zum Hauptinhalt
400 Siedler haben das Dorf Huwara überfallen, Häuser und Autos niedergebrannt.

© AFP/JAAFAR ASHTIYEH

Siedler-Gewalt gegen Palästinenser: Entsetzen und Zustimmung zu Lynchjustiz in Israel

Ein Toter, 100 Verletzte, niedergebrannte Häuser und Autos im palästinensischen Dorf Huwara. Von „Pogrom“ ist die Rede – aber bei Abgeordneten gibt es auch Lob.

Die Bilder sind dramatisch: Sie zeigen ein Dorf im Flammenmeer, verrußte Innenräume ausgebrannter Häuser und die angstverzerrten Gesichter der Anwohner.

Die Bilder stammen aus dem palästinensischen Dorf Hawara südlich der Stadt Nablus: Rund 400 radikale israelische Siedler waren dort in der Nacht auf Montag eingefallen, um einen palästinensischen Terroranschlag zu rächen.

Sie brannten mindestens 15 Häuser nieder, zündeten 25 Autos an und töteten einen Palästinenser. Rund Hundert weitere Einwohner wurden verletzt. Von einem „Pogrom“ sprach Meirav Michaeli, die Vorsitzende der israelischen Arbeitspartei. Ahmad Tibi, der Chef der arabisch-israelischen Ta’al-Partei, wählte noch drastischere Worte: „Kristallnacht in Huwara“, tweetete er auf Deutsch.

Verabredung radikaler Siedler

Die Ausschreitungen sind die bislang letzte Stufe einer Eskalationsspirale, die sich schon seit Monaten unerbittlich dreht. Seit einer Reihe palästinensischer Terroranschläge im vergangenen Frühjahr führt Israels Armee regelmäßig Razzien im Westjordanland durch.

Immer wieder werden dabei Palästinenser, die Widerstand leisten, und Zivilisten erschossen. Letzten Donnerstag starben bei einem solchen Einsatz elf Palästinenser. Wohl zur Vergeltung erschoss ein Palästinenser am Sonntag zwei junge israelische Männer nahe Hawara in ihrem Auto. Am selben Abend verabredeten sich radikale Siedler zu einem „Protest“ – der in dem palästinensischen Dorf eine Gewaltorgie ausartete.

Erst am Sonntag hatten sich Vertreter der israelischen und der palästinensischen Führung gemeinsam mit Gesandten der USA, Jordaniens und Ägyptens in Jordanien getroffen, um über eine Beruhigung der Lage zu beraten.

Chaos in der israelischen Regierung

Zunächst hieß es in einer gemeinsamen Erklärung, Israelis und Palästinenser würden in den kommenden Monaten auf „einseitige Maßnahmen“ verzichten; Israel solle deshalb in dieser Zeit keinen neuen Siedlungsbau im Westjordanland genehmigen. Wenig später ließ jedoch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlauten, einen solchen Baustopp „gibt es nicht und wird es nicht geben“.

Die widersprüchlichen Berichte sind symptomatisch für das Chaos, das innerhalb der israelischen Regierung herrscht – und wohl auch für den Druck, unter dem Netanjahu steht, seine radikalen Koalitionspartner nicht zu vergrätzen.

Itamar Ben Gvir, Vorsitzender der rechtsextremen israelischen Partei Otzma Yehudit (Jüdische Kraft).

© dpa / Ilia Yefimovich

Zu seiner Regierung gehört die rechtsextreme Partei „Jüdische Stärke“ unter der Führung Itamar Ben-Gvirs, der wegen araberfeindlicher Hetze vorbestraft ist und nun ausgerechnet als Minister für nationale Sicherheit dient.

Einer seiner radikalen Parteifreunde, Zvika Fogel, äußerte sich nach den Ausschreitungen der Siedler zufrieden darüber, dass die Gewalt für „Abschreckung“ sorge. Ben-Gvir selbst konnte am Sonntag einen politischen Sieg verbuchen: Das Kabinett billigte einen Gesetzesentwurf, der die Todesstrafe für Terroristen vorsieht – eine langjährige Forderung Ben-Gvirs, der seinen Wahlkampf mit dem Versprechen geführt hat, den Palästinensern zu zeigen, „wer Herr im Haus“ sei.

Ruhe und Sicherheit hat der Ansatz der neuen Regierung nicht gebracht – im Gegenteil. Zwar war die Lage schon angespannt, bevor Netanjahu im Dezember seine Koalition aus rechten und ultrareligiösen Kräften bildete. Doch jetzt dorht, außer Kontrolle zu geraten.

 Was in Jordanien war, bleibt in Jordanien.

Itamar Ben-Gvir, israelischer Minister für nationale Sicherheit auf Twitter

Dazu dürfte beitragen, dass manche gewalttätigen Siedler sich von Ben-Gvir und seinen Parteigenossen ermutigt fühlen. Zudem ist die Regierung selbst gespalten in Pragmatiker wie Verteidigungsminister Yoav Gallant, der auf eine lange Militärkarriere zurückblickt, und militärisch unerfahrene Ideologen wie Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich, die ihre radikalen Wähler zufriedenstellen wollen.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch Netanjahu, der zu alledem noch unter dem Druck der Amerikaner steht, die auf Deeskalation drängen und das Treffen in Jordanien arrangiert haben sollen.

Wie lange er seine Regierung unter diesen Umständen zusammenhalten kann, ist fraglich. Erste Risse zeigen sich bereits. „Was in Jordanien war“, schrieb Ben-Gvir am Sonntag auf Twitter, „bleibt in Jordanien.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false