zum Hauptinhalt
Vor dem Sturm. Das Löwenbräu-Festzelt, zwei Tage bevor das Fest eröffnet wird.

© IMAGO/Wolfgang Maria Weber/imago

Gleich ein lärmender und schwitzender Kosmos: Die Mutter aller Oktoberfeste eröffnet

Jährlich wieder: München spielt München, wie es in der Realität nicht ist. Und die ganze Welt spielt mit. Dabei bleibt auch diesmal alles, wie es immer war.

Es braucht nicht viel prophetischer Gabe, um vorherzusehen, dass der Münchner SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter wieder nur zwei Schläge benötigt, um beim Oktoberfest das erste Fass anzuzapfen. An diesem Sonnabend um 12 Uhr ist das der Fall, dann heißt es „O’zapft is!“ und die 188. Wiesn ist eröffnet. Die erste Maß erhält Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der vermutlich nur daran nippt.

Die sonst einem tristen Schotterfeld gleichende Theresienwiese verwandelt sich bis zum 3. Oktober in einen bunten, lärmenden, schwitzenden Kosmos. Würste und Lebkuchenherzen werden verkauft, die Fahrgeschäfte donnern in irrsinniger Geschwindigkeit in alle Richtungen. In den 14 großen Festzelten und den zahlreichen kleineren wird gefeiert, das Münchner Bier strömt.

Ob die Maßkrüge für die Durstigen wohl reichen?
Ob die Maßkrüge für die Durstigen wohl reichen?

© dpa/Sven Hoppe

Es gibt in Deutschland und in der ganzen Welt viele Oktoberfeste – der Name ist nicht geschützt –, aber nur ein einziges richtiges, die Urmutter aller anderen: das Münchner. Dieses sprengt auch alle Dimensionen. Auf 42 Hektar (59 Fußballfelder) ist es das größte Volksfest der Welt.

Pro Jahr kommen um die sechs Millionen Besucher, es gibt 120.000 Sitzplätze in den Zelten und den Außenbereichen. 2022 wurden 5,6 Millionen Maß Bier verkauft – eine mäßige Bilanz – und um die 800.000 halbe Hendl verzehrt. Außerdem 177 Ochsen.

Das einzig Neue auf dieser Wiesn: das Fahrgeschäft „Mr. Gravity“ bei dem man rauf und runter geschleudert wird. Das klingt allerdings nicht besonders originell.
Das einzig Neue auf dieser Wiesn: das Fahrgeschäft „Mr. Gravity“ bei dem man rauf und runter geschleudert wird. Das klingt allerdings nicht besonders originell.

© dpa/Sven Hoppe

Obwohl die Wiesn häufig mit singenden und tanzenden ausländischen Gästen verbunden wird, ist sie doch mehrheitlich ein Fest der Münchner. 60 Prozent der Besucher stammen aus der Landeshauptstadt, zwölf Prozent aus dem restlichen Bayern.

Neun Prozent sind aus anderen Bundesländern. Die übrigen 19 Prozent reisen mehrheitlich aus den Ländern Italien, den USA, England, Australien oder Österreich an.

Beliebtes Mitbringsel, das dann gerne in den Flur gehängt und dort zum Inventar wird.
Beliebtes Mitbringsel, das dann gerne in den Flur gehängt und dort zum Inventar wird.

© dpa/Sven Hoppe

Was gibt es dieses Jahr an Neuem? Die Antwort ist ernüchternd, wie eigentlich fast jedes Jahr – nahezu nichts. Einzig ganz neu unter den Fahrgeschäften ist „Mr. Gravity“. In Zweier-Gondeln sitzen die Besucher und werden in Kreisen rauf und runter durch die Luft geschleudert.

Bei den Zelten ändert sich nichts. Die Leih-E-Scooter wiederum sind erstmals speziell präpariert: Um das Gefährt in Gang zu bringen, muss auf der App ein Reaktionstest bestanden werden. Damit soll verhindert werden, dass Besucher volltrunken fahren.

Kein Schnäppchen. Und doch nur der Durchschnittspreis in diesem Jahr – es geht noch teurer.
Kein Schnäppchen. Und doch nur der Durchschnittspreis in diesem Jahr – es geht noch teurer.

© dpa/Sven Hoppe

Größeres Augenmerk wird dieses Jahr auf das Bräurosl-Zelt gerichtet. Der 2022 dort neue Wirt Peter Reichert war mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen Hygienevorschriften verstoßen sowie einen Mitarbeiter geschlagen zu haben.

Auch die Musik hatte nicht gestimmt: Eine Kapelle spielte von morgens bis abends traditionelle Volksmusik, das Publikum forderte zum Feiern aber die bekannt Pop- und Rock-Kracher. Jetzt hat Reichert das Zelt sozusagen nochmal auf Bewährung bekommen.

Für einen Besuch des Oktoberfestes sollte man seine Bank nach dem Überziehungskredit fragen. Die Maß Bier kostet zwischen 12,60 und 14,90 Euro, meist werden 14,50 verlangt. Das ist eine durchschnittliche Erhöhung von 6,12 Prozent.

Wann gilt die Maß rechtlich als „sauber eingeschenkt“?

Mit 0,9 Litern Bier im Krug oder mehr gilt eine Maß rechtlich als „sauber eingschenkt“. Tafelwasser kostet der Liter im Schnitt 10,04 Euro, Spezi 11,65. Neu sind vier Zapfstellen für kostenloses Trinkwasser.

Für ein konventionelles halbes Hendl muss man 14 bis 15 Euro berappen, in Bio-Qualität 20,50 Euro. Dazu braucht es aber mindestens noch einen Kartoffelsalat (um die fünf Euro).

Um überhaupt einen Tisch oder eine Box in einem Zelt zu bekommen, bedarf es gewisser Anstrengung. Schon im Frühjahr beginnen die Reservierungen. Jetzt erhält man für die Abende praktisch nichts mehr.

Verzehrgutscheine sind an Zehner-Tischen Pflicht

Für die Belegung eines Zehner-Tisches müssen Verzehrgutscheine etwa für zwei Maß Bier und ein halbes Hendl pro Person gekauft werden. Vor allem Mittags besteht aber die Pflicht, eine gewisse Anzahl an Plätzen für Gäste ohne Reservierungen freizuhalten.

Das Oktoberfest erscheint über die Jahre hinweg betrachtet als Wiederkehr des ewig Gleichen. München spielt München, wie es in der Realität nicht ist. Und die ganze Welt spielt mit.

Der Freiburger Soziologe Sacha Szabo sagte dazu einmal: „Das vereinzelte Ich geht in einem rauschhaften Wir auf. Da alle Normen und Regeln des Alltags ... außer Kraft gesetzt sind, wird hier ein Jenseits des Alltags geschaffen.“

Die Wiesn geht auch immer wieder einher mit Belästigungen und Gewalt vor allem gegen Frauen. 2022 gab es drei angezeigte Vergewaltigungen und 55 sexuelle Übergriffe.

Für Mädchen und Frauen, die sich bedroht fühlen oder bedroht werden, gibt es den Ort „Safe Space“ hinter dem Schottenhamelzelt. „Sichere Wiesn“ heißt die Aktion, Ehrenamtliche kümmern sich dort um Betroffene.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false