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Ein russischer Soldat an der Verteidigungslinie an der Grenze des Bezirks Jasinowataja in der Nähe des Industriegebiets Awdejewka.

© IMAGO/ITAR-TASS

„Eine Taktik wie aus dem Lehrbuch“: So ändert Russland seine Strategie in der Kampfzone

Militärexperten und ukrainische Soldaten berichten von einem Strategiewechsel Russlands. Einsatzprotokolle aus Bachmut zeigen nun, wie dieser konkret aussieht.

Russische Streitkräfte haben im Rahmen der ukrainischen Gegenoffensive offenbar ihre Taktik geändert und aus militärischen Fehlern in der Vergangenheit gelernt.

Das geht aus einem Bericht der „New York Times“ hervor, die sich dabei auf Experten und ein Einsatzprotokoll eines Gefechts nahe der Stadt Bachmut aus dem vergangenen März stützt.

Demnach habe sich die russische Militärführung in den letzten Monaten an ukrainische Kriegsstrategien anpasst. Durch eine Reihe von taktischen Änderungen habe Russland vor allem in der Region Bachmut Boden gewinnen können, berichtet die „New York Times“ weiter.


Wie hat Russland seine Strategie geändert?

Der Kreml habe im Rahmen seines Strategiewechsels vor allem Änderungen bei der Truppenkoordination und Luftwaffenunterstützung vorgenommen, berichtet die US-amerikanische Tageszeitung unter Berufung auf Interviews mit insgesamt 17 Militärexperten, Kriegsgefangenen und Soldaten.

Sie haben ihre Taktik in den letzten sechs Monaten geändert.

Ruslan Zubariew, Soldat der ukrainischen Armee

Einer davon ist der ukrainische Soldat Ruslan Zubariew. Er berichtet der „New York Times“ von einem Gefecht nahe der russisch besetzten Stadt Swatowe, bei dem die Gegner mit „einer Taktik wie aus dem Lehrbuch“ versucht hätten, die ukrainischen Schützengräben zu durchbrechen.

Russland setzt mehr auf Besonnenheit

Anstelle von roher Gewalt hätten die russischen Streitkräfte bei dem im Februar stattgefundenen Angriff vermehrt auf Strategie gesetzt, so Zubariew.

Vier Tage lang hätten die russischen Soldaten mit starkem Beschuss zunächst das Blätterdach zerstört, unter dem die ukrainischen Streitkräfte Position bezogen hatten. Nachdem die Stellungen besser einzusehen waren, sei der Feind mit einem gepanzerten Mannschaftswagen vorgerückt, der von etwa einem Dutzend russischer Soldaten flankiert wurde, berichtet Zubariew.

Ein weiteres Beispiel für den Strategiewechsel sei, dass russische Panzerkolonnen in letzter Zeit nicht mehr überstürzt Gebiete stürmen, in denen die wertvollen Kampffahrzeuge schnell beschädigt oder zerstört werden könnten.

Vor einem Angriff würden die Truppen nun weitaus häufiger zu Drohnen greifen und auf Sondierungen setzen. Um ukrainische Schützengräben ausfindig zu machen, würden russische Soldaten zuweilen auch einfach laut rufen, heißt es in den Berichten.

Russische Schützengräben: „Spinnenlöcher im Vietnam-Stil“

Darüber hinaus seien die russischen Schützengräben mittlerweile häufig besser ausgebaut, als ihre ukrainischen Gegenstücke. In einem Missionsbericht vom März hieß es, die Bunker ähneln „Spinnenlöchern im Vietnam-Stil“ und seien „so tief, dass sie von Drohnen nicht entdeckt werden können“.

Militärexperten zufolge sei diese defensive Wende weit entfernt von Russlands ursprünglichem Plan einer eher offensiv orientierten und vollständigen Invasion Ukraine.

Taktische Änderungen bei der Luftwaffe

Darüber hinaus setze die russische Luftwaffe mittlerweile vorrangig auf Taktiken, dank derer der Bestand an Kampfflugzeugen nicht weiter dezimiert wird, berichten Experten. Dazu gehöre unter anderem auch der Einsatz von Gleitbomben, die ihr Ziel aus größerer Entfernung treffen können.

Ein ukrainischer Kommandeur einer Drohneneinheit namens Graf berichtet der „New York Times“: „Sie versuchen, hintere Kommandoposten von Kompanien und Brigaden ausfindig zu machen und sie aus großer Entfernung zu zerstören. So wollen sie die Kommunikation zwischen den Einheiten stören.“

Was bedeutet der Strategiewechsel für den Kriegsverlauf?

Westlichen Militärexperten zufolge könne Russlands Strategiewechsel den Aggressor zu einem härteren Gegner für die Ukraine machen, insbesondere wenn Moskau auch weiterhin auf defensivere Militärtaktiken setzt.

Allerdings seien vor allem die russischen Erfolge in Bachmut darauf zurückzuführen, dass dort eine große Anzahl von Söldnern der Wagner-Gruppe sozusagen „in den Kampf geworfen wurde“, berichten US-amerikanische Experten unter Berufung auf Geheimdienstberichte.

Zwar habe Russland seine Taktiken angepasst – seine Truppen seien dadurch aber nicht qualitativ besser geworden, so die Experten. Die erfahrensten russischen Soldaten seien bereits früh im Krieg gefallen. Ein Großteil der jetzigen Streitkräfte sei erst kürzlich mobilisiert oder aus dem Gefängnis rekrutiert worden – und daher weniger gut ausgebildet.

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