zum Hauptinhalt
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Wang Yi, Chefaußenpolitiker der Kommunistischen Partei Chinas, in Beijing im April.

© dpa/Soeren Stache

Deutschland und China: Die China-Strategie der Bundesregierung bleibt viel zu vage

Die neue China-Strategie der Bundesregierung hat einen ersten strategischen Startpunkt gesetzt. Wichtige Details, etwa zur Reform des Investitionsschutzabkommens, fehlen aber noch, analysieren Katrin Kamin und Rolf Langhammer.

Mit ihrer China-Strategie betritt die Bundesregierung Neuland. Sie setzt erstmals den Rahmen für Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Umgang mit China, ohne dabei eine Abkehr von dem Land einzuleiten. Das ist ein richtiger Schritt. Die Zeit der selbst gewählten Unbedarftheit Deutschlands in geopolitischen Fragen ist damit vorüber.

Die Strategie ist ein wichtiger Startpunkt, um die künftigen Herausforderungen zu bewältigen, die sich einer derart außenwirtschaftlich exponierten Volkswirtschaft wie der deutschen im Verhältnis zu China stellen, das in der Welt allgegenwärtig ist.

Dennoch fehlt es an vielen Stellen: Deutsche Interessen sind nicht genügend konkretisiert, die Mittel der Strategie zu wenig priorisiert, und es fehlt an einer ausreichenden Definition, was und wie groß die strategischen Abhängigkeiten von China sind. In folgenden drei Punkten springt Deutschlands Strategie zu kurz:

Erstens verweist sie in weiten Teilen auf Strategievorstellungen der EU. Eine eigene EU-China-Strategie, die die gleiche inhaltliche Breite wie die deutsche Strategie hat, gibt es aber noch gar nicht. Deutschland lässt damit die Möglichkeiten ungenutzt, seine eigenen Interessen direkt einzufordern.

So bleibt etwa das seit 2005 bestehende bilaterale Investitionsschutzabkommen mit China unerwähnt. Hier gäbe es aber dringenden Reformbedarf, damit der Abfluss von technologischem Know-how aus Deutschland aufhört, den China erzwingt. Das betrifft insbesondere den verarbeitenden Sektor, vor allem die Autobranche oder die Werkzeugmaschinenindustrie.

Richtig ist der Verweis auf die EU aber, soweit es um Handelsabkommen und die Vollendung des Binnenmarktes geht. Beides stärkt die deutsche Verhandlungsposition und hilft Berlin, mit Peking auf Augenhöhe zu verhandeln. Denn die EU ist für China nach den USA der zweitwichtigste Absatzmarkt und nach Südostasien auch der zweitwichtigste Beschaffungsmarkt.

Defizite in der Umsetzung bleiben unerwähnt

Konsequenterweise müsste sich Deutschland in der Strategie also insbesondere für die Vollendung des Binnenmarktes starkmachen, doch konkrete Schritte fehlen. Lücken wie etwa beim Handel mit Dienstleistungen bleiben unerwähnt.

Diese Defizite ermöglichen es China vor allem im digitalen Handel, seine Wettbewerbsstärken auf einzelnen EU-Märkten durchzusetzen und somit die Vollendung des Binnenmarktes zu erschweren.

Zweitens unterschätzt die Strategie die Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft und den Einflussbereich Chinas. Um Abhängigkeiten bei Rohstoffen oder wichtigen Vorprodukten von China zu reduzieren, ist oftmals eine Partnerschaft mit ebenfalls autokratisch geführten Regierungen nötig.

Auch diese können die Handelsbeziehungen zur Durchsetzung eigener politischer Interessen nutzen und sind darüber hinaus oftmals eng wirtschaftlich wie finanziell mit China verbunden.

Mögliche Instrumente der deutschen China-Strategie von der Rohstoffpolitik über Rohstoffpartnerschaften mit Ländern bis hin zu Förderung von Kreislaufwirtschaft, Produktsubstitution und Lagerhaltung werden nur aufgezählt. Es wird aber nicht konkretisiert, wie man sie nutzen will, geschweige denn mit welcher Priorität.

Eine Rohstoffpartnerschaft mit Ländern im Globalen Süden bleibt als Gegengewicht zu China wirkungslos, wenn wie beim Kobaltabbau in der Demokratischen Republik Kongo – immerhin drei Viertel der Weltproduktion – 15 von 19 Unternehmen in chinesischem Besitz sind.

15
Kobaltabbau-Unternehmen von 19 weltweit sind in chinesischer Hand

Dass die deutsche Strategie Chinas Reichweite in der Weltwirtschaft unterschätzt, zeigt sich auch in der Geldpolitik. China baut seine Währung mithilfe von speziellen Finanzierungsprodukten und Zentralbankgeschäften zu einer wichtigen Handels- und Kreditwährung im Globalen Süden auf.

Damit werden die Anstrengungen der westlichen Finanzierungsinstitutionen erschwert, China zu einer aktiven Mithilfe zur Bewältigung von Schuldenkrisen zu bewegen, die es teilweise selbst herbeigeführt hat. Handelsabkommen mit Ländern und Regionen des Globalen Südens decken diese Problematik nicht ab.

Drittens ist die Betonung des De-Risking (Risiken minimieren) gegenüber De-Coupling (Abkoppeln von China) richtig, wenn sie auch in der China-Strategie nur als Appell an Unternehmen auftaucht. Ab wann die Bundesregierung ein sogenanntes Klumpenrisiko – also die Handelsabhängigkeit eines Unternehmens vom chinesischen Markt als kritisch für die eigene Volkswirtschaft – vermutet und wie sie strategische Abhängigkeiten definieren und quantifizieren möchte, bleibt vage.

Ein moralisches Dilemma

Das wäre aber wichtig, denn mit einem Klumpenrisiko können große Unternehmen Druck auf die Regierung ausüben, sie in Notlagen zu subventionieren: ein moralisches Dilemma, wenn das Management sich sicher fühlt, bei Fehlentscheidungen vom Staat aufgefangen zu werden.

Ähnlich vage bleibt die Strategie bei der Frage, ab wann die nationale Sicherheit in der IT-Technologie und der kritischen Infrastruktur gefährdet ist. Auch hier findet sich nur ein Verweis auf die Kompetenz der EU. Das ist äußerst fragwürdig, weil die Verantwortung über die öffentliche Infrastruktur klar in den Händen der Nationalstaaten liegt.

Für strategische Güter braucht es darüber hinaus Informationen über Lieferketten und darüber, wie diese Güter zu ersetzen wären – Know-how, über das meist nur die Unternehmen selbst verfügen. Wie der notwendige Wissenstransfer zur Politik gelingen und welchen Beitrag Wissenschaftskooperation dazu leisten kann, bleibt in der Strategie unbeantwortet.

Die China-Strategie der Bundesregierung setzt einen wichtigen und richtigen geostrategischen Startpunkt. Jetzt muss sie im Diskurs mit verschiedenen Stakeholdern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft konkretisiert und priorisiert werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false