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Lausitz

© Ulrike Wiebrecht

Lausitzer Seenland: Symphonien im Sand

Vor zehn Jahren wurde das groß angelegte IBA-Projekt "Lausitzer Seenland" ins Leben gerufen. Nun wird der Erfolg gefeiert.

Sand, wohin das Auge sieht. Auch wenn pro Sekunde etwa 13 Badewannen Wasser in den ehemaligen Tagebau Meuro fließen, wird es noch ein paar Jahre brauchen, bis das riesige Erdloch gefüllt ist und man vom Seehotel Großräschen aus tatsächlich in den Ilsesee springen kann. Immerhin rückt das Wasser näher und näher. Und wenn das Seehotel ohne (vollständig gefüllten) See vor einiger Zeit von so manchem Gast noch als verwegene Mogelpackung belächelt wurde – heute stößt es mit seiner Auslastung bereits an die Grenzen seiner Kapazität.

Offenbar gibt es genügend Besucher, die den Verwandlungsprozess im Gebiet der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land hautnah miterleben wollen. Die einen starten vom Besucherzentrum in Großräschen zu Wanderungen unter dem Motto „Reise zum Mars“, die anderen zu Jeep-Safaris oder Radtouren entlang den neuen Seeufern.

Noch vor 15 Jahren schien das unvorstellbar. Wer wäre damals freiwillig dorthin gefahren? 150 Jahre lang wurde in der Niederlausitz Braunkohle gefördert, Berge und Flüsse versetzt sowie ganze Dörfer weggebaggert. Zurück blieb eine tiefgreifend zerstörte, vergiftete Landschaft. 1999 traten dann die IBA-Macher an, um zehn Jahre lang mit 25 Projekten Prozesse zu einer kreativen Nachnutzung der Tagebaufolgelandschaft anzustoßen und den Landschaftsumbau zu begleiten. „Ich vergleiche unsere Projekte gern mit Akupunkturnadeln, die an bestimmten Punkten angesetzt werden, um von dort aus auf die Umgebung auszustrahlen“, beschreibt IBA-Geschäftsführer Rolf Kuhn die Arbeit seiner Zukunftswerkstatt.

Lange Zeit war die geplante Wasserlandschaft mit 23 ganz unterschiedlichen Seen nur eine strahlende Vision. Inzwischen ist sie Realität geworden. Auch wenn noch nicht alle stillgelegten Kohlegruben vollständig geflutet sind – bereits jetzt locken Strände, Tauch- und Surfschulen.

Künftig werden die Gemeinden und andere Institutionen dafür sorgen, dass auch noch der tausend Meter lange Steg über den Sedlitzer See, das Lagunendorf und weitere schwimmende Häuser realisiert werden. Doch schon jetzt hat die Region als „Lausitzer Seenland“ ein neues, touristisches Gesicht bekommen. „Und in fünfzig Jahren wird der Landschaft vermutlich keiner mehr ansehen, dass sie künstlich entstanden ist“, davon ist Dieter Hütte, Geschäftsführer der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH, überzeugt.

Er ist ein bisschen traurig, dass die IBA in diesem Jahr zu Ende geht. Immerhin hat sie ihre Mission erfüllt. So ist es an der Zeit, ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren. Tatsächlich kann, wer sich in der Niederlausitz umsieht, nicht nur zahlreiche neue Seen entdecken. Auch Industriedenkmäler wie die Biotürme von Lauchhammer, die Brikettfabrik Louise oder die Förderbrücke F 60, der sogenannte liegende Eiffelturm in Lichterfeld-Schacksdorf, wurden konserviert und zu wahren Besuchermagneten. Zu neuen Hotels gesellen sich Ausflugsrestaurants, Beach Bars und Campingplätze, auf den Seen schwimmen neben ansehnlichen Ferienhäusern auch sogenannte Grill & Chill-Boote.

Wie der Verwandlungsprozess von der Braunkohle- zur Freizeitregion vonstatten ging, zeigt die Ausstellung „Die Neueroberung einer Landschaft“, die vom 24. April an im IBA-Besucherzentrum in Großräschen zu sehen ist. Doch ebenso wichtig wie die Projekte und ihre technische Realisierung ist den IBA-Machern die Frage, wie es den hier lebenden Menschen mit dem Landschaftsumbau ergangen ist. Was halten sie von der Neueroberung der Landschaft? Haben sie aktiv mitgewirkt und vielleicht neue Arbeit gefunden? Oder empfinden sie die Veränderungen nur als neue Zumutungen?

„Bei den Menschen, die das alles in den vergangenen zehn Jahren vollbrachten, hat die IBA Spuren hinterlassen“, konstatiert Geschäftsführer Rolf Kuhn. Sie hätten wieder Stolz, Hoffnung und Unternehmungsgeist.

Gerade, weil sich die Internationale Bauausstellung als eine Art „IBA von unten“ versteht, die sich vier Landkreise gegen den Willen der damaligen brandenburgischen Landesregierung erkämpfen mussten, sollen die Anwohner und ihre Befindlichkeiten im Abschlussjahr die Hauptrolle spielen. Und zwar im wortwörtlichen Sinn: Anstatt eine große Show mit den üblich verdächtigen Stars einzukaufen, lassen die Verantwortlichen die Lausitzer selber zu Schauspielern und Musikern werden. Dafür hat der Schweizer Regisseur Jürg Montalta über mehrere Jahre mit ihnen sieben Inszenierungen unter dem Motto „Paradies 2“ erarbeitet, die von Ende April bis September in Kohlegruben, Kirchenruinen oder Kraftwerken aufgeführt werden. Auf die unkonventionellen Darbietungen darf man gespannt sein. Schon die Auftaktveranstaltung am 24. April verspricht mit mehr als 300 Sängern, einer Kapelle, Fanfarenspielern, Trommlern und Glockengeläut außergewöhnliche Seh- und Hörerlebnisse am Ilsesee.

Dabei geht es Jürg Montalta keineswegs um Effekthascherei. „Der Tagebau hat nicht nur Wunden in der Landschaft, sondern auch in den Seelen der Menschen hinterlassen.“ Davon ist er überzeugt. Deshalb wollte er zunächst genau wissen, was sie erlebt und welche Erwartungen sie an ihre Zukunft haben. Zum Beispiel die Schlabendorfer: Ihr Dorf bei Luckau feiert in diesem Jahr sein 800-jähriges Bestehen. Aber eigentlich hätte es zu diesem Jubiläum gar nicht kommen sollen. Denn zu DDR-Zeiten sollte der Ort dem Bergbau weichen. „Dreißig Jahre lang saßen wir auf gepackten Koffern, durften kein Haus renovieren und rein gar nichts am Dorf verschönern“, erinnert sich einer der Anwohner. Er hätte sogar seinen Sohn, der jung verstarb, in einer anderen Gemeinde beerdigt, weil er glaubte, das Grab werde sonst über kurz oder lang weggebaggert. Wie ein Damoklesschwert hing das Schicksal über dem Ort. Dann kam die Wende – und Schlabendorf durfte bleiben.

Natürlich war die Freude groß. Die Häuser wurden saniert, die Umgebung zum Sielmann’schen Naturpark, die ehemalige Kohlegrube zu einem See mit Marina, wo die Schulkinder heute segeln lernen. Doch die Traumata der Vergangenheit verschwanden nicht einfach wie das Tagebauloch im neuen Schlabendorfer See. Wie ein Psychotherapeut hat sich der Schweizer Regisseur angehört, was die Menschen hier im Lauf der Jahrzehnte durchgemacht haben. „Erst waren wir skeptisch, fragten uns, was der Schweizer Künstler von uns will“, erinnert sich eine Dorfbewohnerin. „Aber dann haben wir gemerkt, dass uns die wöchentlichen Gespräche mit ihm gut tun. Und jetzt können wir uns gar nicht vorstellen, wie es künftig ohne ihn sein wird.“

Nachdem Montalta die Schlabendorfer zum Sprechen brachte, bringt er sie nun auch zum Musizieren. Ende Mai werden sie zusammen mit griechischen Musikern und der englischen Komponistin Hazel Leach eine „Zeitgenössische Dorfmusik in fünf Sätzen“ präsentieren und dabei „Das Geheimnis von Schlabendorf“ – so der offizielle Titel – lüften. Ob es darin besteht, dass aus dem 800-jährigen Dorf eine Art zweites Paradies geworden ist?

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