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Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel.

© dpa/AP/EPA/Abir Sultan

Rücktrittsforderungen und schlechte Umfragen: Wie lange kann sich Netanjahu noch im Amt halten?

Die Kritik am israelischen Premier Netanjahu wird immer lauter. Viele wollen, dass er sein Amt niederlegt – auch die Angehörigen derjenigen, die von der Hamas als Geiseln gehalten werden.

Die Gratiszeitung „Israel Hayom“ galt lange als Hausblatt des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Im Land trägt die Zeitung deshalb sogar den Spitznamen „Bibiton“, eine Kombination aus dem hebräischen Wort für Zeitung, „Iton“, und dem Spitznamen Netanjahus, „Bibi“. So viel Hintergrund ist nötig, um zu zeigen, wie schlecht es um das öffentliche Ansehen des Premiers steht.

„Netanjahu, führe uns zum Sieg, und dann geh“, lautete die Überschrift eines Meinungsbeitrags in „Israel Hayom“. Verfasst hatte diesen kein rebellischer Gastautor, sondern Uri Dagon, der Nachrichtenchef. Der Text endet mit den Worten: „Benjamin Netanjahu muss so schnell wie möglich abtreten.“ Mit dieser Forderung hat Dagon eine große Mehrheit der Israelis hinter sich. Nur jeder Fünfte will einer Umfrage zufolge Netanjahu nach dem Krieg noch an der Regierungsspitze sehen. Auch seine Likudpartei ist in den Erhebungen dramatisch abgesackt.

Dass Netanjahu sich diese Ergebnisse zu Herzen nehmen und nach dem Krieg zurücktreten könnte, erwartet aber wohl niemand. Der Premier, der das Land länger regiert als jeder seiner Vorgänger, ist für seinen absoluten Machtwillen bekannt und berüchtigt. Und während die Chefs von Armee und Inlandsgeheimdienst schon kurz nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober Verantwortung einräumten und ihren Rücktritt in Aussicht stellten, bemüht Netanjahu sich darum, seinen Namen von der Katastrophe reinzuwaschen.

Netanjahu soll wohl Beweise für seine Unschuld sammeln lassen

Anstatt Verantwortung zu übernehmen, lässt er durchblicken, die Sicherheitsdienste hätten versagt. Hinter den Kulissen soll er israelischen Medien zufolge jedoch bereits ein Team damit beauftragt haben, Beweise für seine angebliche Unschuld zu sammeln.

Doch nicht nur Netanjahu plant für den Tag nach dem Krieg. Zwar ist es still geworden um die Protestbewegung, die sich Anfang des Jahres in Reaktion auf den geplanten Umbau der Justiz gebildet hatte; ohnehin gilt die hochumstrittene Reform inzwischen als erledigt. Doch die Protestbewegung ist es nicht: Seit dem 7. Oktober engagieren sich die verschiedenen Gruppen, die die breite Bewegung bilden, in sozialen und humanitären Initiativen, sammeln etwa Spenden für die mehr als 200.000 Menschen, die wegen des Krieges aus grenznahen Gebieten evakuiert wurden.

Wir werden das Land niederbrennen, bis sie nach Hause kommen!

Shelli Shem Tov, Mutter eines 21-Jährigen, der von der Hamas als Geisel genommen wurde

Und einem Bericht der israelischen Zeitung „Haaretz“ zufolge planen die Anführer der Bewegung bereits eine neue Protestwelle – dieses Mal gegen Netanjahu persönlich. „Wir werden das Land zum Stillstand bringen“, zitiert die Zeitung einen der Planenden. Vermutlich soll es demnach im Januar losgehen.

Schon jetzt jedoch gerät der Ministerpräsident von einer weiteren Seite aus unter Druck. Das sensibelste Thema für Israel und seine Regierung sind derzeit die Geiseln im Gazastreifen, deren Zahl offiziell mit 239 angegeben wird und unter denen etliche Kinder, Kranke, Alte und sogar Babys sind.

Deren Angehörige drängen die Regierung und Netanjahu persönlich dazu, mehr für die Befreiung der Entführten zu tun. Um den Druck zu erhöhen, haben Hunderte der Angehörigen am Dienstag einen mehrtägigen Marsch von Tel Aviv nach Jerusalem begonnen, der vor dem Büro des Ministerpräsidenten enden soll.

Nicht alle Teilnehmer des Marsches gehen so weit, den Rücktritt Netanjahus zu fordern. „Es stresst mich sogar, dass die Gesellschaft diese Diskussion gerade für relevant hält“, sagt Liri Romann am Telefon. Seine 35-jährige Schwester Yarden, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit hat, ist eine der Geiseln. „Das bringt uns jetzt nicht voran. Die Befreiung der Geiseln muss die oberste Priorität haben.“

Andere Angehörige dagegen attackieren die Regierung scharf. „Ihr seid gescheitert!“, rief eine der Teilnehmerinnen, Shelli Shem Tov, auf einer Pressekonferenz am Dienstag, dem ersten Tag des Marsches. Ihr 21-jähriger Sohn Omer wurde entführt. Netanjahu und sein Kriegskabinett müssten alles tun, um ihn und die anderen Geiseln zu befreien, forderte Shem Tov in ihrer emotionalen Ansprache. „Wir werden das Land niederbrennen, bis sie nach Hause kommen!“

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