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Marine Le Pen and Jordan Bardella.

© Action Press/SIPA/Alain Robert

„Ihnen gelingt etwas völlig Neues“: Le Pens Wandlung für eine „Doppelspitze“ bei Frankreichs Rechten

Der 28-jährige Parteichef Jordan Bardella führt den EU-Wahlkampf an, Marine Le Pen leitet die Fraktion. Die neue Doppelspitze ist auch familiär verbunden. Doch hinter den Kulissen brodelt es.

Zwei Monate ließ Marine Le Pen nichts von sich hören – eine ungewöhnlich lange Zeit für die sonst in den französischen Medien so omnipräsente Politikerin. Umso angriffslustiger trat die 55-Jährige am vergangenen Wochenende bei einer Veranstaltung ihrer rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) im südfranzösischen Beaucaire auf.

„Wir sind Millionen“, rief sie vor jubelnden Anhängern, während sie die Arme ausstreckte, als wolle sie alle umarmen. „Wir verkörpern die Hoffnung auf einen echten politischen Wechsel nach 40 Jahren strategischer Fehler!“

Präsidentschaftswahlen stehen zwar erst 2027 wieder an und dann sei sie die „natürliche Kandidatin“ ihres Lagers – das stellte Le Pen in einem Interview kurz nach dem Auftritt klar. Vorher findet mit den Europawahlen im Juni 2024 aber noch ein anderer, wichtiger Urnengang statt. Der RN hofft, wie die beiden letzten Male stärkste französische Kraft zu werden.

Wie 2019 schickt Le Pen ihre rechte Hand, Jordan Bardella, als Spitzenkandidat in den Wahlkampf, den das Treffen in Beaucaire offiziell einläutete.

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„Jordan, ich weiß und wir alle hier wissen, dass du tausendfach über die für diesen Kampf nötige Qualität, die Talente und Energie verfügst“, richtete sich Le Pen an den 28-Jährigen in der ersten Reihe. Er antwortete mit einer angedeuteten Verbeugung.

Sind Le Pen und Bardella Konkurrenten?

Wie vor jeder Präsidentschaftswahl seit 2012 gab Le Pen vor der letzten im Frühjahr 2022 den Parteivorsitz ab, um als weniger parteiisch wahrgenommen zu werden.

Diesmal holte sie sich das Amt anschließend nicht zurück, sondern überließ es Bardella dauerhaft. Stattdessen übernahm sie den Vorsitz der 89 Sitze zählenden RN-Fraktion in der Nationalversammlung. Es handelte sich dort um die größte Oppositionsgruppe.

Den beiden gelingt etwas völlig Neues für die Partei, nämlich der Wechsel von einer quasi monarchischen Führung hin zu einer Doppelspitze.

Jean-Yves Camus, Politologe

Gibt es eine Konkurrenz zwischen dem faktischen Parteichef und seiner Mentorin? Das Magazin „Express“ berichtete über eine Gruppe RN-Mitglieder, die sich vor Jahren regelmäßig trafen. „Wir teilten die Überzeugung, dass Marine Le Pen eine Niete war und verdrängt werden musste“, wird einer von ihnen anonym zitiert. „Dann ließ Jordan sich einwickeln.“ Es heißt, sie habe ihm im Falle eines Siegs bei der Präsidentschaftswahl das Amt des Premierministers angeboten.

„Den beiden gelingt etwas völlig Neues für die Partei, nämlich der Wechsel von einer quasi monarchischen Führung hin zu einer Doppelspitze“, sagt Jean-Yves Camus, Politologe und Leiter der „Beobachtungsstelle der politischen Radikalität“ der politischen Stiftung Fondation Jean Jaurès.

Le Pen habe sich gewandelt, weil Bardella ihr nutze. „Sie sind komplementär hinsichtlich ihrer Generation, des Images, der sozialen Herkunft und Ausbildung“, sagt Camus.

Bardella ist ein Kind italienischer Einwanderer

Der 28-Jährige, der privat mit Le Pens Nichte Nolwenn Olivier liiert ist, gilt als politisches Nachwuchstalent. Nachdem Präsident Emmanuel Macron Anfang September alle Parteichefs zu Gesprächen hinter verschlossenen Türen eingeladen hatte, ließ er wissen, Bardella sei „von allen am besten vorbereitet“ gewesen.

Aufgewachsen als Kind italienischer Einwanderer in der ärmlichen Pariser Vorstadt Drancy, kann dieser sich zugutehalten, kein Produkt der Eliten, des „Systems“ zu sein. Damit repräsentiert er nicht nur den Kern der RN-Wähler, die überwiegend aus der Unterschicht stammen und von der Inflation stark betroffen sind.

Bardella, so Camus, gehört gleichzeitig der „Generation Marine Le Pen“ an, die seit 2011, als sie den damaligen Front National von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernahm, die Partei einem echten Wandel unterzog: Offen rechtsextreme Parolen oder Symbole verbot sie, sogar den eigenen Vater schloss sie aus. „Sie hat am meisten Anhänger unter den 25- bis 34-Jährigen, die sich an die Zeit vor ihr schlicht nicht mehr erinnern“, so Jean-Yves Camus.

Le Pen zweitbeliebteste Politikerin

Ihre Strategie der „Entteufelung“ ging in weiten Teilen auf. Die Zahl der Menschen, die Le Pen das höchste politische Amt künftig zutrauen, wächst.

48
Prozent der Französinnen und Franzosen trauen Le Pen das höchste Staatsamt zu.

Für mehr als die Hälfte verkörpert sie „Hoffnung“. Im Politbarometer erscheint sie mit 33 Prozent positiven Meinungen als zweitbeliebteste Persönlichkeit, hinter dem ehemaligen Premierminister Édouard Philippe.

Ob die Unruhen in den französischen Vorstädten im Sommer, das Verbot des islamischen Übergewandes Abaya in den Schulen, die steigenden Flüchtlingszahlen in Europa – der RN profitiert von allen Debatten.

Inzwischen hat der RN allerdings Konkurrenz von rechtsaußen. Für die Partei des ultrarechten Ex-Journalisten Éric Zemmour, „Reconquête“ zieht Marion Maréchal in den EU-Wahlkampf – Le Pens Nichte und einstige Parteifreundin, die sich von ihr abgewandt hat und offen um Stimmen der Republikaner wirbt.

Bei der Präsidentschaftswahl 2023 kam Zemmours Kandidatur Le Pe zugute, weil er sie moderater erscheinen ließ und sie im zweiten Wahlgang gegen Macron auf die Stimmen seiner Anhänger zählen konnte. Die EU-Wahlen sehen nur eine Runde vor – der Kampf um rechte Stimmen in Frankreich wird ein harter.

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