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Ukrainische Soldaten fahren in einem Humvee durch die Stadt.

© picture alliance/dpa/AP / picture alliance/dpa/AP

Ukraine-Invasion Tag 352: Andeutungen zu Russlands (bislang) unsichtbarer Offensive mehren sich

„Spiegel“ verändert nachträglich Selenskyj-Zitat, Kreml sieht sich im Krieg wie gegen Napoleon und Hitler. Der Überblick am Abend.

Die russische Offensive hat nun tatsächlich begonnen. Vielmehr lässt sich an diesem Freitag über die aufflammenden Kämpfe entlang der gesamten Front aber nicht sagen. Zwar hat Moskau auch heute wieder ukrainische Infrastruktur mit rund 70 Raketen und Drohnen angegriffen, aber ob der Geschosshagel Teil der Offensive war, ist unklar. 

Bisher gibt es vor allem Aussagen von ukrainischen Politikern, die auf Russlands breit angelegten und entschiedenen Vorstoß hindeuten. Der Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sagte in einem Interview mit der „Welt“: „Die Intensität der Angriffe sprengt jeden Rahmen.“ Und auch Bürgermeister von Gemeinden, die entlang der Front liegen, oder der Gouverneur von Luhansk sprechen von schwersten Gefechten.

Videos oder Fotos, die ein Vorrücken oder gar Eroberungen russischer Truppen zeigen, gibt es bisher kaum - was nichts heißen muss (auch die ukrainischen Erfolge im Sommer und Herbst gingen eine Zeitlang weitgehend unbemerkt vor sich).

Auch ob es in den nächsten Wochen auf mehreren hundert Kilometern Frontlänge so brutal zugehen wird wie in den vergangenen Wochen um die Stadt Bachmut, bleibt abzuwarten. Bachmut wiederum scheint, wenn man den Beobachtern glauben will, nach Monaten der Belagerung kurz davor zu sein, so von russischen Truppen umschlossen zu werden, dass die Ukrainer es aufgeben müssen. Noch Anfang Januar schätzten Experten, dass Bachmut noch mehrere Monate halten würde, nun sind es nunmehr wenige Wochen. Das zeigt: Einschätzungen, Bewertungen ändern sich - im Krieg manchmal auch sehr schnell.

Am Ende sind die Verschiebungen auf den Karten, die den Frontverlauf zeigen, aber nur Schlaglichter. Wie der Kriegsforscher Phillips O'Brien immer wieder betont, sind weniger die Veränderungen auf der Landkarte wichtig, sondern die Verluste, die mit ihnen einhergehen. Russland kann demnach eine Stadt erobern und trotzdem so geschwächt sein, dass die nächste Niederlage unvermeidbar ist.

Die Nachrichten des Tages im Überblick

  • „Potenzielle Risiken der Eskalation“: London will kurzfristig keine Kampfjets an die Ukraine liefern. Mehr hier
    Russische Kalibr-Raketen sollen über Moldau und das Nato-Land Rumänien geflogen sein, meldet die Ukraine. Bukarest bestreitet ein Eindringen in den eigenen Luftraum. Mehr hier.
  • Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sehen die Welt auf einer „Rutschbahn“ in den Atomkrieg. Heftige Kritik bleibt nicht aus – Unterstützung erhalten die beiden aus der AfD. Mehr hier.
  • Eine Schlüssel-Aussage des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über Bundeskanzler Olaf Scholz im „Spiegel“ liest sich jetzt diplomatischer. Eine ungenaue Übersetzung soll schuld sein. Mehr hier
  • Die durch Kritik am Ukraine-Krieg bekannt gewordene TV-Journalistin Marina Owsjannikowa hat erstmals Einblick in ihre Flucht aus Russland gegeben. Mithilfe der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sei sie kurz vor Beginn eines Prozesses im Oktober aus dem Land geschleust worden, berichtete die 44-Jährige am Freitag in Paris. Mehr in unserem Liveblog.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die neuen Raketenangriffe auf sein Land als „Herausforderung für die Nato“ bezeichnet und um Hilfe gebeten. „Das ist Terror, den man stoppen kann und muss“, wandte sich der Staatschef am Freitag in einer Videobotschaft aus Kiew an das westliche Militärbündnis.
  • Militärische Kanäle zur Kommunikation zwischen der Nato und Russland sind nach den Worten des russischen Vize-Außenministers Alexander Gruschko weiterhin offen. „Vor allem die Telefonleitung zwischen Russlands Generalstabschef und dem Kommandeur der Nato-Truppen in Europa“, sagt Gruschko im russischen Staatsfernsehen. Auch der russische Botschafter in Belgien, wo die Nato ihren Sitz hat, sei beauftragt worden, bei Bedarf mit der Nato zu kommunizieren. 
  • Russland hat am Freitag eine Drosselung seiner Ölproduktion um fünf Prozent im März angekündigt. Energieminister Alexander Nowak sagte, die Förderung werde um 500.000 Barrel am Tag zurückgefahren. Regierungssprecher Dmitri Peskow ergänzte, Moskau habe im Vorfeld „mit einer gewissen Anzahl“ von Mitgliedern der Organisation Erdöl produzierender Länder (Opec) gesprochen. In London stieg umgehend der Ölpreis.
  • Russlands Außenminister Sergej Lawrow sieht seine Heimat in einem Krieg wie gegen den französischen Feldherrn Napoleon im 19. Jahrhundert und gegen Nazi-Diktator Adolf Hitler im 20. Jahrhundert. „Immer lauter werden Rufe nach einer Zerstückelung unserer Heimat“, sagte Lawrow am Freitag bei einem Festakt zum Tag des Diplomaten. Der 73-Jährige sagte nicht, wer konkret dazu aufrufe. Russland sieht sich in einem globalen Konflikt mit den USA, der EU und der Nato.
  • Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Angaben des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko zehn russische Raketen über der Hauptstadt abgeschossen. Klitschko beruft sich in seiner Mitteilung auf dem Kurznachrichtendienst Telegram auf das ukrainische Militär.
  • Der russische Präsident Wladimir Putin wird seine Rede zur Lage der Nation am 21. Februar, kurz vor dem Jahrestag seines Krieges gegen die Ukraine, halten. Die Föderale Versammlung - die Staatsduma und der Föderationsrat - trete dazu im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor in Kreml-Nähe zusammen, teilte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Freitag mit. 
  • Auf der Rückreise vom EU-Gipfel in Brüssel hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Polen seinen Amtskollegen Andrzej Duda getroffen. Das Treffen in der südpolnischen Stadt Rzeszow habe am späten Donnerstagabend stattgefunden, sagte Dudas außenpolitischer Berater Marcin Przydacz am Freitag der Nachrichtenagentur PAP.
  • In Zusammenhang mit den Waffenlieferungen an die Ukraine fordert der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, die europäische Rüstungsindustrie zu stärken. „Wenn wir wirklich wollen, dass die Ukraine diesen furchtbaren russischen Angriffskrieg gewinnt, dann muss mehr getan werden“, sagte Roth am Freitag im RBB-Inforadio. „Dann müssen die Rüstungsindustriekapazitäten hochgefahren werden.“ 
  • Wagner-Söldner und reguläre russische Truppen sind nach Einschätzung britischer Militärexperten in den vergangenen Tagen auf die ostukrainischen Städte Bachmut und Wuhledar vorgerückt - erlitten dabei aber teils hohe Verluste. Das ging aus dem täglichen Geheimdienst-Update des Verteidigungsministeriums in London am Freitag hervor. „Russische Kräfte dominieren zunehmend die nördlichen Zufahrtswege nach Bachmut. Im Süden sind russische Einheiten auf den westlichen Rand des Ortes Wuhledar vorgerückt (...)“, hieß es darin. 
  • Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat die EU-Partner aufgefordert, sich an den Lieferungen von Panzern an die Ukraine zu beteiligen. „Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass auch unsere europäischen Partner die Ukraine in entsprechender Weise unterstützen“, sagte Buschmann dem Nachrichtenportal „t-online.de“ nach Angaben von Donnerstagabend. Er gehe davon aus, „dass auch andere europäische Länder bald weitere substantielle Unterstützung an die Ukraine leisten werden“. 
  • Der portugiesische Regierungschef António Costa hat der Ukraine drei moderne Kampfpanzer des Typs Leopard 2A6 zugesagt. Das erklärte der sozialistische Politiker beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel, wie die staatliche portugiesische Nachrichtenagentur Lusa meldete. Als möglichen Zeitpunkt der Entsendung hatte Costa schon zuvor im staatlichen TV-Sender RTP einen auf europäischer Ebene avisierten Zeitraum „bis Ende März“ genannt. 
  • Der französische Präsident Emmanuel Macron schließt Kampfjet-Lieferungen an die Ukraine nicht aus, auch wenn diese „auf keinen Fall in den kommenden Wochen“ erfolgen dürften. Grund seien unter anderem notwendige Vorlaufzeiten und Ausbildungserfordernisse, sagte er am frühen Freitagmorgen nach Abschluss des EU-Gipfels in Brüssel, an dem auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilgenommen hatte. 
  • Die USA sollen die Ukraine einem Bericht zufolge bei der Koordination von Angriffszielen gegen das russische Militär unterstützen. Bei einer Mehrheit der Angriffe, bei denen die fortschrittlichen Raketensysteme der USA zum Einsatz kommen, sollen die USA oder Verbündete Koordinaten von Angriffszielen bereitstellen oder bestätigen, wie die „Washington Post“ unter Berufung auf nicht namentlich genannte Quellen aus der Ukraine und den USA berichtete.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Zusammenkunft mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beim EU-Gipfel in Brüssel als einen außerordentlich emotionalen Moment beschrieben. „Die persönliche Teilnahme an diesem Europäischen Rat hat alle, die ich dort versammelt gesehen habe, sehr bewegt“, sagte der SPD-Politiker in der Nacht zum Freitag nach Ende des Gipfels in Brüssel.

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