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Hunderte Menschen sind vor der griechischen Küste ertrunken.

© dpa/Thanassis Stavrakis

Zynische Migrationspolitik der EU: Erspart uns eure Krokodilstränen!

Von „Erschütterung“ ist unter denen die Rede, die jüngst noch dafür arbeiteten, dass das Sterben im Mittelmeer weitergehen wird. Die EU betreibt eine Migrationspolitik im Stil einer Endzeitsekte.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Lachen oder Weinen ist nicht die Alternative. Aber ob man eher traurig und entsetzt sein soll über diesen erneuten hundertefachen Tod auf dem Mittelmeer oder empört über die Schamlosigkeit jener, die sich jetzt entsetzt oder „erschüttert“ äußern. Schließlich waren sie es, die vor gerade einer Woche die Voraussetzungen dafür erneut und drastisch erhöht haben, dass immer Menschen sterben.

Der neue Frontex-Chef sagt: „Ich wünschte, ich hätte den Einfluss, das Sterben zu stoppen.“ Als hätte nicht sein Vorgänger gehen müssen, weil die Beweise erdrückend wurden, dass seine EU-Grenzschutzbehörde an illegalen Pushbacks beteiligt war. „Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich erschüttert“, heißt es in den Nachrichten der Agenturen.

Und sie wird mit den Worten zitiert, „man dürfe „angesichts dieser Not nicht abstumpfen“. Als sei das nicht längst passiert im immer rascheren Takt der Tragödien vor der europäischen Haustür. Und als sei unser aller Abstumpfung nicht das perfekte Umfeld für die herrschende Politik, die längst nur noch auf Abschottung ausgeht, auf mehr „Schutz“ – vor wem eigentlich? – der Grenzen.

Und die Illegales – wie die Pushbacks – inzwischen ganz offen praktiziert und faktisch für rechtmäßig erklärt. Liebe EU-Innen- und Justizministerinnen und -minister, erspart uns wenigstens den Anblick eurer Krokodilstränen. Von Beileidsbekundungen, dazu noch im kurzen Abstand und vor immer größeren Massensterben, bitten wir wirklich, wirklich abzusehen. Ihr werft nämlich der Brutalität eurer Politik noch Spott hinterher.

In ihrer Migrationspolitik ähnelt die EU inzwischen einer Endzeitsekte, die ihrer Anhängerschaft das Ausbleiben des prophezeiten Weltuntergangs erklärt: Wir haben eben offensichtlich nicht genug gebetet. Brüder und Schwestern, auf ein noch innigeres Neues!

Übersetzt in den Sprech der Friedensnobelpreisträgerin EU: Wenn immer noch Menschen sterben, und immer mehr, dann liegt das nicht an deren Verzweiflung, nicht am Zustand der Teile der Welt, in denen sie leben müssen, sondern: Wir haben einfach noch nicht genug Mauern und Zäune hochgezogen, genug abgeschoben, genug prügelnde Uniformierte an die EU-Außengrenzen geschickt. Wir dürfen nicht nachlassen, dann klappt’s eines Tages schon, und niemand kommt mehr.

Der Unterschied zwischen einer Sekte und unserem Europa ist, dass Sektenangehörige solchen Unsinn wirklich glauben, gegen alle Evidenz. Im Fall der europäischen Regierungen – denn um die geht es hier, nicht um ein abstraktes Brüssel – handelt es sich um reinen Zynismus. Und um einen, der massenhaft Leben zerstört.

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