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Hallo Manhattan: Blick aus dem Bürogebäude 25 Kent

© courtesy HWKN Architecture

Service wie im Hotel.: Schöner Arbeiten

Auch das neue Jahr hat für viele im Homeoffice begonnen. Braucht es da überhaupt noch Büros? Und ob, sagt der New Yorker Matthias Hollwich.

Ein paar Minuten noch, dann beginnt das Pressegespräch für die Ausstellung. Matthias Hollwich irritiert das Gewusel nicht. Der Wahl-New Yorker, der eigentlich noch unter Jetlag leiden müsste, sitzt entspannt in der Ecke, fischt aus einer Plastiktüte Playmobilfiguren und setzt sie zusammen. Die hölzernen Wesen, die Hollwich eigentlich für seine Schau in Berlin hat anfertigen lassen, hängen im Zoll fest. Auch davon lässt er sich nicht nervös machen. Hat er eben Ersatz gekauft.

Denn was ist Architektur ohne Menschen? Nichts, findet der 50-Jährige, der die Nutzer:innen seiner Gebäude, ob in Brooklyn, Bochum oder New Jersey, als seine eigentlichen Auftraggeber:innen betrachtet. Bürogebäude bilden einen Schwerpunkt von Hollwichs Arbeit. Auch in der Zukunft. Denn die Frage, ob man so was überhaupt noch braucht in Zeiten des Homeoffices, hat er schnell beantwortet. Auf jeden Fall! Weniger zwar – aber raffinierter, attraktiver, individuelle, komfortablerr. Räume, in denen es vor allem darum geht, andere Menschen zu treffen, Teamgeist und Kreativität zu entwickeln, sich fortzubilden, auch die Identifikation mit dem Unternehmen zu stärken. Immerhin arbeiten knapp 37 Prozent der deutschen Berufstätigen in Büros.

Der Architekt Matthias Hollwich

© courtesy HWKN Architecture

Hollwich, der bei Stars wie Diller + Scofidio, Peter Eisenman und Rem Koolhaas gearbeitet hat, bevor er sein eigenes Büro HWKN gründete, ist um Einfälle nicht verlegen. Das Magazin „Fast Company“ wählte ihn zu einem der zehn innovativsten Architekten der Welt. Sein Ausgangspunkt ist dabei immer das Leben. Auch das eigene. So ist der Schreibtisch schon lange nicht sein einziger Arbeitsplatz. Wenn er morgens in Manhattan zum Büro radelt, eine knappe halbe Stunde mit Blick auf den Hudson, Musik im Ohr – „das ist für mich die kreativste Zeit, wo ich über Entwürfe nachdenke, Ideen entwickle“.

„Wir befinden uns mitten in einer Revolution“, sagt Hollwich. „Die Pandemie hat auch hier Entwicklungen beschleunigt, die vorher schon begonnen hatten.“ Drei Haupttrends hat er dabei beobachtet:

Erstens „Hub and Spoke“: ein Netz mit der Firmenzentrale in der Mitte und diversen Außenstellen, seien es Homeoffice, kleine Firmenableger oder ein Coworking Space drumherum.

Zweitens Hotelling: „dass in ein Bürogebäude viel mehr Service reinkommt“, man einfach Konferenzräume buchen kann, Essen geliefert wird. „Wenn jemand nur noch einmal in der Woche kommt, soll alles da sein und funktionieren.“

Drittens: Emotionen und Erlebnisse. Firmen, die um Talente kämpfen, wie in der IT-Branche, müssen diesen etwas bieten, Homeoffice-Fans müssen angelockt werden. Das können Begegnungen sein, gemeinsame Mittagessen oder, wie bei HWKN, ein Film über neue Architektur in Indien.

Vom Büro zur Wohnung

Flexibilität hält Hollwich schon bei der Planung für essenziell. So legt er Büros inzwischen so an, dass sie bei Bedarf und ohne allzu großen Aufwand in Wohnungen umgewandelt werden können, dort, wo es das Baurecht erlaubt. Die Bewohner werden sich freuen: Büroräume sind höher als die durchschnittlichen Wohnräume.

Da die Firmen dank des Homeoffices jetzt weniger Flächen finanzieren müssen, können sie, so Hollwich, auch mehr Geld für das, was übrig bleibt, ausgeben. Und trotzdem noch sparen. Wie das im luxuriösesten Fall aussehen kann, wird er bald demonstrieren. In London hat der Architekt einen Wettbewerb gewonnen, um das erste Büro-Resort der Welt einzurichten. Ein Ort nicht für jeden Arbeitstag, sondern ganz besondere Anlässe – das Sahnehäubchen.

Für seinen Entwurf hat Hollwich im Robinson Club recherchiert und festgestellt, dass die Willkommenskultur ganz wesentlichen Anteil an dessen Erfolg hat, die persönliche Begrüßung und Verabschiedung. Dass da jemand ist, der sich um einen kümmert. „,Hey, Matthias,’“, simuliert er ein Gespräch, „,ich hab’ dir einen Tisch reserviert, mit Leuten, die dich interessieren könnten, und um 14 Uhr kannst du die Computerprogrammfortbildung machen, die du dir gewünscht hast.“

Die Animation ist vielleicht nicht jedermanns Sache, klingt auch schwer nach schöner neuer elitärer und dem Arbeitnehmer dienenden Digital- und Start-up-Welt. Aber das Problem, Mitarbeiter:innen zu finden, zieht sich durch alle Branchen. Firmen müssen einen attraktiven Arbeitsplatz anbieten, um Leute anzulocken – und zu halten. Die Jungen, so Hollwich, blieben durchschnittlich drei Jahre in einem Betrieb. Um die Verweildauer auf sechs zu verdoppeln, lohnt sich selbst eine große Investition. Denn neue Leute zu finden und einzuarbeiten, das kostet. Zeit und Geld.

Die Münchner Macherei, mit öffentlicher Passage.

© cortesy HWKN architecture

Auch die eigenen Erfahrungen in der Zeit des Lockdowns fließen jetzt in seine Büroentwürfe ein. Nie hätte er gedacht, erzählt Hollwich, dass ein Architekturbüro digital so gut funktionieren kann. Jetzt überlässt er es seinen Mitarbeiter:innen, von denen einige gerade Eltern geworden sind, wann und wo sie arbeiten. Nur zu gemeinsamen Meetings kommen alle zusammen.

Wie wichtig der menschliche Faktor, das Informelle ist, hätten sie im Lockdown schnell gemerkt – und sich jeden Morgen zum Videogespräch getroffen, in dem sie über alles Mögliche sprachen, nur nicht über die Arbeit. Auch wenn inzwischen viele wieder vor Ort arbeiten, treffen sie sich noch dreimal in der Woche virtuell, Montagmorgen, Mittwochmittag und Freitagabend zur Happy Hour.

Spirit Bochum - mit Café und Fitnessstudio

© courtesy HWKN Architecture

Die Bedeutung des menschlichen Miteinanders hat der Münchener von klein auf erlebt. Die reise- und lebenslustige Familie lebte im Mehrgenerationenhaus. Trotz angeschlagener Gesundheit, erzählt Hollwich, musste die Großmutter nie ins Heim, alle halfen mit. „Wir haben uns immer gefreut, wenn die Omi da saß.“ Später, als 40-jähriger Architekturprofessor, hat er ein Seminar über „Better Aging“ gehalten und ein Buch dazu geschrieben, in dem es vor allem um die Vorsorge geht. Sport treiben, soziale Kontakte pflegen, alle zehn Jahre Bilanz ziehen ... Er hält sich selbst daran.

Das Mehrgenerationenkonzept empfiehlt er auch Firmen. „Man muss überlegen, was können die Jungen, was die Mittleren, was die Alten am besten. Und nicht die Älteren dazu zwingen, digital aufzurüsten. Deren Wert liegt in Wissen, Kontakten, Erfahrungen.“ In seinem Büro ist er mit 50 der Älteste. Doch im Beraterteam, mit dem er sich alle zwei Wochen trifft, sitzen erheblich Betagtere. Und nicht nur Designer, auch Produktentwickler, Brandingexperten, Investoren....

Die Mischung macht’s: Diese Idee zieht sich durch all seine Projekte. Selbst wenn einzelne Elemente an die Pseudofreizeitgesellschaft der New Economy mit ihren Edelcafeterien, Lümmelsofas und Tischfußball erinnern – ein wesentlicher Unterschied ist die Beziehung zur Umgebung. Silicon Valley ist eine hermetische Campus-Welt. Hollwich legt Wert darauf, Bauten in die Nachbarschaft zu integrieren. So greift er deren Ästhetik auf, um Neues zu schaffen. Und ungewöhnlich soll seine Architektur schon sein, das erhöht wiederum die Attraktivität eines Büros. Hollwich bricht Bauten auf, um ihnen ihre Massivität zu nehmen und öffentliche Passagen und Plätze zu schaffen. Auch in den Häusern selbst sollen sich Nutzer:innen mischen, entstehen eher Restaurants und Cafés als Kantinen. Zur Macherei im Münchener Osten zum Beispiel, die im Frühjahr eröffnet, gehört ein Hotel. Und anstelle eines geschlossenen Sportbereichs für Mitarbeitende gibt es einen Fitnessclub.

Zur richtigen Mischung gehören für Hollwich abwechslungsreiche Aufteilungen der Büroflächen – auch damit verschiedenste Persönlichkeiten sich dort wohl fühlen können. Rückzugsecken etwa für Menschen wie seinen Freund, der eher introvertiert sei. Das war Hollwich selbst einmal. New York habe ihn extrovertiert gemacht. „Mich kann man irgendwo hinstellen, und ich fühle mich wohl.“

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