zum Hauptinhalt
Krisentreffen in Rostow am Don: Wagnertruppenchef Prigoschin (Mitte) und der Stellvertreter des ihm verhassten Verteidigungsministers Shoigu, Yunus-Bek Jewkurow (rechts), am Samstag.

© REUTERS/VIDEO OBTAINED BY REUTERS

Söldner-Vormarsch auf Moskau: Welche Folgen hat der Wagner-Aufstand für den Kreml-Herrscher?

Söldnerchef Prigoschin ließ seine Fehde mit den russischen Eliten eskalieren und beorderte seine Männer Richtung Moskau. Steht Russland kurz vor einem Bürgerkrieg? Experten analysieren die Ereignisse des Tages.

| Update:

Ein Jahrzehnt lang war die „Gruppe Wagner“ ein bequemes Werkzeug in der Hand der russischen Politik. Offiziell nicht Teil der Armee konnte sie die schmutzigen Jobs erledigen, die für Moskau politisch heikel gewesen wären, sei es außenpolitisch, sei es nach innen, weil sie das Leben regulärer Soldaten gekostet hätten.

Mit dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wurde die Wagner-Truppe zu einer Akteurin in der ersten Reihe - und mächtig. Jetzt hat sich das Instrument gegen seinen Erfinder gewandt, den russischen Präsidenten.

Wagner-Chef Prigoschin hatte am Freitagabend einen Aufstand gegen Moskau begonnen, Putin antwortete und rief die Streitkräfte zum Einsatz gegen die frühere Hilfstruppe. Auch wenn sich Prigoschin am Abend zum Rückzug entschloss: Was das alles für Putin bedeuten kann, für sein Land und für das Schicksal der Ukraine, beantworten wir hier:


Wie gefährlich kann der Aufstand der Wagner-Söldner für Putin werden?

Er befindet sich mindestens in einer ernsten Situation, sagt Domitilla Sagramoso, Forscherin am Londoner King’s College und Fachfrau für den postsowjetischen Raum und speziell die russisch-ukrainischen Beziehungen. „Dass Putin das selbst so sieht, zeigt in seiner Rede der Bezug auf 1917, den Beginn der Oktoberrevolution im Ersten Weltkrieg.“

Offenbar hoffte Prigoschin, dass Putin auf seiner Seite stünde.

Domitilla Sagramoso, Russland-Expertin am Londoner King’s College

Und Prigoschin sei nicht irgendein Söldnerchef. „Er selbst behauptet, dass er über 25.000 Mann verfügt. Die meisten seiner Truppe sind sehr gut ausgebildet und bewaffnet. Dazu scheint es jetzt, als habe er Rostow unter Kontrolle, eine große und enorm wichtige Stadt, von der aus die Operationen in der Ukraine bewerkstelligt werden.“ Auch ihr Kollege Peter Neumann, verweist für den Ernst der Lage auf Putins Worte vom Samstagvormittag.

Viel werde jetzt darauf ankommen, wie sich die russischen Streitkräfte in diesem Konflikt verhalten, sagt die Expertin. „Es ist unwahrscheinlich, dass die Armeeführung sich an Prigoschins Seite stellt. Aber einzelne Einheiten könnten es tun.“

Neumann verweist auch auf den Geheimdienst - auch Staatschef Putin selbst kommt von dort. Auf beide, Militär- wie Geheimdienst-Eliten komme es jetzt an, denn „sie sind die Säulen der Macht in Russland“.

Könnten die Kontrahenten den Zusammenstoß noch abwenden? „Aktuell sehe ich wenig Spielraum für Verhandlungen zwischen beiden“, sagte Sagramoso am frühen Nachmittag, verwies aber schon dabei auf die ständig wechselnde Situation. Was sich am Abend mit Prigoschins Erklärung erwies, er werde seine Leute zurückziehen.

Was würde im Verlaufe des Machtkampfs aus Russland?

„Wenn der Umsturzversuch an Momentum gewinnt, könnte das eine innere Spaltung Russlands nach sich ziehen“, sagt Peter Neumann. „Wenn nicht, dann ist Prigoschins Schicksal besiegelt.“

Es kommt jetzt auf Militär- und Geheimdiensteliten an. Sie sind die Säulen der Macht in Russland.

Peter Neumann, Sicherheitsexperte und Buchautor

“Wenn es zu einem inneren Konflikt kommt, würde das die Situation in Russland nicht unbedingt einfacher machen. Die Zentrifugalkräfte in einem Land mit 21 autonomen Republiken und fast 150 Volksgruppen sind enorm.

Sagramoso bringt es auf einen tragischen Punkt: „Im Augenblick rutscht die Lage in Richtung eines Bürgerkriegs.“   

Was sind Prigoschins Motive, sich gegen Moskau zu wenden?

Am Anfang stand, so Sagramoso, „klar ein Versuch, Putin zur Abberufung der militärischen Führungspersonen zu zwingen, über die er extrem aufgebracht ist, Gerassimov und Shoigu“, sagt Sagramoso. Gegen den russischen Generalstabschef und Befehlshaber des Überfalls auf die Ukraine und den Verteidigungsminister richteten sich bereits in der Vergangenheit wütende Videos und öffentliche Anklagen des Wagner-Chefs.

Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichte Foto zeigt Sergej Schoigu (l) , Verteidigungsminister von Russland, und der Chef des russischen Generalstabs Waleri Gerassimow bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin.

© picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP

Dahinter, sagt die Fachfrau, stand „massive“ Frustration, „aus mehreren Gründen. Er bekam erstens nicht mehr die Unterstützung, die er wollte, vor allem was die Ausrüstung betrifft, die er wollte. Die Kämpfe waren extrem verlustreich, der Krieg brutal. Und die Wagnertruppe hat gerade in Bachmut hohe Verluste erlitten. Viele der Toten waren Gefängnisinsassen, die Prigoschin selbst rekrutiert hatte und die er in das Gemetzel an der Front schickte.“

Offenbar hoffte Prigoschin, dass Putin auf seiner Seite stünde, vermutet Sagramoso. „Aber der stand in letzter Zeit  eher auf Seiten seines Verteidigungsministers Shoigu. Putin hat sogar versucht, Wagner-Leute in die reguläre russische Armee zu holen.“

Was bedeutet es für Russlands Krieg gegen die Ukraine, sollte es auf die Wagner-Söldner verzichten müssen?

Nicht allein wegen der Bedrohung seiner Macht im eigenen Land könnte der – vorerst gestoppte – Aufstand ein Problem für Russlands Präsident Putin. Prigoschin und dessen als besonders brutal geltende Truppe war bislang ein wichtiger Akteur im Angriffskrieg gegen die Ukraine – die Russland dieser Tage mit einer Gegenoffensive zusetzt.

Die Bedeutung der Wagner-Gruppe zeigte sich zuletzt in Bachmut. Aus russischer Sicht bestand der einzige große Erfolg der vergangenen Monate in der Einnahme dieser ostukrainischen Stadt, die Prigoschin im Mai 2023 verkündete. Vorausgegangen war eine fast einjährige, für beide Seiten verlustreiche Schlacht. Auf Seiten Moskaus wurde der Kampf überwiegend durch Wagner-Söldner geführt.

Dass die – vor allem symbolisch bedeutsame – Einnahme Bachmuts gelang, hatte auch mit Prigoschins Bereitschaft zu einer verrohten Kriegsführung zu tun. Die Taktik bestand unter anderem darin, die eigenen Männer gegen die ukrainischen Verteidiger anrennen zu lassen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste.

Eine große Anzahl von Söldnern der Wagner-Gruppe sei sozusagen „in den Kampf geworfen“ worden, wie US-amerikanische Experten unter Berufung auf Geheimdienstberichte sagten.

Die Wagner-Söldner, die zum Teil aus zwangsrekrutierten russischen Soldaten bestehen, gelten in ihrem Vorgehen als besonders brutal. Das bezieht sich einerseits auf ihren Umgang mit Kriegsgefangenen. Den Männern werden Kriegsverbrechen wie Folter und die Tötung Gefangener vorgeworfen.

Andererseits scheinen sie für Putin im Ukrainekrieg als sogenannte „Sperrtruppen“ agiert zu haben. Das legen ukrainische Geheimdienstinformationen von Oktober 2022 nahe. „Sperrtruppen“ sind Militäreinheiten, die hinter den Hauptstreitkräften stationiert sind. Sie sollen fliehende russische Soldaten aufhalten – und notfalls erschießen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false