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Der Geheimdienstoffizier Igor Girkin ist eine einflussreiche Stimme der russischen Ultranationalisten.

© dpa/EPA/Photomig/Uncredited

Der wütende Patriot: Ein prominenter russischer Kriegshetzer gerät ins Visier des Kremls

Der Ultranationalist Igor Girkin wirft der russischen Führung Versagen in der Ukraine vor. Jetzt wird gegen ihn ermittelt – wegen „Verunglimpfung der Armee“. Eine Warnung an rechte Putinkritiker.

Russlands „Winteroffensive“ in der Ukraine ist faktisch gescheitert. Dass Präsident Wladimir Putin es kürzlich für nötig hielt, persönlich die Kommandobunker der russischen Armee im Osten und Süden der Ukraine zu inspizieren und den Generälen Instruktionen zu erteilen, sehen westliche Experten als Eingeständnis des Scheiterns.

Schon länger gibt es auch in Russland Stimmen, die Putins Kriegsführung kritisieren – nicht den Krieg selbst, sondern dass er nicht entschieden genug geführt wird. Einer, der um scharfe Worte der Kritik nie verlegen ist, ist der frühere Geheimdienstoffizier Igor Girkin, Kampfname „Strelkow“ („Der Schütze“).

Auch Vertraute Putins greift er in seinem Videokanal „Woina real“ („Krieg real“) auf Telegram regelmäßig frontal an. So bezeichnete er unlängst Dmitri Medwedew, den Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates, als „besoffenen Clown“. Dessen Drohungen mit dem Einsatz russischer Atomwaffen seien hohl.

Die Chefin des staatlichen Medienkonzerns „Rossija Sewodnja“, Margarita Simonjan, ist in Strelkow-Girkins Augen eine „total vertrottelte Alkoholikerin“, die ihre Lügen über den Krieg selbst nicht glaube. Solange sie eine zentrale Figur der russischen Propaganda sei, könne das in der Ukraine nichts werden.

Seit 2014 im Ukraine-Einsatz

Strelkow-Girkin ist einer jener ultranationalistischen Militärblogger, denen die russische Armee viel zu lasch agiert. Während der Kreml gegen russische Kriegsgegner bei den geringsten Anzeichen von Kritik mit brutaler Härte vorgeht und sie ins Gefängnis sperrt, lässt sie ultranationalistische Hetzer, von denen sich etliche wie Girkin auf Online-Plattformen austoben, bislang unbehelligt.

Doch jetzt ist mit Girkin erstmals einer von ihnen ins Visier des Kremls geraten. In Moskau und St. Petersburg wird nach russischen Medienberichten nach zwei Anzeigen wegen „Diskreditierung der Armee“ ermittelt. Eine anonyme „Moskauerin“ soll sich an die Behörden gewandt haben, weil Girkin in seinen Publikationen „offen die Führung des Landes kritisiert“.

Der gibt sich bisher unbeeindruckt: „Ich werde nicht ein Wort meiner Rhetorik ändern. Ob die Staatsmacht das unterbinden will, werden wir sehen“, ließ er verlauten

Girkins Einsatz im Ukraine-Krieg begann am 21. Februar 2014. Damals tauchte der frühere Geheimdienst-Oberst nach eigener Schilderung mit einer Truppe Bewaffneter auf der Krim auf und jagte mit vorgehaltener Waffe das ukrainische Regionalparlament auseinander.

Nach dem russischen „Referendum“ zur Annexion der Krim betrachtete Girkin seinen Auftrag als erledigt und zog mit seinen Leuten in die Ostukraine weiter. Dort führte er eine ominöse „Widerstandsbewegung Donbas“, die kurz darauf die „Volksrepublik Donezk“ proklamierte.

Als Militärchef der Separatisten war er 2014 einer der Hauptverantwortlichen für den Abschuss der niederländischen Passiermaschine MH 17, bei dem 298 Menschen ums Leben kamen. Ein Gericht in Den Haag verurteilte ihn dafür im vergangenen Jahr in Abwesenheit.

145.000 Anzeigen wegen „Fakenews über die Armee“

Die Zeiten, als Girkin/Strelkow eine wichtige Rolle in Russlands Ukraine-Strategie spielte, sind seit längerer Zeit vorbei. Aber seine Stimme hat in den ultranationalistischen Kreisen noch immer Gewicht.

Anfang April gründete er den „Klub wütender Patrioten“. Die Beweggründe dafür erläuterte er in einem Manifest auf Youtube. „Leider hat die Situation an der Front, die die Massenmedien auf jegliche Art beschönigen, außerordentlich negative Auswirkungen auf das ganze Land“, befindet Grikin darin. Und weiter: „Ich scheue mich nicht, darauf hinzuweisen, dass wir uns in Richtung einer militärischen Niederlage bewegen.“

Die Anzeigen gegen Girkin könnten nun eine erste Warnung der Behörden an alle kritischen Militärblogger sein, sich mit defätistisch anmutender Kritik an der russischen Armee zurückzuhalten.

Insgesamt sind Denunziationen in Russland inzwischen offensichtlich zu einer Massenerscheinung geworden – allerdings gegen demokratisch gesinnte Kriegsgegner. Im vergangenen Jahr seien bei der Kontrollbehörde Roskomnadsor rund 145.000 Anzeigen wegen „Fakenews über die Armee“ eingegangen, berichtet die oppositionelle Online-Plattform „Mediazona“.

Sie stellt eine pensionierte Lehrerin vor, die allein 900 Anzeigen auf den Weg gebracht hat. Betroffen sind Publizisten, Wissenschaftler und Menschenrechtler. Diese Ksenia Krotowa denunzierte auch russische Soldaten in ukrainischer Kriegsgefangenschaft, die sich in Interviews öffentlich äußerten.

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