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Eve A. Helling ist eine mit KI generierte Schönheit und kein echter Mensch.

© Tagesspiegel/Nassim Rad, Quelle: instagram/eveahelling

Social-Media-Filter gefährden Jugendliche : Schönheitschirurgen fordern Kennzeichnungspflicht von bearbeiteten Fotos

Immer mehr Jugendliche zeigen sich in Social Media nur noch mit „geschönten“ Fotos. Psychologen und ästhetisch-plastische Chirurgen warnen vor Folgen für die mentale Gesundheit.

Der Teenager war 16, als er mit seiner Mutter zum Schönheitschirurgen ging. Sein Wunsch: ein männlicheres Kinn. Der Haken: „Der Junge sah ganz maskulin aus. Das Problem, das er sah, existierte überhaupt nicht“, sagt Alexander Hilpert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC). Doch der Jugendliche war verzweifelt. Er zeigte Hilpert Fotos von Influencern. Genau so wolle er aussehen. „Solche Anfragen müssen wir ablehnen. Dazu sind wir als Mediziner verpflichtet“, sagt der Facharzt.

Was Alexander Hilpert beschreibt, ist kein Einzelfall, sondern ein Phänomen, das den Fachärzten für ästhetische und plastische Chirurgie Sorge bereitet. Immer öfter kämen junge Menschen in ihre Kliniken, meistens Mädchen, die genauso aussehen wollen wie ihre Vorbilder bei Social Media. „Die Filter und das Verwenden von KI bei Tiktok und Instagram führen zu einer verzerrten Wahrnehmung und sind gefährlich“, sagt Hilpert.

Ähnliches bestätigt der Vorsitzende der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC), Detlev Hebebrand, der davor warnt, dass Influencer bestimmte Trends bewerben, „die mit den realistischen Behandlungsmöglichkeiten eines seriösen Facharztes“ nichts mehr zu tun hätten. Darunter fallen Modeerscheinungen wie das umstrittene „Buccal Fat Removal“, das Entfernen von Wangenfett.

Ganzkörperfilter und KI entgrenzen die Möglichkeiten

Die beiden größten Verbände, die DGÄPC und die VDÄPC, fordern deshalb eine Kennzeichnungspflicht, zum Beispiel mit Wasserzeichen, für digital veränderte Fotos auf Social Media sowie in der Werbung. Solch eine gesetzliche Verpflichtung gibt es bereits in Israel, Norwegen, Frankreich, Österreich und England. Denn die Möglichkeiten sind durch den Einsatz von Ganzkörperfiltern mittlerweile entgrenzt. Das unten eingefügte Foto ist beispielsweise keine reale Person, sondern eine durch künstliche Intelligenz geschaffene Figur.

Eve A. Helling ist eine mit KI generierte Schönheit und kein echter Mensch. Auf ihrem Instagram-Account folgen ihr etwa 180.000 Menschen.

© instagram/eveahelling

Unterstützung erfährt der Vorstoß der ästhetisch-plastischen Chirurgen von Psychologen und Psychiatern. „Prinzipiell ist diese politische Forderung gut und unterstützenswert, da eine solche Maßnahme auch zur Aufklärung beiträgt“, sagt Tanja Legenbauer, Vorstandsmitglied von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP). Die Psychologin befürchtet allerdings, dass eine Kennzeichnungspflicht nicht allzu viel nützen werde. Besonders, wenn die Markierung, so wie in Frankreich, eher unauffällig durch einen kleinen Schriftzug daherkommt.

Jugendliche müssen ein Selbstwertgefühl entwickeln

Doch auch Psychologen und Psychiater sehen gesundheitliche Gefahren, die sich aus digital geschönten bis hin zu manipulierten Fotos ergeben. Dadurch werde das Selbstbild in einer sehr sensiblen Entwicklungsphase geprägt, sagt Legenbauer. Jugendliche müssten in der Pubertät, in der oft ohnehin eine starke Unzufriedenheit über das eigene Aussehen besteht, ein Selbstwertgefühl entwickeln, das körperunabhängig sei.

Erst das Foto, dann der Filter. Für viele Jugendliche gehört beides zusammen.

© Unsplash/Josh Rose

Eine psychische Erkrankung, die durch das ständige Vergleichen bei Tiktok oder Instagram verstärkt werden kann, ist die sogenannte körperdysmorphe Störung. Hierbei litten Betroffene aufgrund einer gestörten Selbstwahrnehmung massiv unter einem optischen Makel, der gar nicht vorhanden oder für andere Menschen kaum wahrnehmbar sei, erklärt Legenbauer. Auch depressive Jugendliche können nur schwer mit dem Attraktivitätsdruck umgehen, ein geringes Selbstwertgefühl ist Teil ihrer Erkrankung. Zudem können Essstörungen wie Magersucht, Bulimie und Binge-Eating und soziale Bewertungsängste ungünstig verstärkt werden.

Tanja Legenbauer fände es am besten, wenn gar keine Filter zur Anwendung kämen. „Wenn etwa Prominente sich natürlich zeigen oder mit Vorher-Nachher-Bildern verdeutlichen, wie sie in der Realität aussehen, hat das einen präventiven Charakter, da es den Druck auf andere reduziert.“ Aber auch Eltern können unterstützen, indem sie mit ihren Kindern kritisch über die Darstellung in den Medien sprechen und eine positive Einstellung zum eigenen Aussehen vermitteln. 

Schönheitschirurgen lehnen Eingriffe oft ab

Der ästhetisch-plastische Chirurg Alexander Hilpert und auch seine Verbandskollegen verweisen Jugendliche wie den beschriebenen Jungen an Psychologen. „Ich rate dann den Eltern: Baut das Selbstwertgefühl auf“, sagt Hilpert. „Manchmal zeige ich den jungen Mädchen, die ihre Schlupflider wegmachen lassen möchten, Fotos von Claudia Schiffer oder Romy Schneider und zeige ihnen, wie toll das bei Frauen aussehen kann.“ Hilpert warnt davor, „körperverändernden Trends“ wie Cat Eyes (Katzenaugen) oder Tattoos nachzueifern. „Das sogenannte Steißgeweih ist etwas, das ich heutzutage am häufigsten entfernen muss“, sagt er.

Nicht alle Menschen sollten gleich aussehen, findet der Arzt. „Heute gibt es Modelagenturen, die gezielt nach jungen Frauen mit abstehenden Ohren suchen. Individualität wird nachgefragt.“ Wenn er operiere, dann nur dort, wo es eine auffällige Veränderung oder „gestörte Harmonie“ gebe, die der Arzt mit seinem ästhetischen Empfinden nachvollziehen könne. Der Veränderungswunsch müsse von einer gereiften Person kommen. „Aber für alle Eingriffe gibt es anatomische Grenzen“, sagt Hilpert.

Wer sich zu einem solchen Schritt entscheide, sollte außerdem nur zu einem „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ gehen, das ist ein geschützter Titel, hinter dem sich eine sechsjährige Zusatzausbildung verbirgt. Denn Schönheitschirurg darf sich jeder Mediziner nennen und die Bezeichnung Beauty Doc ist überhaupt nicht geschützt. Informationen stellen auch die Verbände DGÄPC und VDÄPC bereit.

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