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Viktor Pylypenko.

© privat

LGBT-Militär in der Ukraine: „Im Krieg verschwimmen soziale Herkunft und Status“

Viktor Pylypenko leitet eine Vereinigung von queeren Militärangehörigen in der Ukraine. Im Interview spricht er über die Situation in der Armee, Solidarität und Ungleichbehandlungen.

Viktor Pylypenko leitet die Vereinigung „Ukrainisches LGBT-Militär für gleiche Rechte“. Momentan dient er bei den Streitkräften der Ukraine in der Nähe von Vuhledar im Bezirk Volnovakha in der Region Donezk. Der 37-Jährige ist eigentlich Übersetzer und arbeitete als Projektmanager in Menschenrechtsorganisationen.

Wie kam es zu der Gründung einer Vereinigung von LGBT-Militärs?
Wir bestehen als informeller Verein seit 2018, seit 2021 sind wir offiziell eingetragen. Aktuell sind wir rund 180 aktive Mitglieder. Auf Facebook hat die Seite „LGBT Military and Our Allies“ (LGBT-Militär und unsere Verbündeten) sogar etwa 4000 Abonnenten. Das sind Vertreter der Zivilgesellschaft, zum Beispiel Journalisten, Anwälte, heterosexuelle Militärs, die uns offen unterstützen.

Sie waren schon 2014 als Freiwilliger an der Front, erst in der Region Luhansk, dann in Donezk, wo Sie bis 2016 dienten. Jetzt kämpfen Sie erneut. Warum sind Sie in den Krieg zurückgekehrt?
Ich meldete mich vor einem Jahr am 25. Februar als Freiwilliger beim Rekrutierungsbüro. Ich schloss mich der 72. Brigade der Schwarzen Kosaken an meinem Wohnort an. Ich war in den Regionen Tschernihiw, Sumy und Charkiw eingesetzt. In der Region Charkiw lieferten wir uns eine schwere Schlacht, in der wir leider viele Verluste erlitten. Als letztes ging es in die Region Donezk, zu Verteidigungskämpfen in vielen Siedlungen.

Wie denken Ihre Kollegen über Ihre sexuelle Orientierung?
Ich habe viele Freunde und Kollegen, die sich für mich einsetzen. Sobald jemand Fragen hatte oder Missverständnisse auftauchten, gab es immer meine Brüder, die mich verteidigten und sich für mich einsetzten. Wir sind hier alle Menschen, und wir bewerten uns gegenseitig in erster Linie nach unseren menschlichen Qualitäten und nach unserer Effizienz in der Einheit und im Kampf. Wenn Sie ein guter Mensch sind, spielt es keine Rolle, ob Sie heterosexuell oder homosexuell sind. Im Krieg verschwimmen soziale Herkunft und sozialer Status.

Welche rechtlichen Probleme bestehen für ukrainische LGBT-Soldaten?
Die ukrainische Gesellschaft ist bereits offener geworden. Der Staat hinkt da in rechtlicher Hinsicht ein wenig hinterher. Aber ich denke, wir werden dieses Problem bald lösen. Stirbt ein homosexueller Soldat im Krieg oder wird er verwundet, hat sein Partner nicht die gleichen Rechte wie die Frau eines heterosexuellen Soldaten. Das muss sich ändern. Ich hoffe wirklich, dass wir die vollständige Gleichstellung der Ehe einführen.

Ich weiß, dass meine Kollegen und ich unser Land zum Besseren verändern. Es geht um gleiche Rechte für alle Bürger des Landes. Ich bin mit meinem Freund seit zwei Jahren zusammen, er wartet im Krieg auf mich. Warum sollten wir anders behandelt werden?

Gab es Momente, in denen Sie mit dem Leben bereits abgeschlossen hatten?
Dieser Krieg ist sehr schrecklich. Die russische Artillerie ist sehr stark. Wenn die russische Artillerie, russische Panzer auf mich zukommen, auf meinen Graben und auf meinen Unterstand – da schien es mir tatsächlich schon so, dass ich sterben würde.. Meine Kameraden wurden getötet, ich musste meinerseits schon Menschen töten. Ich sehe viel Schreckliches.

Ich habe schon ein kleines Testament geschrieben und es nur meiner Schwester geschickt, mit der Bitte, es zu veröffentlichen, sollte das Schlimmste passieren. Sie soll es dann an meine Mutter und meinen geliebten Freund weitergeben. Ich möchte, dass meine Familie auch nach meinem Tod ein erfülltes Leben führen kann.

Viktor, was ist Ihr größter Traum?
Ich würde mir wünschen, dass uns unsere internationalen Partner noch mehr mit schweren Waffen unterstützen. Dies würde uns ermöglichen, die russische Armee schneller zurückzuschlagen. Wir würden endlich in Frieden leben. Meine Schwester, ihr Mann und ihre drei Kinder leben jetzt in Deutschland. Sie wohnten vorher nur zehn Kilometer von Bucha entfernt. Es gelang ihnen zu entkommen, obwohl die Gefahr bestand, dass ihr Konvoi beschossen werden könnte. Ich vermisse meine Familie sehr und möchte sie so bald wie möglich wiedersehen.

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