zum Hauptinhalt
Luise soll von zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren erstochen worden sein.

© dpa/Roberto Pfeil

Gewaltbereitschaft unter Kindern: Ist der Fall Luise tatsächlich „ein verstörender Höhepunkt“?

Der Tod der 12-jährigen Luise aus Freudenberg lässt bisher viele Fragen offen. NRW-Ministerpräsident Wüst blickt mit Sorge auf die Entwicklung der jüngeren Generation.

Von Leah Nowak

Im siegerländischen Freudenberg wird die 12-jährige Luise in einem Waldstück tot aufgefunden. Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren geben zu, sie am 11. März erstochen zu haben.

Die Tat schlägt insbesondere aufgrund des Alters der Täterinnen Wellen. Nicht nur die Frage nach dem Motiv beschäftigt die Öffentlichkeit, sondern auch die Sorge über die Gewaltbereitschaft innerhalb der jüngeren Generation.

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst äußerte sich bestürzt über die Tat. „Es ist unvorstellbar und kaum auszuhalten, dass Kinder zu solchen Taten fähig sein sollen“, sagte Wüst am Dienstag in Düsseldorf.

Mit Sorge fügte er hinzu, dass es seit einigen Jahren eine beunruhigende Zunahme von Straf- und Gewalttaten durch Jugendliche, auch durch Kinder unter 14 Jahren, gebe. Die Tat sei ein „zutiefst verstörender Höhepunkt der Gewalt von Minderjährigen“, sagte Wüst weiter. Die Ursachen dieser Entwicklung müssten untersucht und Präventionsarbeit geleistet werden. Aber stimmt das auch?

Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes (BKA) weist bei der Frage nach Gewalttaten durch Jugendliche eine eher gegenläufige Tendenz auf. Auf Grundlage der von den 16 Bundeskriminalämtern gelieferten Landesdaten bieten die Statistiken einen umfassenden Überblick über das Kriminalgeschehen innerhalb Deutschlands.

Nimmt die Gewalt durch Kinder und Jugendliche zu?

Während im Jahr 2015 noch 79.371 Straftaten von unter 14-Jährigen registriert wurden, sank die Zahl im Laufe der Jahre stetig. Im Jahr 2019 lag sie bei 72.890 Fällen. Bis ins Jahr 2021 blieb die Zahl der Straftaten deutlich hinter dem Wert von 2015 zurück. Mit 68.725 Straftaten waren es mehr als 10.000 Fälle weniger. Auch die Zahl der Straftaten, die von 14 bis 18-Jährigen begangen wurden, sank von 218.025 Fällen im Jahr 2015 auf 154.889 im Jahr 2021.

Am 14. März suchen Polizisten am Fundort der getöteten Luise nach weiteren Hinweisen.
Am 14. März suchen Polizisten am Fundort der getöteten Luise nach weiteren Hinweisen.

© dpa/Roberto Pfeil

Die Kriminalstatistik für das Land Nordrhein-Westfalen liefert ein ähnliches Ergebnis. Auch in dieser Statistik waren die durch Kinder und Jugendliche verübten Straftaten über die Jahre bis 2021 rückläufig.

Auf Anfrage bestätigte das nordrhein-westfälische Innenministerium jedoch einen deutlichen Zuwachs von Straftaten im vergangenen Jahr. Demnach sei die Zahl der Straftaten durch Kinder unter 14 Jahren 2022 von zuvor 14.851 auf 20.948 Fälle geradezu sprunghaft angestiegen.

Langfristiger Rückgang von Jugendgewalt

Clemens Kroneberg, Professor für Soziologie am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln, warnt davor, plötzliche Anstiege überzuinterpretieren. Langfristig sei in vielen westlichen Ländern, darunter auch Deutschland, ein deutlicher Rückgang von Jugendgewalt zu beobachten. Gleichzeitig gebe es immer wieder einzelne Ausschläge. Für den plötzlichen Anstieg im vergangenen Jahr könnten nach Kroneberg zum Beispiel die Folgen der Pandemie eine Rolle spielen.

„Wir wissen, dass eine kleine Prozentzahl aller Kinder und Jugendlichen für den überwiegenden Teil aller Gewaltdelikte verantwortlich ist“, sagt der Wissenschaftler. Falle deren Verhalten im Schulalltag auf, würden dadurch regelmäßig Prozesse losgetreten, die die Kinder bei der Regulierung ihres Verhaltens unterstützten. Hinzu kämen weitere externe Unterstützungsangebote, die während der Pandemie fehlten.

„Durch die Schulschließungen ist dieses Frühwarnsystem während der Corona-Pandemie für einige Kohorten von Kindern außer Kraft gesetzt worden“, sagt Kroneberg. Es bestehe also ein deutlicher Nachholbedarf im sozialen Lernen und der Unterstützung von verhaltensauffälligen Kindern.

Debatte um Strafmündigkeit

Auch wenn die Straf- und Gewalttaten unter Kindern und Jugendlichen langfristig abnehmen, wiegen Taten, wie die in Freudenberg, besonders schwer. Es handele sich um eine „außergewöhnlich erschütternde Tat“, sagte Oberstaatsanwalt Mannweiler. 

Ermittler schweigen bislang zu konkreten Details, die Rückschlüsse auf die Beweggründe der mutmaßlichen Täterinnen zuließen. Die Frage nach dem Motiv sei bei kindlichen Täterinnen höchst komplex. Vermutlich hätten „irgendwelche Emotionen“ eine Rolle gespielt, hieß es bislang.

Neben die Frage nach dem Motiv war zuletzt eine Debatte über die Strafbarkeit Minderjähriger getreten. In Deutschland beginnt die Strafmündigekeit mit 14 Jahren, weshalb die Tat strafrechtlich keine Konsequenzen für die mutmaßlichen Täterinnen hätte. Das heiße aber nicht, dass „nichts gemacht werde“, betonte Oberstaatsanwalt Mannweiler zuletzt. Man werde diesen Fall jetzt in die Hände der Jugendbehörden legen. Klarer ist dagegen: Einen besorgniserregenden Anstieg von brutaler Kinder- und Jugendgewalt gibt es auf längere Sicht gesehen derzeit nicht – eher ist das Gegenteil der Fall.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false