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Ein ukrainische Soldat in Frontnähe.

© REUTERS/ALINA SMUTKO

Interview mit Politikexperte Baunov: „Der Ukraine geht es darum, Russland moralisch zu ermüden“

Alexander Baunov ist Politikexperte und Senior Fellow am Carnegie Eurasia Center in Berlin. Er spricht über die Taktik hinter den ukrainischen Drohnenangriffen und ob Sanktionen gegen Moskau etwas bringen.

Herr Baunov, der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj hatte vor einiger Zeit in einem Interview vor der Gefahr eines jahrelangen Stellungskriegs gewarnt. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage an der Front?
Auf der einen Seite ist Saluschnyj ein Mann des Militärs, auf der anderen Seite muss man seine Äußerungen im Zusammenhang mit der Innenpolitik und den eigentlich anstehenden Wahlen verstehen. Sagt er, es ist alles in Ordnung, stützt er zwar den Präsidenten, könnte aber von der Öffentlichkeit missverstanden werden. Würde er sich nur negativ äußern, könnte er schnell als Panikmacher gelten. Also sucht er einen Mittelweg, und das entspricht im Großen und Ganzen ja auch dem, was wir wahrnehmen.

Wäre ein Ausweg aus der Kriegssituation statt einer militärischen Niederlage eine völlige Ermüdung einer der beiden Kriegsparteien?
Das Element eines langsamen Zermürbungskrieges ist vorhanden. Zunächst einmal versucht Russland natürlich, die Ukraine militärisch kleinzukriegen. Das versucht die Ukraine umgekehrt auch. Dabei geht es aber eher darum, die Russen moralisch zu ermüden. Denn laut Kreml befindet sich Russland ja nicht im Krieg. Das zeigt etwa die Taktik der ukrainischen Drohnenangriffe. Diese richten in Zentralrussland zwar keine großen Schäden an, aber sie machen den Krieg für die Bevölkerung sichtbar.

Der Westen setzt mehr auf wirtschaftliche Ermüdungserscheinungen, also dass Russland nicht auf dem Schlachtfeld besiegt wird, sondern aufgibt, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen zu groß sind. Hier gibt es Parallelen zum ersten Weltkrieg: Die Deutschen hatten keine Kraft und keine Ressourcen mehr, um weiterzukämpfen, auch wenn sie militärisch vorankamen.

Kommen wir auf die Sanktionen gegen Russland zu sprechen. Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit der bisherigen Sanktionspakete der Europäischen Union?
Die Anpassungsfähigkeit der Marktwirtschaft im heutigen Russland ist viel höher als damals in der Sowjetunion, wo die Wirtschaft schließlich zusammenbrach. Es stemmt sich nicht ein Staat gegen die Sanktionen, sondern die Privatwirtschaft. Und die macht das ziemlich gut. Genauso wie in den 1990er Jahren, als man nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Wirtschaft weitergekämpft hat - weil es um den eigenen Profit und Erfolg ging.

Bedeutet dies, dass die Sanktionen von vornherein sinnlos waren?
Nein, natürlich nicht. Nichts zu tun, hieße, einen Angriffskrieg in Europa stillschweigend zu akzeptieren. Es musste etwas getan werden. Auch wenn die Sanktionen praktisch nur wenige Auswirkungen haben, so haben sie doch ideologisch funktioniert. Es war die lauteste Art, Nein zum Krieg zu sagen.

Welche Rolle spielen die Beziehungen Chinas zu Russland auf der einen und den USA auf der anderen Seite?
China hat derzeit keinen Grund, sich in diesem Konflikt auf die Seite des Westens zu stellen, denn es betrachtet den Westen als einen Konkurrenten, der seine Entwicklung zu bremsen versucht, und wird dort auch als Konkurrent gesehen. Was den russischen Angriffskrieg angeht, so gibt es einige, die die Sanktionen gegen das Land nachvollziehen können. Auf der anderen Seite nutzt die Aggression Moskaus China – wirtschaftlich und auch für den eigenen Ruf. Denn der chinesische Machthaber Xi Jinping wirkt im direkten Vergleich zu Putin plötzlich vertrauensvoller.

Das Moskauer Carnegie Center wurde geschlossen, in Berlin starteten Sie einen Neuanfang. Wie schmerzhaft ist dies?
Der Neuanfang war so nicht geplant, sondern war eine Entscheidung aufgrund der stärker werdenden Repressionen in Moskau. Wenige Wochen nach Beginn des Krieges existierte das Moskauer Zentrum noch formal, es wurden aber keine Texte mehr veröffentlicht oder Veranstaltungen durchgeführt. So entstand die Idee eines Neustarts.

Wie intensiv kommunizieren Sie mit anderen Menschen, die Russland verlassen haben. Spüren Sie einen Bruch zwischen denen, die gegangen sind, und denen, die geblieben sind?
Ich war im August, bei der Berliner Premiere eines Stücks von Marina Davydova und hatte das Gefühl, in das Foyer des mondänen Moskauer Vorkriegstheaters „Gogol-Center“ zu kommen. So viele Bekannte, als ob diese Premiere in Moskau wäre. Ich habe viele russische Freunde in Berlin, aber offen gesagt sehr wenige Deutsche.

Was einen Bruch zwischen den Menschen, die weggegangen sind, und denen, die in Russland blieben, angeht, so hielt ich das zunächst für übertrieben. Aber in Russland ist diese Spaltung deutlich sichtbar. Manchmal gibt es einen richtigen Groll auf uns, aber dieser wird natürlich von Menschen geschürt, die mit dem russischen Regime verbunden sind oder es gutheißen. Sie tun alles, um diejenigen, die weggegangen sind, zu stigmatisieren und zu isolieren.

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