zum Hauptinhalt
Ingo Bach

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Die gute Nachricht: Urin- und Bluttests könnten Früherkennung von Krebs vereinfachen

Bösartige Tumore verändern Zuckermoleküle. Die sind im Blut und Urin nachweisbar – und könnten so die Vorsorge erleichtern und preiswerter machen.

Eine Kolumne von Ingo Bach

Immer wieder beklagen Krebsmediziner, dass die Teilnahmequoten an Programmen zur Früherkennung von Krebs zu gering seien. Dabei gilt mit eherner Gesetzmäßigkeit: Wird ein bösartiger Tumor früh erkannt, steigen die Heilungschancen enorm an.

Eine der Hauptgründe dafür wird sein, dass der Aufwand dafür zum Teil erheblich ist und sich gesunde Menschen einer solchen vermeintlich unnötigen Belastung nur ungern unterziehen. Denn tatsächlich sind Darmspiegelungen, Röntgenuntersuchungen der weiblichen Brust oder Tastuntersuchungen der Prostata zum Teil auch noch unangenehm – und zudem teuer für das Gesundheitswesen.

Die Hoffnung ist, dass einfachere und preiswertere Tests die Früherkennung revolutionieren könnten. Forschende der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg sind dieser Hoffnung nun einen großen Schritt nähergekommen. Ihnen ist es gelungen, 14 Krebsarten – zum Beispiel urologische und gynäkologische – mit einem kombinierten Urin- und Bluttest in einem frühen Stadium nachzuweisen.

Die Erkennungsrate für 14 verschiedene Tumore lag bei 63 Prozent.

Die Idee dahinter: Bösartige Tumore geben veränderte Zuckermoleküle ins Blut ab, die sich auch im Urin finden. Diese sogenannten Glykosaminoglykane (GAGs) gehören zu den Biomarkern, mit denen Tumorzellen im Blut und Urin nachgewiesen werden können. Die Moleküle lassen sich mit der Massenspektrometrie in Blut- und Urinproben finden.

Nur bei fünf Prozent der 1260 in die Studie einbezogenen Probanden gab es falsch positive Befunde, schreiben die Göteborger Forschenden. Die Spezifität ihres Tests beträgt also 95 Prozent. In Kombination mit einer Urinprobe lag die Sensitivität, also die richtig krebspositiven Ergebnisse, bei 62,3 Prozent. Das bedeutet, rund sechs von zehn Krebskranken werden korrekt erkannt, vier erhalten ein falsch negatives Ergebnis.

Fachleute sind bei der Beurteilung der Ergebnisse aus Göteborg noch vorsichtig. Ein „spannender Schritt“, aber noch nicht der Durchbruch zu einer besseren Früherkennung, urteilt Ulrich Keilholz, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center. „Das ist ein weitere Baustein in der Krebsmedizin, und letztlich besteht eine Revolution immer aus mehreren solcher einzelner Schritte.“

Fünf Prozent falsch positive Krebsdiagnosen sind für ein Screeningprogramm viel zu viel.

Ulrich Keilholz, Krebsmediziner

Die Erkennungsquote eines bösartigen Tumors von 62 Prozent sei noch nicht berauschend, sagt Keilholz. Auch wenn diese Quote gar nicht so weit entfernt ist von den DNA-Nachweisen, bei denen 70 Prozent erreicht werden.

Auch die Rate von falsch positiven Befunden sei problematischer, als es die auf den ersten Blick geringe Zahl vermuten lasse. „Fünf Prozent falsch positive Krebsdiagnosen sind für ein Screeningprogramm viel zu viel.“ Bei 10.000 Untersuchungen sind das 500 Menschen, die man unnötig in Krebsangst versetze und bei denen man Biopsien durchführen müsse. „Alle Quoten unter 99 Prozent richten zu viel Schaden an.“

Aber in einer anderen Richtung bieten die GAGs noch mehr Hoffnung. Solche Biomarker dienen nicht nur der Früherkennung, sondern auch der Charakterisierung von Krebszellen, um beispielsweise das Ansprechen auf Chemo- oder Immuntherapie abschätzen zu können. Diese Biomarker für Krebs im Blut sind bisher entweder Tumorzellen, die im Blut schwimmen, oder deren DNA-Reste. Aber längst nicht jeder Tumor streut oder gibt eine für den Nachweis ausreichende Menge an DNA-Bestandteilen ans Blut ab. Daher richtet sich die Forschung zunehmend auch auf veränderte Eiweiße im Blut, und darunter auch Glykane.

Für diese wichtigen Charakterisierung von Tumoren sehe er einen weit größeren Beitrag der Glykane, die die Forschenden in Schweden mit ihrer Arbeit herausgestellt haben – wenn für eine direkte klinische Anwendung auch noch nicht ausreichend. Aber der Ansatz sei „total spannend“, sagt Keilholz. Auch die Charité verfolge ähnliche Forschungsprojekte.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Teile der Kolumnen auf der Kolumnenseite des Tagesspiegel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false