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Das in Berlin lebende Paar Linda und Charlotte erlebte Gewalt in einem Bus.

© Thomas Funk

Queerfeindlichkeit: Was der Hass mit Betroffenen macht

In seiner Dokumentation „Hass gegen Queer“ spricht Tristan Ferland Milewski mit Betroffenen queerfeindlicher Attacken. Ein harter, wichtiger Film.

Geschwollene Gesichter, zerstörte Regenbogenflaggen, Todesdrohungen – ab der ersten Minute schlägt Tristan Ferland Milewski in seiner Dokumentation „Hass gegen Queer“ einen harten Ton an. Der ist dem Thema angemessen, denn die Zahl der Übergriffe auf Mitglieder der LGBTIQ-Community steigt in Westeuropa seit Jahren kontinuierlich an.

Einige Gesichter hinter der Statistik kommen im Film zu Wort. So berichten etwa Charlotte und Linda aus Berlin, wie sie einmal mit ihrer damals dreieinhalbjährigen Tochter im Bus unterwegs waren und von einem Mann verbal bedrängt wurden. Bevor sie aussteigen konnten, schlug er Charlotte ins Gesicht. Keiner der Fahrgäste sagte etwas, half dem Paar oder rief die Polizei.

Ähnlich erging es Arnaud, der mitten in Paris von einer Gruppe Jugendlicher attackiert und schwer am Auge verletzt wurde. Seither bewegt er sich ängstlicher durch die Stadt – aber er ist auch kämpferischer geworden, hat seinen Fall öffentlich gemacht und ein Buch geschrieben. Charlotte schrieb ebenfalls über ihre Erfahrung; es half ihr, aus der Opferrolle herauszutreten.

Die Offenheit, mit der sie und Linda über ihre Scham und verinnerlichte Homofeindlichkeit sprechen, gehört zu den bewegendsten Elementen der Dokumentation, die die lebensverändernden Folgen von Übergriffen durch eine Vielzahl von Beispielen verdeutlicht.

„Bis zu dieser Sekunde dachten wir, wir sind wie alle anderen. Wir sind zwei Eltern, das Kind ist in der Kita und das Leben ist schön“, erzählt Charlotte auf dem heimischen Sofa. Diese Gewissheit sei durch die Attacke zerschmettert worden. Was bei ihr und Linda zu einem tiefgreifenden Bewusstseinswandel führte. Sie sprechen jetzt selbstbewusst über ihr Lesbischsein, zeigen es offener, nicht mehr nur verschämt und verbrämt.

Zwischen die Interviewsegmente schneidet Regisseur Milewski, der mit „Dream Boat“ 2017 eine tolle Doku über ein Kreuzfahrtschiff für Schwule gedreht hat, immer wieder Nachrichtenmeldungen über queerfeindliche Attacken aus den verschiedensten Ländern. Sie vermitteln einen Eindruck von deren Allgegenwärtigkeit.

Zum queeren Alltag gehört auch, dass die Angreifenden oft keine Fremden sind. Trans Frau Janis wurde als Kind zu Hause geschlagen, der schwule Terry von der Schwester geoutet und vom Vater rausgeworfen. Marilén wurde als einzige sichtbare Lesbe an ihrer Schule gemobbt und im Fußballverein vom Trainer belästigt.

Für nicht-weiße Menschen kommen überdies rassistische Erfahrungen hinzu, worauf „Hass gegen Queer“ ebenfalls auf einfühlsame Weise eingeht So zeigt er etwa Leo und Ria, beide trans und in der Berliner Ballroom-Szene aktiv, bei ihren Auftritten und lässt sie erklären, wie bestärkend es für beide war, dort erstmals mit Menschen zusammenzutreffen, die sind wie sie. Die Ausschnitte aus den Voguing-Wettbewerben machen diese Empowerment-Erfahrung unmittelbar anschaulich – und bringen Glam in die Reportage, die trotz des heftigen Themas keinen hoffnungslosen Tonfall anschlägt.

Dazu tragen sommerliche Drehorte, knallbunte Studiohintergründe, aber vor allem die umsichtig gewählten Protagonist*innen bei, die alle einen Weg gefunden haben, vor der Kamera über ihre Erlebnisse zu sprechen. Auch wenn dabei mitunter Tränen fließen oder Worte ins Stocken geraten, stehen ihre Kraft und ihr Stolz im Vordergrund. „Hass gegen Queer“ ist ein vielstimmiges Dokument queerer Widerständigkeit und gibt auch jenen eine Stimme, die angesichts von Gewalt verstummt sind.

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