zum Hauptinhalt
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht bei einer Feier zum Unabhängigkeitstag.

© dpa/---

Aufregung um Selenskyj-Zitat : Bietet die Ukraine Russland wirklich Verhandlungen an?

Ein Satz in einem Interview des ukrainischen Präsidenten Selenskyj hat am Montagmorgen für Wirbel gesorgt. Manche lesen heraus, dass er Moskau Verhandlungen anbietet. Doch ist das wirklich so?

Hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erstmals angedeutet, die Ukraine könnte auf eines ihrer wichtigsten Kriegsziele verzichten: die Rückeroberung der Krim? Will er überraschend doch die Möglichkeit einer Verhandlungslösung für die seit 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel eröffnen?

Heftige Spekulationen entzündeten sich am Montag an einem Satz aus einem Interview, das Selenskyj am Vortag dem ukrainischen TV-Sender „1+1“ gegeben hatte.

Dort sagte der Präsident: „Wenn wir an den Verwaltungsgrenzen der Krim sind, denke ich, kann man politisch die Demilitarisierung Russlands auf dem Gebiet der Krim vorantreiben.“ Dies sei die bessere Lösung, weil es in diesem Falle weniger Opfer gebe.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Aussage zeigt keine unmittelbare Verhandlungsbereitschaft

Felix Hett, Leiter des Ukraine-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew, hält diese Aussage für „ein öffentliches Eingeständnis, dass die Rückeroberung der Krim derzeit außerhalb der militärischen Möglichkeiten der Ukraine liegt“.

Selenskyj erweitert seinen Handlungsspielraum um weitere Optionen, ohne das Ziel der vollständigen Herstellung der territorialen Integrität aufzugeben.

Felix Hett ist Leiter des Ukraine-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew.

Auch angesichts der nur langsam vorankommenden ukrainischen Offensive „sind diese Überlegungen folgerichtig“, sagte er dem Tagesspiegel. Unmittelbare Verhandlungsbereitschaft signalisiert das Interview nach Ansicht Hetts jedoch nicht.

„Selenskyj erweitert seinen Handlungsspielraum um weitere Optionen, ohne das Ziel der vollständigen Herstellung der territorialen Integrität aufzugeben.“

Der Eindruck, die Ukraine wolle über die Krim verhandeln, kann tatsächlich nur dann entstehen, wenn man Selenskyjs Satz völlig isoliert betrachtet.

Erst in der vergangenen Woche hatte der Präsident während des Forums „Plattform Krim“ in Kiew potenziellen Investoren versprochen: „Die Krim wird befreit. So wie alle anderen Territorien der Ukraine, die sich derzeit unter russischer Besatzung befinden.“ Die Ukraine treibe „mit Territorien keinen Handel, weil sie keinen Handel mit dem Schicksal von Menschen treibt. Punkt.“

Die Krim wird befreit. So wie alle anderen Territorien der Ukraine, die sich derzeit unter russischer Besatzung befinden.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Was den Weg einer Befreiung der Krim von russischer Herrschaft angeht, wurden Geheimdienstchef Kyryl Budanov und Alexey Danilov, der Chef des ukrainischen Sicherheitsrates konkreter.

Kein Sieg ohne Gewalt

Als ukrainische Spezialeinheiten zum Nationalfeiertag am 24. August die blau-gelbe Flagge auf der Krim hissten, erklärte Budanov: „Das haben wir getan, um zu zeigen, dass der Sieg nicht mehr fern ist.“ Dass dieser Sieg ohne die Anwendung von Gewalt zu erringen sei, „ist nicht realistisch“, fügt er hinzu.

„RBC-Ukraina“ zitiert Danilov zur Rückeroberung der Krim mit den Worten: „Am wahrscheinlichsten passiert das mit militärischen Mitteln, weil der Aggressor noch immer nicht versteht, dass er von unserem Territorium verschwinden muss.“

Der Status der Krim war unmittelbar nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im März 2022 Gegenstand von ukrainisch-russischen Verhandlungen, die in Istanbul stattfanden. In dieser Phase schien es, als stünde die Regierung in Kiew mit dem Rücken zur Wand und eine militärische Niederlage nur eine Frage von Tagen: Russische Truppen waren bereits bis in die Vororte der Hauptstadt vorgedrungen.

So lange die Krim unter russischer Okkupation ist, heißt das nur eines: Der Krieg ist noch nicht zu Ende.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine

Die ukrainische Delegation in Istanbul hatte damals den Auftrag, verbindliche Vereinbarungen über eine Feuerpause zu erzielen. Sie schlug deshalb unter anderem vor, in den kommenden 15 Jahren zweiseitige Konsultationen über den Status der Krim durchzuführen und in diesem Zeitraum auf alle militärischen Mittel zur Lösung dieses Konfliktes zu verzichten.

Die russische Delegation lehnte dies ab, da sich der Kreml im sicheren Besitz der Halbinsel wähnte.

Das tut er bis heute. Als der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko dieser Tage an die Istanbul-Verhandlungen erinnerte, erwiderte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow: „Die Krim ist ein unveräußerlicher Teil der Russischen Föderation, sie ist eine Region Russlands.“

Nicht weniger entschieden hat sich Selenskyj immer wieder geäußert. „Wir können uns die Ukraine ohne die Krim nicht vorstellen“, sagte er im Juli der Zeitung „RBC-Ukraina“: „So lange die Krim unter russischer Okkupation ist, heißt das nur eines: Der Krieg ist noch nicht zu Ende.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false