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Zeinab Ch. im Friseursalon Madame K. in Neukölln.

© Pia Henkel

Inklusion: Vom Glück des Haareschneidens

Zeinab, gehörlos geboren, wollte von klein auf Friseurin werden. Im Salon Madame K. in Neukölln hat sie den perfekten Arbeitsplatz gefunden.

Prächtig ist der gelbe Altbau, in dem Franzi Krahl ihren Friseursalon „Madame K.“ eingerichtet hat. Mit seinem aufwändigen Stuck und Bossenputz steht er an der Kreuzung Wildenbruch- /Ecke Weserstraße in Neukölln wie ein Palast, wären da nicht die Graffiti am Erdgeschoss.

Die Sonnenallee ist nur wenige Gehmeter entfernt, aber mit den dortigen Barber Shops hat der „Salon Madame K.“ wenig gemein. Drinnen sitzen die zumeist jungen Kund:innen auf altrosafarbenen Sesseln vor hellgrau gestrichenen Wänden und halbrunden Spiegeln, hier wirkt alles durchdacht, gestylt und aufgeräumt, Neuköllner Chic.  

Plötzlich konnte ich Vögel hören, Wasserrauschen!“

Zeinab Ch., Friseurin in Neukölln

Seit Januar arbeitet Zeinab Ch. hier – und strahlt, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Die 26-Jährige wollte von klein auf Friseurin werden. Das Talent, den Charme, die ruhige Hand, den genauen Blick, das alles hatte sie dafür. Nur in einem Punkt war sie anders als die anderen, mit denen sie ihre Ausbildung gemacht hat: Zeinab ist seit Geburt gehörlos.

Wenn sie unsicher ist, ob sie richtig verstanden hat, zeigt sie Bilder

Dank eines Cochlea-Implantats ist sie in der Lage zu verstehen, was andere sagen, am besten, wenn die andere Person laut und deutlich spricht. So kann sie erfahren, welchen Schnitt und welche Farbe die Kundin gerne hätte. „Wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich richtig verstanden habe, zeige ich den Kundinnen Bilder“, sagt sie.

Die Masken, die im Salon aus Hygienegründen getragen werden, erschweren ihr zwar das Verständnis, weil sie nicht zusätzlich von den Lippen ablesen kann. „Aber ich komme auch so klar. Ich sage den Kundinnen, dass ich schwerhörig bin, zur Not müssen sie mal einen Satz wiederholen.“ Mit ihrer warmherzigen und fröhlichen Ausstrahlung kann Zeinab kleine Irritationen leicht überbrücken, sie redet gern mit den Kundinnen, und die fühlen sich offenkundig bei ihr in guten Händen.

Chefin Franzi, die klein und schmal und mit hochgestecktem Dutt durch den Salon wirbelt, bestätigt, dass es nur sehr selten Kommunikationsprobleme gibt. Ein einziges Mal habe eine Kundin ungeduldig und harsch reagiert: „Die haben wir gebeten, den Salon zu verlassen.“

Die gehörlose Friseurin Zeinab Ch. (r.) mit Chefin Franzi Krahl.

© Pia Henkel

Die 34-Jährige hat ihren Laden im Mai 2020, kurz nach dem ersten Corona-Lockdown, eröffnet. Sie ist sehr glücklich, Zeinab als Mitarbeiterin gefunden zu haben: „Wir haben einen Fachkräftemangel, dass es kracht, und viele, die sich vorstellen, sind nicht geeignet für diese Arbeit. Zeinab kann es einfach, sie macht einen tollen Job.“

Zeinabs Vater ist gehörlos, ihre Mutter kann hören, ihre drei Geschwister sind wie sie. An der Ernst-Adolf-Eschke-Schule, dem Sonderpädagogischen Förderzentrum „Hören und Kommunikation“ in der Waldschulallee in Westend, hat sie deutsche Gebärdensprache gelernt - und auch gelernt so zu sprechen, dass man sie verstehen kann, auch wenn manche Wörter ungewohnt klingen.

Eine Gebärdensprachdolmetscherin unterstützte sie während der Ausbildung

Bis sie zehn, elf Jahre alt war, konnte sie auch mit Hilfe von Hörgeräten nur sehr wenig hören. Dann bekam sie ein Cochlea-Implantat. Eine Offenbarung: „Plötzlich konnte ich Vögel hören, Wasserrauschen! Das funktioniert nicht bei allen schwerhörigen Menschen so gut.“ Nur nachts legt sie den kleinen Sprachprozessor mit Mikrofon, der über dem Ohr angebracht wird und mit dem eigentlichen Implantat verbunden ist, ab.

Ihre Ausbildung machte Zeinab in einem Friseurbetrieb von MacHair und am Oberstufenzentrum Körperpflege in der Charlottenburger Schillerstraße. Dabei wurde sie unterstützt von einer Gebärdensprachdolmetscherin: „Ich hätte sonst nicht alles verstanden, zum Beispiel wenn sich die Lehrer zur Tafel wenden oder wenn Unruhe im Raum ist.“

Eine Dolmetscherin, die ihre Familie unterstützt, ist Stammkundin im Salon Madame K. – sie erzählte Franzi Krahl von Zeinab. So kamen die beiden zusammen und strahlen nun auf der Webseite gemeinsam in die Kamera.

Auf der Webseite steht auch, dass Zeinab Gebärdensprache beherrscht – schwerhörige Kundinnen können sich hier besonders gut verstanden fühlen. Fünf bis sechs gehörlose Stammkundinnen gibt es bisher. Im Moment treffen sie im Salon auch auf eine gehörlose Praktikantin: Somaia, 20, probiert in diesen Wochen gerade aus, ob der Friseurberuf für sie in Frage kommt.

Es ist erstaunlich, wie gut die nonverbale Kommunikation funktioniert.

Franzi Krahl, Inhaberin des Friseursalsons

Somaia trägt kein Cochlea-Implantat und verständigt sich mit Zeinab in deutscher Gebärdensprache und mit den Kund:innen über Gesten oder mit Hilfe von Zetteln, mit denen sie nach Getränkewünschen fragt. „Es ist erstaunlich, wie gut die nonverbale Kommunikation funktioniert“, sagt Franzi Krahl. „Gestern habe ich Somaia beigebracht, wie man Flechten legt, und das ging ganz ohne Worte.“

Franzi Krahl hatte schon während ihrer Ausbildung in Stuttgart gehörlose und schwerhörige Kolleg:innen. „Da war es normal, dass man laut spricht und dass man gehörlose Auszubildende nicht von hinten ruft, sondern mit dem Fuß stampft, denn sie nehmen die Vibrationen wahr.“

Sie besucht jetzt auch selbst einen Kurs in Gebärdensprache, am Kühlschrank im Aufenthaltsraum hängen Zettel mit Zeichnungen des deutschen Fingeralphabets. Warum? „Ich möchte mich mit Zeinab noch besser verständigen können“, sagt sie. „Außerdem ist Gebärdensprache gerade in unserem Beruf sehr praktisch. Man möchte ja nicht alles vor den Kundinnen aussprechen.“ Zum Beispiel wenn eine mal auf Toilette muss: Dann reicht eine kleine Geste, und die andere versteht.

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