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Streit zwischen Drogendealern? Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren in der belgischen Hauptstadt Tote gegeben.

© dpa/HATIM KAGHAT

Schusswechsel auf offener Straße: Drogenclans in Brüssel bekämpfen sich

Die Polizei geht von Banden aus, die mit immer brutaleren Mitteln um die Vorherrschaft in der belgischen Hauptstadt kämpfen. Die Politiker sind offenbar hilflos.

Brüssel wird von einer Welle der Gewalt heimgesucht. In den vergangenen Tagen kam es immer wieder zu Schießereien. Zuletzt wurde ein junger Mann im Stadtteil Saint-Gilles erschossen. Auch an diesem Wochenende berichten Anwohner der Innenstadt von einem Schusswechsel auf offener Straße. Die Polizei geht davon aus, dass es sich in allen Fällen um rivalisierende Banden handelt, die mit immer brutaleren Mitteln um die Vorherrschaft beim Verkauf von Drogen kämpfen.

Polizei und Politik scheinen gegenüber der Brutalität machtlos und haben begonnen, sich die Verantwortung gegenseitig zuzuschieben, was im belgischen Bürokratiedschungel immer wieder gerne gemacht wird. Rudi Vervoort (PS), Ministerpräsident der Region Brüssel, betonte angesichts der Vorfälle, dass er zwar Kompetenzen habe, die aktuelle Situation aber in den Bereich der Bundesregierung und der Bundeskriminalpolizei falle.

Die Bundesregierung rührt sich nicht, das Innenministerium macht nichts, also sind wir zwangsläufig hilflos.

Rudi Vervoort, Sozialist

Im Fall der Polizei sieht er allerdings ein strukturelles Problem, da zu viele Stellen nicht besetzt seien, um dann kräftig gegen seine Politikerkollegen auszuteilen. „Die Bundesregierung rührt sich nicht, das Innenministerium macht nichts, also sind wir zwangsläufig hilflos“, klagt der Sozialist Rudi Vervoort.

Will die Drogenmafia aus Marseile in Brüssel Fuß fassen?

Der liberale Justizminister Paul Van Tigchelt sieht die Bundesregierung allerdings zu Unrecht an den Pranger gestellt. Er betonte bei der Präsentation des Jahresberichts der Bundespolizei, dass man es mit einer völlig neuen Situation zu tun habe. Vieles deute darauf hin, dass die Drogenmafia aus Marseille versuche, in Brüssel Fuß zu fassen. Das aber ist eine Annahme, die nicht von allen Experten geteilt wird.

Als gesichert gilt allerdings, dass die öffentlich ausgetragenen Konflikte nur die Spitze des Eisberges sind. Die Experten der Polizei sind überzeugt, dass die Dunkelziffer der Gewalttaten in dem äußerst verschlossenen Milieu wesentlich höher liege. In der Regel würden die Opfer keine Anzeige erstatten oder die Verletzungen von den Krankenhäusern nicht gemeldet. Es gelte das Gesetz des Schweigens. „Das Phänomen ist wesentlich größer, als die Statistiken zeigen“, heißt es von Seiten der Polizei.

Die Polizei geht davon aus, dass albanische Clans die Führung übernommen haben

In Brüssel ist die Brutalität dieser Bandenkriege neu. Bisher galt vor allem Antwerpen als Hochburg der Drogenkriminalität. Die knapp über eine halbe Million Einwohner zählende Stadt ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Umschlagplätze für Drogen in Europa geworden.

Nun schwappt diese Gewalt nach Brüssel. Als Grund nennt die Polizei, dass der Kampf um die „Territorien“ schärfer geworden sei. In der belgischen Hauptstadt hätten inzwischen albanische Clans die Führung übernommen, für die die Stadt eine Art logistischer Knotenpunkt geworden sei. Die importierten Drogen würden von dort nach Südosteuropa weitertransportiert.

Tatort Peterbos: Die Hochhaussiedlung gilt als ein Zentrum des Drogenhandels

Immer wieder fällt dabei der Name der schmucklosen Hochhaussiedlung Peterbos, die zur Brüsseler Gemeinde Anderlecht gehört und als ein Zentrum des Drogenhandels gilt. Doch auch deren Bürgermeister Fabrice Cumps kann nur seine Hilflosigkeit zu Protokoll geben. Es sei wichtig, gegen die Entwicklung anzukämpfen, sagt der Lokalpolitiker. Aber er räumt ein: „Die Banden sind so organisiert, dass es für uns schwierig ist.“

Und auch Cécile Jodogne, Bürgermeisterin von Schaerbeek, ein Viertel von eher zweifelhaftem Ruf, erklärt, dass die Lokalpolitiker vor Ort allenfalls den Straßenhandel bekämpfen könnten. Wichtiger sei es, die Hinterleute auszuschalten, das übersteige aber die Möglichkeiten der Bürgermeister.

Ein großer Prozess bietet einen tiefen Einblick in das Geschäft

Der belgischen Justiz kann im Kampf gegen die Drogenclans kaum Untätigkeit vorgeworfen werden. Im Moment läuft in Brüssel der größte Strafprozess der Geschichte des Landes. Auf der Anklagebank sitzen 125 Männer und Frauen. Zugleich bietet der Prozess einen erschreckend tiefen Einblick ins Geschäft. Denn die Beschuldigten kommen nicht nur aus aller Herren Länder und einem mehr als zwielichtigen Milieu. Verantworten müssen sich auch ein ehemaliger Fußballprofi, ein Anwalt und ein Polizist.

Auch bei einer groß angelegten Razzia in Brüssel wurden in diesen Tagen zwei Polizeibeamte festgenommen, die mit dem Drogenclans kooperiert haben sollen. Die europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA in Lissabon betont, dass der illegale Kokain-Handel als eine der lukrativsten Einnahmequellen für die organisierte Kriminalität in Europa gelte.

Damit einher gehe Korruption im sehr großen Stil. Vom Hafenarbeiter, über Sicherheitskräfte, die private Wirtschaft und auch Regierungsangestellte würden viele Menschen von Drogengeschäften irgendwie profitieren. Dagegen sei nur schwer anzukommen, heißt es von Seiten der Drogenbeobachtungsstelle. Es sei ein Kampf gegen eine Hydra.

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