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Zwei russische Soldaten in der Ostukraine

© Imago/Stanislav Krasilnikov

Menschliche Köder und Deserteure: Warum Russland seine eigenen Soldaten angreift

Immer mehr Fälle von Deserteuren erreichen Russlands Gerichte – und auch in der Ukraine geht Moskau gegen sie vor. Ein russischer Oppositionspolitiker sieht darin ein echtes Problem.

Das ukrainische Militär und auch internationale Geheimdienste haben schon mehrfach berichtet, dass Russland seine eigenen Soldaten angreift, um sie daran zu hindern, zu desertieren. Zuletzt soll das bei der ukrainischen Befreiung des Ortes Andrijiwka nahe der Stadt Donezk im Osten der Ukraine wieder der Fall gewesen sein.

„Es gibt Fälle, in denen die Russen ihre eigenen Männer als Köder einsetzen, indem sie eine bestimmte Anzahl ihrer Infanteristen in den Stellungen zurücklassen“, sagte ein Presseoffizier der 26. Artilleriebrigade dem Tagesspiegel. Die Russen ließen ihre Einheiten manchmal sogar unter Beschuss nehmen, weil sie nicht wüssten, wo sich ihre Einheit in einem bestimmten Gebiet befindet.

Im November 2022 berichtete der britische Geheimdienst, dass die russischen Streitkräfte aufgrund der niedrigen Moral und der mangelnden Kampfbereitschaft damit begonnen haben, Angriffsabwehreinheiten einzusetzen, die damit drohen, ihre eigenen Soldaten zu erschießen, wenn diese sich zurückziehen.

Im März dieses Jahres veröffentlichte der britische „Guardian“ ein Video, in dem Mitglieder der russischen Sturmtruppe „Storm“ erklärten, ihre Kommandeure hätten Truppen eingesetzt, um sie am Rückzug zu hindern – und sie mit dem Tod bedroht, nachdem sie in der Ostukraine Verluste erlitten hatten.

In einem an Präsident Wladimir Putin gerichteten Video erklärte eine Gruppe von etwa zwei Dutzend Männern in Uniform, sie seien Überbleibsel einer Einheit, die dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt sei. Der Kreml hat Berichte, wonach Teile der russischen Armee in der Ukraine desertieren, weitgehend zurückgewiesen.

Gleichzeitig wurden nach Angaben der russischen Publikation Mediazona allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 mehr Fälle von unerlaubtem Verlassen der Einheit bei russischen Gerichten eingereicht als im Jahr zuvor. Die Journalisten analysierten Daten auf den Websites der russischen Militärgerichte. Von Januar bis Mai 2023 gingen bei den Gerichten 1.053 Fälle von unerlaubtem Verlassen einer Einheit ein. Das sind mehr als im gesamten Jahr 2022 (1.001 Fälle).

Die schrecklichen Gräueltaten sind ein schlechtes Aushängeschild.

Gennadi Gudkow, russischer Oppositionspolitiker

Nach Ansicht des russischen Oppositionspolitikers Gennadi Gudkow wird sich die Zahl der Deserteure in den Reihen von Putins Streitkräften noch vervielfachen. Immerhin sei die Lage an der ukrainischen Front immer schlechter, was sich natürlich negativ auf die russische Armee und ihre Moral auswirke.

Die schrecklichen Gräueltaten, die das russische Militär in den besetzten Gebieten begeht, sind ein schlechtes Aushängeschild für diejenigen, die mit allen Mitteln versuchen, in die Armee einzutreten“, so der russische Politiker, der im bulgarischen Exil lebt, in einem Kommentar für „Voice of America“. „Die Aussicht, ein Kriegsverbrecher zu werden, kann normale Menschen nicht anziehen.“

Einen weiteren Fall schildert Juri Fedorenko. Brigadechef nahe Bachmut, dem Tagesspiegel. Die Russen hätten versucht, ihren Soldaten zu töten, als er die Hände hob und sich ergeben wollte. Die Russen standen ihm zufolge jedoch unter ukrainischer Feuerkontrolle, sodass es ihnen nicht möglich war, den Soldaten zu treffen.

Die Ukrainer beschlossen, dem russischen Soldaten einen Zettel zu schreiben, um ihm zu erklären, wie er sich zu verhalten habe. Das ist auch auf einem Video auf dem Telegrammkanal von Fedorenkos Brigade zu sehen.

Trotz der Propaganda, so Fedorenko, wüssten die russischen Angreifer, dass sich die Ukraine an die internationalen Konventionen über die Haltung von Kriegsgefangenen halte. „Weil es diese speziellen Gruppen gibt, die die klare Anweisung haben, jeden zu erschießen, der sich gewehrt hat, können sie sich nicht in Massen ergeben“, sagt Kompaniechef Fedorenko. „Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit.“

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