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Das Ende des Getreide-Deals wird die Nahrungsmittelkrise in Afrika verschärfen.

© PICTURE ALLIANCE / ASSOCIATED PRESS/Farah Abdi Warsameh

Preisexplosionen und Proteste: Was Afrika nach Putins Getreide-Stopp droht

Das Aus für das Abkommens zur sicheren Ausfuhr von ukrainischem Getreide treibt die Preise auf dem Weltmarkt in die Höhe. Besonders die Ärmsten trifft das hart.

Für viele Menschen in Afrika ist der Krieg in der Ukraine weit weg – nicht nur geografisch. Er gilt auf dem Kontinent als europäisches Problem, das die Europäer unter sich ausmachen sollten.

Seitdem Russland diese Woche jedoch das Abkommen über die sichere Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer aufgekündigt hat, ist der Konflikt in vielen afrikanischen Staaten plötzlich ganz nah. Denn dort werden viele Menschen bald eine besonders schmerzliche Folge des gescheiterten Deals direkt spüren: den Hunger.

„Das Ende des Getreideabkommens zeigt den ganzen Wahnsinn des derzeitigen weltweiten Ernährungssystems“, sagt Simone Pott von der Welthungerhilfe im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Auf einmal sind Menschen Tausende Kilometer von der Ukraine entfernt vom dortigen Krieg betroffen.“

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Millionen Tonnen Getreide hat die Ukraine seit Beginn des Getreideabkommens im Juli 2022 exportiert.

Das osteuropäische Land ist einer der wichtigsten Getreideproduzenten der Welt. So stammen etwa zehn Prozent des international gehandelten Weizens nach Angaben der Europäischen Kommission aus der Ukraine. Nur ein Bruchteil davon ging zwar bislang an arme Staaten in Afrika.

In schlimmen Fällen essen die Menschen nur noch jeden zweiten oder dritten Tag.

Simone Pott, Sprecherin der Welthungerhilfe.

Den Großteil kauften laut UN-Statistik China, Spanien, die Türkei und Italien. Insgesamt hat die Ukraine seit Beginn des Getreideabkommens im Juli 2022 mehr als 33 Millionen Tonnen Weizen, Mais, Gerste und ähnliche Güter exportiert. Gerade einmal drei Prozent sind an die ärmsten Länder der Welt gegangen, etwa an Dschibuti oder den Sudan.

Das Ende des Deals wird diese Staaten dennoch hart treffen, weil die Verknappung des Getreides die Preise in die Höhe treibt. „Die ohnehin schon hohen Preise für Lebensmittel werden steigen“, sagt der Ökonom Robert Kappel, emeritierter Professor am Institut für Afrikastudien der Uni Leipzig.

„Zu Dürren und anderen Folgen des Klimawandels kommt nun der Preisschock durch das Ende des Getreideabkommens.“ Hilfsorganisationen sind deshalb alarmiert.

Allein am Horn von Afrika sind wegen ausbleibendem Regen, aber auch wegen anhaltender kriegerischer Konflikte mehr als 40 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, in Somalia und Äthiopien, aber auch in Kenia und dem Südsudan.

„Wer nur zwei, drei Dollar pro Tag zum Überleben hat, den treffen steigende Lebensmittelpreise sehr hart“, sagt die Expertin Pott. „Viele Menschen werden bald eine Mahlzeit am Tag ausfallen lassen. Danach steigen sie auf billigere Lebensmittel um, was Nährstoffmangel zur Folge haben kann. In schlimmen Fällen essen die Menschen nur noch jeden zweiten oder dritten Tag.“ Gefährdet sind besonders Kranke, Kleinkinder, aber auch Schwangere.

Das Ende des Abkommens verschärft bestehende Spannungen

Für die Regierungen in Afrika kann das schnell zum Problem werden. „Die Entscheidung Russlands, aus der Schwarzmeer-Getreide-Initiative auszusteigen, ist ein Stich in den Rücken“, twitterte am Dienstag Korir Sing’Oei, Staatssekretär im kenianischen Außenministerium.

Im eigentlich politisch stabilen Kenia kommt es seit Monaten wegen hoher Lebensmittelpreise immer wieder zu Massenprotesten gegen die Regierung. Das geplatzte Getreide-Abkommen könnte die Lage nun verschärfen.

In Kenia können viele Menschen nicht ausreichend mit sauberem Trinkwasser versorgt werden.

© imago/Xinhua/Dong Jianghui

Am Mittwoch wurden aus der Hauptstadt Nairobi erneut Unruhen gemeldet. In der vergangenen Woche hatte es bei Zusammenstößen mit der Polizei bereits mindestens sechs Tote gegeben.

Gefährliche Abhängigkeit von europäischen Importen

Ähnliche Probleme könnte auch Ägypten bald bekommen. Das Land ist einer der Hauptabnehmer ukrainischen Getreides. Zwei Drittel seiner Lebensmittel bezieht Kairo aus dem Ausland. Über Nacht neue Lieferanten zu finden, ist nicht leicht.

Die betroffenen Staaten müssen neue Verträge schließen, neue Lieferketten etablieren, Schiffe und Güter neu versichern. „Für Importe aus anderen Staaten werden nun 20 bis 30 US-Dollar pro Tonne Getreide mehr fällig“, sagt Kappel. „Das belastet die Staatshaushalte, weil den armen Ländern nun noch mehr Devisen fehlen als ohnehin.“

Umso wichtiger sei es deshalb, dass sich Länder in Afrika unabhängig von europäischen Lebensmittelimporten machten, sagt Simone Pott von der Welthungerhilfe. Die Länder im Süden müssten ihre eigene Landwirtschaft stärken.

„Dafür müssen sie den ländlichen Raum entwickeln. Es braucht Straßenbau, Anlagen zur Verarbeitung von Lebensmitteln, Möglichkeiten zum Kühlen und Lagern.“

So sieht es auch der Afrikaexperte Kappel. „Leider“, so sagt er, „interessieren sich die Staatseliten dort aber häufig nicht so sehr für die eigene Bevölkerung.“

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