsehunterhaltung. Selbst Kompromisse wie jener, dass emigrierte Algerier zur Minimierung störender Untertitel auch miteinander oft Deutsch reden, stört nicht weiter.

Wenn Lamia beim Pizzaessen mit Said darüber streitet, ob es „der“ oder „das“ Rand heißt, wenn sie beim ersten Moscheebesuch ins Frauenkabuff abgeschoben wird und davor auch noch Vorwürfe für ihre lackierten Fingernägel erntet, wenn die haltsuchende Mittzwanzigerin ihr ungültiges Gebet zuhause nachholt und als Zeichen von Allah ein Wohnungsangebot aufs Handy kriegt – dann ist „Lamia“ trotz kleiner Mängel ein kultureller Komödien-Clash, auf den das Genre lange warten musste. „Lamia“, sechs Folgen zu ca. 20 Minuten, ab Freitag in der ARD-Mediathek, ab Montag um 21 Uhr 35 bei One

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