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Massenbeerdigung auf einem Friedhof im Gazastreifen.

© REUTERS/MOHAMMED FAYQ ABU MOSTAFA

Das Drama von Gaza: Die Schwierigkeit, Hilfskorridore einzurichten

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, eine humanitäre Luftbrücke für Gaza einzurichten. Doch auch diese Hilfen könnten nicht ankommen.

Die Worte sind voller Verzweiflung. Yousef (Name geändert), ein langjähriger Mitarbeiter der Hilfsorganisation Save the Children in Gaza, schreibt in SMS-Nachrichten an seine Kolleg:innen: „Während meiner gesamten beruflichen Laufbahn habe ich mich intensiv mit der Planung und Leitung von Nothilfemaßnahmen in großen Konflikten befasst. Doch das, was wir jetzt in Gaza erleben, ist mit nichts zu vergleichen, was ich bisher gesehen habe.“

Er ist mit seinen drei Kindern, die alle jünger als elf Jahre sind, auf der Flucht. Wie so viele in Gaza. Fast die Hälfte der 2,3 Millionen Einwohner des Gazastreifens fliehen nach Schätzung des UN-Nothilfebüros (OCHA) inzwischen. Davon sind 600.000 in Richtung Süden unterwegs, nachdem Israel sie zur Evakuierung aufgerufen hat. Dennoch hielten sich immer noch ein paar Hunderttausend Menschen in Gebieten auf, die sie laut Israel verlassen sollen. Die im Gazastreifen herrschende Hamas-Miliz hatte die Bevölkerung aufgefordert, Israels Forderung nicht Folge zu leisten.

Die Lage vor Ort ist katastrophal: „Wir rationieren Wasserflaschen. Die Lebensmittel gehen zur Neige. Die Verwundeten und Kranken können nicht behandelt werden. Nachts sitzen die Kinder im Dunkeln, und fragen sich, ob sie den nächsten Morgen erleben werden“, berichtet der Mitarbeiter von Save the Children. „Diese Situation ist einzigartig. Niemand kann das Ausmaß des Leids vollständig erfassen.“

Das, was wir jetzt in Gaza erleben, ist mit nichts zu vergleichen, was ich bisher gesehen habe.

Yousef (Name geändert), Mitarbeiter der Hilfsorganisation Save the Children

Am Montag warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Wasservorräte des Gazastreifens seien in 24 Stunden aufgebraucht, Lebensmittel alsbald auch. Die Treibstoffreserven aller Krankenhäuser im Gazastreifen dürften nur noch für etwa 24 Stunden reichen, teilt das OCHA mit. Damit sei das Leben tausender Patienten in Gefahr.

Angesichts der Lage kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag an, dass die EU eine humanitäre Luftbrücke von Ägypten in den Gazastreifen einrichtet, um die Zivilbevölkerung zu versorgen, zum Beispiel mit Medikamenten. „Die Zivilbevölkerung darf nicht den Preis für die Hamas-Barbarei zahlen“, sagte sie. Die ersten Flüge würden diese Woche stattfinden. Die EU-Kommission stelle 75 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe zur Verfügung. 

Die Zivilbevölkerung darf nicht den Preis für die Hamas-Barbarei zahlen

Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin

Was nach einer Lösung klingt, ist aber derzeit keine. Die einzige Möglichkeit, Hilfsgüter in den von Israel abgeriegelten Gazastreifen zu bringen und Menschen von dort hinaus, ist der Grenzübergang Rafah zu Ägypten. Doch den hält Kairo geschlossen. Zudem berichten Augenzeugen vor Ort, dass eine Zufahrtsstraße auf der palästinensischen Seite bei israelischen Luftangriffen beschädigt worden sei.

So hält der ägyptische Rote Halbmond, Stand Dienstagmorgen, 150 Lastwagen mit 2000 Tonnen Gütern bereit, kann sie jedoch nicht auf die andere Seite der Grenze bringen. Zudem landete ein Flugzeug mit Hilfsmitteln der WHO auf der Sinai-Halbinsel, eine weitere Maschine mit Nahrungsmitteln wurde aus Dubai erwartet. Das Welternährungsprogramm WFP habe Güter vor Ort, um 800.000 Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, berichtete eine Sprecherin. „Wir hören von Ägypten, dass die Sicherheitssituation an der Grenze die Bewegung der Lastwagen nicht erlaubt.“

Grenzübergang von Rafah: Hilfsgüter stehen bereit, aber kommen nicht durch.

© REUTERS/stringer

Berichten zufolge gibt es bislang keine Einigung zwischen Ägypten und Israel, wie die Hilfs-Lkws kontrolliert werden können – Israel befürchtet den Schmuggel von Waffen an die Hamas.

Allerdings: Ägypten braucht nicht die Erlaubnis der Regierung von Netanjahu, um seine Grenze zu öffnen. Tatsächlich hatte Kairo den Grenzübergang zu Rafah vergangenen Mittwoch komplett geschlossen und weiter verstärkt.

Das Land ist schlicht nicht interessiert daran, Hundertausende palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen. Zudem befürchtet die Regierung von Abd al-Fattah as-Sisi, dass bei der Einrichtung eines Fluchtkorridors Hamas-Kämpfer ins Land eindringen könnten. Die Islamisten aus Gaza gelten als Ableger der Muslimbruderschaft, die von Ägypten mit harter Hand seit Jahren bekämpft werden.

Die Menschen in Gaza stecken also fest: Sie können nicht weg, und sie können nicht bleiben. „Es gibt keinen Weg aus dem Gazastreifen. Es gibt keinen sicheren Ort in Gaza“, fasst das der Save-the-Children-Mitarbeiter das Drama zusammen.

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