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Großdemonstration gegen die geplante Rentenreform in Paris

© Benoit Tessier/Reuters

Massenprotest gegen Rentenreform in Frankreich: Lehrer, Busfahrer und Arbeiter haben die Nase voll

Gewerkschaften sprechen von 200 Demonstrationen und einer Million Teilnehmer landesweit zum Auftakt der Proteste.

Rauchschwaden, dröhnende Musik und Böllerlärm auf dem Pariser „Place de la République“, diesem symbolträchtigen Ort, an dem sich die Französ:innen traditionell versammeln, um ihren Unmut auf die Straße zu bringen. So auch an diesem „schwarzen Donnerstag“: Ein landesweiter und branchenübergreifender Streik und Protest soll die Regierung bei ihrer geplanten Rentenreform zum Einlenken bringen.

Bis 64 statt 62 Jahre arbeiten? Für viele Arbeitnehmer:innen im Land eine klare Grenzüberschreitung. „Es ist ein Frontalangriff der Regierung auf die Rechte der Arbeitnehmer:innen“, sagt Philippe von der Gewerkschaft der Eisenbahner.

Er sieht in der Reform eine Fortsetzung der Agenda des Präsidenten, die von „sozialem Rückschritt, sinkender Kaufkraft und einer Politik auf Kosten der Ärmsten“ gekennzeichnet ist.

65 Prozent der Lehrer streiken

Wie viele seiner Kolleg:innen ist Philippe bereit, den Streik so lange fortzusetzen, bis die Regierung von der Anhebung des Rentenalters Abstand nimmt. Der Zugverkehr steht an diesem Tag weitgehend still, in der Hauptstadt zirkulieren nur vereinzelt Busse. Auch in vielen anderen Branchen ruht die Arbeit, in den Schulen streiken den Gewerkschaften zufolge etwa 65 Prozent des Lehrpersonals.

In den Erdölraffinerien sollen es gar zwischen 70 und 100 Prozent sein. Erst im vergangenen Oktober brachten die Raffinerien durch einen Streik den Verkehr in Frankreich zum Stillstand. Damals wie heute warnte die Regierung die Streikenden davor, das Land nicht zu „blockieren“. 

„Dieser Streik hat ein ganz anderes Ausmaß”, glaubt Phillippe, der in einem Atomkraftwerk arbeitet. „Dieses Mal betrifft es uns alle und wir sind vereint im Kampf gegen den Macronimus.“ Tatsächlich ist es das erste Mal seit zwölf Jahren, dass alle acht großen Gewerkschaften gemeinsam zum Streik aufgerufen haben. Mehr als 200 Proteste mit insgesamt über einer Million Menschen melden die Gewerkschaften.

Schon jetzt haben einige von ihnen eine Verlängerung des Streiks in Aussicht gestellt, sollte die Regierung sich nicht gesprächsbereit zeigen. „Wir haben Ausdauer, dieser Streik wird andauern“, sagt auch Marice, die in der Lebensmittelindustrie beschäftigt ist und die dortigen Arbeitsverhältnisse anprangert.

„Unsere Gehälter liegen knapp über dem Mindestlohn und jetzt sollen wir diesen Knochenjob noch länger ausüben – nein, wir haben die Schnauze voll.“ Gerade in vielen körperlich anstrengenden Berufen ist die Frustration derzeit so groß wie die Bereitschaft in Frontalopposition zu gehen.

Junge Feministinnen, als Rosie the Riveter gekleidet, einer fiktiven Werbefigur für Frauen in der Rüstungsindustrie, demonstrieren gegen die Anhebung des Rentenalters.

© Benoit Tessier/Reuters

Diese Wut weckt schnell Erinnerungen an das Schreckgespenst „Gelbwesten”, jene Protestbewegung, die seit den Straßenkämpfen von 2018 auf ihre Rückkehr wartet. Sasha hat sich seine gelbe Weste übergestreift, glaubt aber nicht an ein Comeback, da die Bewegung in der Bevölkerung nicht mehr die nötige Unterstützung finden würde. Vielmehr hofft er, dass aus dem jetzigen Streik eine neue Protestfront gegen die Regierung erwächst.

Pierre Rouxel, Dozent an der Universität in Rennes, geht davon aus, dass dies den Gewerkschaften gelingen kann, wenn sie das Momentum aufrechterhalten, Allianzen schmieden und ein Gegenentwurf zur Politik des Präsidenten vorstellen.

Wenig ließe darauf schließen, dass ihre Entschlossenheit abebbt, vielmehr hätten sich die Proteste gegen große Reformen in der Vergangenheit oft über Wochen oder gar Monate gezogen. Bis das Vorhaben überhaupt das Parlament erreicht, muss die Regierung sich demnach noch auf starken Gegenwind einstellen. 

Wut auf Macron empfindet auch Sylvain, ein Lehrer an einer Grundschule. Vor allem aber kann er die Reform nicht nachvollziehen: „Wieso sollen wir das Rentensystem durch mehr harte Arbeit retten, während die Superreichen ihre Gewinne weiter steigern?” Macron, so Sylvain, stehe in akuter Erklärungsnot. Eine Einschätzung, die hier auf dem „Place de la République“ so allgegenwärtig ist wie der Protestlärm. 

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