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Am Freitag verkündete Premierminister Mark Rutte seinen Rücktritt.

© Imago/Phil Nijhuis

„Die Basis der Koalition ist weggefallen“: Woran Ruttes Regierung in den Niederlanden gescheitert ist

Abgezeichnet hat es sich lange, am Ende ging es schnell. Das Scheitern der Koalition in Den Haag illustriert einmal mehr den Zustand der niederländischen Politik. 

Nach anderthalb Jahren ist in den Niederlanden die Vier-Parteien-Koalition von Premierminister Mark Rutte zerbrochen. Auslöser war der Streit um den Familiennachzug von Asylbewerbern, den Ruttes liberal-rechte Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) noch vor der Sommerpause lösen wollte.

Nach dreitägigen Verhandlungen trat der Premier am Freitagabend vor die Presse und bekannte: „Es ist kein Geheimnis, dass die Koalitionspartner sehr verschieden über die Migrationspolitik denken. Heute müssen wir leider den Schluss ziehen, dass diese Unterschiede unüberbrückbar sind.“

Die VVD hatte seit Wochenbeginn darauf gedrängt, den Familiennachzug von Asylbewerbern stark einzuschränken. Innerhalb der Koalition, der auch die liberalen Democraten 66 (D66) sowie die Christdemokraten (CDA) angehörten, stand vor allem die Juniorpartnerin ChristenUnie (CU) diesem Vorhaben entgegen. Die calvinistische Partei ist zwar klein, war aber als Mehrheitsbeschafferin essenziell. Dass Kinder in ihrer Familie aufwachsen, gehört zu ihren ethischen Kernwerten.

Ruttes Partei drängt schon lange auf schärfere Asylgesetze

„Migration ist ein großes und wichtiges Thema. Da wir bei diesem nicht zu einer Übereinstimmung kommen können, haben wir uns im Ministerrat beratschlagen müssen und gemeinsam geurteilt, dass die politische Basis der Koalition weggefallen ist“, sagte Rutte am Freitag.

Wie die Vertreter der anderen Regierungsparteien beteuerte er alles getan zu haben, um einen Kompromiss zu finden. „Alle vier sind bis zum letzten gegangen“, sagte Vizepremier und Finanzministerin Sigrid Kaag (D66). „Leider ist es in einigen Punkten nicht gelungen.“

So plötzlich der Konflikt in der vergangenen Woche vor der parlamentarischen Sommerpause in Den Haag entstand, so wenig überraschend ist er inhaltlich. Die VVD drängt als größte Partei schon seit längerem darauf, die Zahl der Asylbewerber im Land zu beschränken.

Im November sagte Rutte, der im Oktober 2010 Premierminister wurde, dies seiner Fraktion zu. In den vergangenen Monaten fiel er in der europäischen Öffentlichkeit durch seine Bemühungen auf, mit Tunesien ein Abkommen zur Abwehr von Flüchtlingen zu schließen.

Auf nationaler Ebene dagegen gilt die VVD in zuwanderungskritischen Kreisen inzwischen als zögerlich. Auch die eigene Basis will einen härteren Kurs, was sie zuletzt im Juni beim Parteikongress deutlich machte, als sie Rutte fehlende Tatkraft vorwarf. Dahinter steht die Befürchtung, es könne im Sommer wie 2022 wieder zu einer Krise durch fehlende Unterkünfte für Asylbewerber kommen.

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Jahre lang regiert Mark Rutte als Premierminister bereits die Niederlande.

Damals schliefen vor dem zentralen Aufnahmezentrum in Ter Apel teilweise Hunderte Antragsteller auf der Straße. Die Regierung versucht seither verzweifelt, neue Unterkünfte zu finden. In den Kommunen regt sich dagegen vielfach Widerstand.

Das Thema Asyl und Migration ist freilich nicht das einzige, das in der kurzen Regierungszeit des inzwischen vierten Kabinetts Rutte konstant für Instabilität sorgte. Die anhaltende Auseinandersetzung mit Bauern und Landwirtschaftsverbänden um Stickstoff-reduzierende Maßnahmen hatte ebenfalls Potenzial, die Koalition fallen zu lassen.

Hinzu kommt die Abwicklung der Erdgasförderung in Groningen, eine anhaltende Wohnungskrise und der noch immer ungelöste Kindergeld-Skandal, über den die Vorgänger-Regierung Anfang 2021 stürzte. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass das Vertrauen der Bevölkerung in Politik und Parlament erschüttert ist.

Nach aktuellem Stand könnte es nun Mitte November zu Neuwahlen kommen. Dass Rutte sich und seine Partei mit dem jüngsten Vorgehen bereits in Position gebracht hat, ist offensichtlich. Die VVD muss sich dabei gegen die Herausforderung wehren, die ihr zuletzt durch die BauerBürgerBewegung (BBB) erwachsen ist. Bei den Provinzialwahlen im März erzielte die junge Partei einen deutlichen Sieg, bei dem sie vom weit verbreiteten Frust über die etablierte Politik profitierte.

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