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Walerij Saluschnyj

© dpa/AP/Ukrainian Presidential Press Office/Uncredited

Ukraine-Invasion Tag 617: Armeechef Saluschnyj gibt Fehler zu – und erklärt, wie Kiew doch noch gewinnen will

Putin hebt Verbot für Atomwaffentests auf, Lindner sagt Kiew weitere Hilfen zu, die Probleme der russischen Flugabwehr. Die Lage am Abend.  

Selten in den vergangenen Monaten haben Beobachter einen so detaillierten Blick auf die Stimmungslage der Entscheider in Kiew bekommen. Vorgelegt hat der US-Journalist Simon Shuster im „Time Magazin“ mit einem großen Artikel über den Präsidenten Wolodomyr Selenskyj und die düstere Stimmungslage im Präsidentenpalast in Kiew (mehr hier).

Nun hat sich auch der ukrainische Oberkommandierende Walerij Saluschnyj ausführlich im britischen Magazin „Economist“ zu Wort gemeldet (hier der Text im „Economist“ und hier ein ausführlicher Essay). Seine Worte haben auf der einen Seite militärische Bedeutung, aber auch innen- und außenpolitische für die Ukraine.

Erstaunlich durchaus: Saluschnyj, der unter Militärs im Ausland hoch angesehen ist und der es immerhin mit einer weit unterlegenen Armee geschafft hat, die russischen Invasoren zu stoppen und teilweise sogar zurückzudrängen, gibt auch eigene Fehler zu. „Ich habe mich geirrt“, schreibt er an einer Stelle. Hier seine zentralen Aussagen zur militärischen Lage, in denen er auch einen „Wunschzettel“ an die westlichen Unterstützer zusammenstellt und Voraussetzungen formuliert, wie der Krieg für die Ukrainer doch noch zu gewinnen ist: 

  • Der Kampf werde jetzt zu einem „Stellungskrieg“, der an den Ersten Weltkrieg erinnere, erklärt Saluschnyj. Konkret: Es gibt viel Kampf, Beschuss und Tod, aber wenig Bewegung an der Front. 
  • Von dieser Phase des Krieges wird Russland profitieren, schreibt Saluschnyj. Weil: Putin kann seine Armee wieder aufbauen, neues Gerät und Munition produzieren. Dann komme die nächste große Offensive. 
  • Der Ausweg für Saluschnyj: Eine weitere Aufrüstung der Ukraine, vor allem bei der Luftwaffe. Hier sei Russland immer noch stark überlegen. Die Verfügbarkeit von überlegener Technologie werde den Krieg letztlich entscheiden, schreibt er. Dazu gehörten auch Drohnen und Mittel zur elektronischen Kriegsführung, um russische Drohnen und Raketen unschädlich zu machen.  
  • Russland habe im Artilleriekrieg technisch aufgeholt, was die Ukrainer vor Probleme stelle. Wer die russische Armee unterschätze, mache einen Fehler, schreibt Saluschnyj.
  • Essenziell sei außerdem mehr und besseres Gerät, um Minen zu räumen. 
  • Außerdem, und das ist nun eher an die Politiker in Kiew gerichtet, wünscht sich Saluschnyj mehr und besser ausgebildete Soldaten und eine effektivere Einberufung. Zu viele Ukrainer würden sich um ihren Frontdienst drücken, beschwert er sich. 

Saluschnyi beendet seinen Text mit den Worten: „Ein Stellungskrieg ist ein langwieriger Krieg, der enorme Risiken für die ukrainischen Streitkräfte und den ukrainischen Staat birgt. Neue, innovative Ansätze können diesen Stellungskrieg wieder in einen Manöverkrieg verwandeln.“

Als seinen eigenen Fehler bezeichnet Saluschnyi den Glauben daran, dass Russland sich nach extrem hohen Verlusten zurückziehen würde. „150.000 Tote hätten in jedem anderen Land dazu geführt, den Krieg zu beenden“, sagt er im Interview mit dem „Economist“ (Quelle hier). In Russland nicht. Und mit Blick auf die ukrainische Sommeroffensive sagt er: „In den vier Monaten hätten wir eigentlich einmal auf die Krim und zurückmarschieren müssen“. Stattdessen stehen Gebietsgewinne von rund 17 Kilometern am erfolgreichsten Abschnitt der Front. Zeit für Saluschnyi den Krieg völlig neu zu denken, wie er sagt.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Putin hebt Verbot für Atomwaffentests auf: Nuklearwaffen werde Russland aber erst dann wieder testen, wenn die USA dies auch täten, teilte Moskau mit. Die USA hatten im Gegensatz zu Russland den Atomteststopp-Vertrag nie ratifiziert. Mehr hier.
  • Bei einem Besuch in Lettland hat Bundesfinanzminister Christian Lindner der Ukraine weiter anhaltende Unterstützung zugesichert. „Wir stehen beide an der Seite des ukrainischen Volkes - und bei seinen Bemühungen, sich zu verteidigen, ist die Ukraine zu unterstützen. Russland darf seine Kriegsziele nicht erreichen“, sagte der FDP-Politiker am Donnerstag nach einem Treffen mit seinem lettischen Kollegen Arvils Aseradens in Riga. Mehr in unserem Newsblog.
  • Ukrainische Truppen haben Präsident Wolodymyr Selenskyj zufolge einen Vorstoß der russischen Armee in der Nähe des Orts Wuhledar im Osten der Region Donezk zurückgeschlagen. „Es hat einen Versuch des Feindes gegeben, auf Wuhledar vorzustoßen, aber unsere Soldaten haben ihn gestoppt und dem Feind große Verluste zugefügt: Dutzende Ausrüstungsgegenstände, viele Tote und Verletzte“, teilt Selenskyj auf Telegram mit. 
  • Das britische Verteidigungsministerium bescheinigt den Russen im Angriffskrieg gegen die Ukraine weiterhin Probleme bei der Flugabwehr. Russland habe in der letzten Woche wahrscheinlich mindestens vier Abschussrampen für Boden-Luft-Raketen verloren, schrieben die Briten am Donnerstag in ihrem täglichen Update beim Kurznachrichtendienst X.

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