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In Israel wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.

© dpa/Ilia Yefimovich

Nach dem Anschlag in Jerusalem: Israels Angst vor noch mehr Terror

Der Anschlag vor einer Synagoge war der schwerste in Israel seit vielen Jahren. Wie groß ist die Gefahr, dass sich Palästinenser weiter radikalisieren?

Von Steffi Hentschke

Freitagabend in Neve Jaakov, einer jüdischen Siedlung bei Ostjerusalem. Ein palästinensischer Terrorist, 21 Jahre alt, aufgewachsen in Ostjerusalem, wartet vor einer Synagoge, bis das Schabbatgebet vorbei ist und eröffnet dann das Feuer. Er tötet sieben Menschen, drei weitere werden verletzt. Auch der Attentäter stirbt, die Polizei erschießt ihn bei einer Verfolgungsjagd. Der Terror ist zurück in Israel.

Der Anschlag vom Freitag war der schwerste in Israel seit 15 Jahren. Er folgt auf den folgenschwersten Militäreinsatz der israelischen Armee seit fast zwei Jahrzehnten. Bei einer Anti-Terror-Operation am Donnerstag im Flüchtlingslager in Dschenin waren zehn Palästinenser getötet und 20 weitere verletzt worden.

Es habe unmittelbare Gefahr für Israels Sicherheit bestanden, so rechtfertigte die Armee den Einsatz. Israel führe „ein Massaker an den Palästinensern durch“, hieß es dagegen von palästinensischer Seite.

Bereits am Samstagmorgen ereignete sich der nächste Anschlag. In der Nähe der Altstadt von Jerusalem schoss ein erst 13-jähriger Palästinenser um sich, ein jüdischer Israeli und sein Sohn wurden verletzt.

Droht ein neuer Aufstand der Palästinenser?

Wie der Attentäter vom Freitag soll er nicht in militante Netzwerke eingebunden gewesen sein. Das würde die Befürchtungen von Beobachtern bestätigen. Demnach droht zwar keine neue Intifada, also ein Aufstand der Palästinenser, aber man müsse mit mehr Einzeltätern rechnen.

Die Situation ist so ernst wie seit der zweiten Intifada (2000 bis 2005) nicht mehr. Die Palästinenser sind politisch nicht geeint. Ein Machtkampf zwischen der noch das Westjordanland regierenden Fatah und der den Gazastreifen kontrollierenden, radikal-islamistischen Hamas deutet sich an.

Dazwischen stehen eine frustrierte, desillusionierte Bevölkerung und Terrororganisationen wie der „Islamische Dschihad“. Gerade junge Palästinenser sehen in der israelischen Besatzung einen Gegner, der sich leichter bekämpfen lässt als die eigene, politisch schwache und permanent mit Korruptionsvorwürfen konfrontierte palästinensische Autonomiebehörde.

Innerhalb der palästinensischen Bevölkerung gibt es nach Einschätzung von Experten moralischen Rückhalt für den Terror, weil er als Widerstand gegen Israel verklärt wird. Das zeigte sich auch am Freitagabend, als es nach der Attacke in Jerusalem im Westjordanland spontane Jubelfeiern gab und Süßigkeiten verteilt wurden.

Im Westjordanland und im Gazastreifen wurde der Anschlag gefeiert.

© APA Images via ZUMA Press Wire/action press

Der Anschlag sei eine „natürliche Reaktion“ auf den Anti-Terror-Einsatz am Donnerstag in Dschenin gewesen, erklärte ein Hamas-Sprecher. Die Islamisten hätten sich zuletzt zurückhaltend verhalten, würden aber zunehmend unter Druck stehen, erklärte die palästinensische Politikanalystin Jumana Jaouni im Gespräch mit dem Tagesspiegel Anfang der Woche. „Unter den Palästinensern wächst die Zustimmung zum gewaltsamen Widerstand und die Erwartung, dass die Hamas den israelischen Provokationen nicht tatenlos zusieht.“

Unter den Palästinensern wächst die Zustimmung zum gewaltsamen Widerstand und die Erwartung, dass die Hamas den israelischen Provokationen nicht tatenlos zusieht.

Jumana Jaouni, palästinensische Politikanalystin

Vor drei Wochen hatte Itamar Ben-Gvir, Israels neuer Minister für nationale Sicherheit und vorbestraft wegen Terrorismus, den Tempelberg besucht und damit die arabische Welt verärgert. Am Freitagabend erschien er am Ort des Terroranschlags. Anwohner, geschockt und verzweifelt, riefen seinen Namen, drückten ihn, suchten Trost. Die Bürger müssten jetzt bewaffnet werden, um solche Anschläge in Zukunft zu verhindern, sagte Ben-Gvir.

Mit der Presse wollte Ben-Gvir nicht reden. Die Bilder des Abends aber sprechen für sich. Mit seinen Positionen findet der Minister Rückhalt in Teilen der jüdisch-israelischen Bevölkerung, zumindest bei denen, die sich nach mehr Schutz und einem härteren Vorgehen gegen den palästinensischen Terror sehnen.

Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit, fordert, mehr Israelis zu bewaffnen.

© action press / SOPA Images via ZUMA Press Wire/action press

Auch Premier Benjamin Netanjahu erschien am Freitagabend am Ort des Anschlags. Er mahnte, man müsse jetzt entschlossen, aber ruhig vorgehen und forderte die Bevölkerung auf, keine Selbstjustiz anzuwenden. Bei seinem Besuch am Freitagabend sammelten sich jedoch keine Menschenmengen um ihn; der Eindruck entstand, dass seine einstigen Wählergruppen längst einen neuen König erkoren haben – Itamar Ben-Gvir.

In einem unterscheidet sich die israelische Bevölkerung von der palästinensischen grundlegend: Die jüdischen Israelis sind tief gespalten, der Widerstand gegen die innenpolitischen Pläne der Koalition wächst.

Mehr als 70 Prozent lehnen einer Umfrage des Israel Democracy Instituts zufolge die geplante Justizreform ab, durch die der Rechtsstaat massiv geschwächt werden könnte. 130.000 Menschen demonstrierten vergangene Woche gegen die Reform, es waren die größten Proteste seit Jahren. Für Samstagabend sind erneute Demonstrationen angekündigt.

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