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Der US-Außenminister Antony Blinken.

© REUTERS/KEVIN LAMARQUE

Ukraine-Invasion Tag 467: Washington und London räumen Kiew plötzlich wieder gute Chancen ein

Ukraine greift auf breiter Front an, Kämpfe in russischer Grenzregion dauern an, Putins Plan für die Ukraine. Der Überblick am Abend.

Die Vorstöße der Ukrainer werden breiter und heftiger. An einem halben Dutzend Stellen an der Front sind am Sonntag schwere Gefechte ausgebrochen, der ukrainische Artilleriebeschuss auf russische Stellungen hat stark zugenommen. Die seit einigen Wochen laufenden Vorbereitungen für die große Gegenoffensive der Ukrainer haben nun auch sichtbare Bewegung an der Front erzeugt. 

Offen ist derzeit, ob die zwei größeren Vorstöße am Sonntag nahe der von Russland besetzten Provinzhauptstadt Donezk schon die Richtung der Großoffensive anzeigen. Oder ob es sich um Aktionen handelt, um das russische Militär abzulenken. Experten vermuteten, dass die Ukrainer eher im Süden den Durchbruch versuchen werden und nicht weiter im Osten, wo die aktuellen Attacken stattfinden. 

Klar ist: Die für dieses Kriegsjahr entscheidende Phase beginnt. Zuletzt äußerten sich westliche Offizielle - so der Außenminister der USA Antony Blinken und der britische Verteidigungsminister Ben Wallace - deutlich positiver über die Chancen der Ukrainer als noch vor einigen Wochen. Vor allem die geleakten Papiere aus dem Pentagon im Frühjahr hatten ein eher pessimistisches Bild der ukrainischen Möglichkeiten gezeichnet. 

Wobei sich auf ukrainischer Seite wenig verändert hat in den vergangenen Monaten. Vielmehr ist es die russische Armee, die sich in einem desolaten Zustand zeigt, wie Blinken zuletzt sehr deutlich betont hat (mehr hier). Die inneren Kämpfe (Wagner gegen Moskau) haben sich zugespitzt, hohe Verluste haben die Moral untergraben. Und die gut ausgerüsteten Einheiten, die die Ukraine zusammengestellt hat, sorgen bei vielen russischen Militärbloggern regelrecht für Neid. Hinzu kommen Vorfälle, wie die Kämpfe in der Grenzregion Belgorod, die Moskau nicht in den Griff bekommt. 

Die Ukrainer treffen also auf eine angeschlagene Armee. Wie angeschlagen sie ist, werden vielleicht schon die nächsten Stunden zeigen.

Die wichtigsten Meldungen des Tages

  • Gefechte in der Grenzregion Belgorod dauern den fünften Tag an: Die russischen Sicherheitskräfte bekommen die Situation nicht in den Griff. Auch polnische Söldner sollen für die Ukraine im Einsatz sein. In der Stadt Belgorod gab einen Großbrand. Mehr hier.
  • „Eine wichtige und positive Erklärung“ - mit diesen Worten lobt Kremlsprecher Peskow ein Angebot der USA zu Gesprächen ohne Vorbedingungen über atomare Rüstungskontrolle. Mehr hier.
  • Untersuchungskommission in Kiew: Fast jeder zweite überprüfte Luftschutzbunker soll unbrauchbar sein. Mehr hier.
  • Am Sonntag hat die Nato mit einer Militärübung in der Ostsee begonnen. Einen Tag später macht Russland dies auch. Kanzler Scholz aber befürchtet keine zusätzlichen Spannungen. Mehr hier.
  • Gibt es innerhalb Russlands ein pro-ukrainisches Agentennetzwerk? Medieninformationen zufolge soll Kiew Verbündete dort mit Drohnen versorgt haben. Mehr hier.
  • Wagner-Söldner nehmen russischen Leutnant gefangen und erzwingen Geständnis: Ein Video des Oberstleutnants kursiert in den sozialen Medien. Darin gesteht er, die Entwaffnung der Wagner-Gruppe angeordnet und auf sie geschossen zu haben – aus „persönlicher Feindseligkeit“. Mehr hier.
  • Das russische Präsidialamt hat einem Agenturbericht zufolge eine Radioansprache von Präsident Wladimir Putin als „fake“ bezeichnet. „All diese Botschaften waren eine einzige Fälschung“, zitierte die amtliche russische Nachrichtenagentur RIA Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Montag. Demnach haben mehrere Radiostationen den Beitrag gesendet. Darin hatte sich Putin am Montag vermeintlich an die russischen Regionen im Grenzgebiet zur Ukraine gewandt. Mehr in unserem Newsblog.
  • Nach einem Medienbericht über eine Verwendung belgischer Waffen durch Kreml-feindliche Kämpfer in Russland hat Belgien von der Ukraine eine Erklärung gefordert. „Die Regel ist klar: Waffen, die wir an die Ukraine liefern, sind für defensive Zwecke bestimmt und dafür, ukrainisches Territorium zu (verteidigen)“, sagte der Ministerpräsident Alexander De Croo am Montag dem öffentlich-rechtlichen belgischen Radio. Er forderte die Ukraine auf, „die Situation zu erklären“.
  • Der britische Sender Sky News hat einen angeblichen Waffenvertrag einsehen können, der einen Beweis für iranische Waffenlieferungen an Russland liefern soll. Das 16-seitige Dokument, das eine Quelle aus Sicherheitskreisen dem Sender zuspielte, ist demnach auf den 14. September 2022 datiert. Darin sollen Artillerie- und Panzergeschosse sowie Raketen im Wert von über einer Million Dollar aufgelistet sein.
  • Papst Franziskus treibt seine seit Längerem angekündigte Friedensmission voran. Am Montag und Dienstag werde der italienische Kardinal Matteo Zuppi als Gesandter nach Kiew reisen, teilt der Vatikan mit. Hauptziel sei es, mit den ukrainischen Behörden mögliche Wege hin zu einem Frieden zu erörtern.
  • Russland hat im Mai nach Einschätzung britischer Geheimdienste mehr als 300 Angriffe mit sogenannten Kamikaze-Drohnen gegen Ziele in der Ukraine geflogen. Das sei die bisher „intensivste Nutzung dieser Waffe“ gewesen, teilte das Verteidigungsministerium in London am Montag mit. Russland versuche damit vermutlich, die Ukraine zum Einsatz wertvoller, moderner Flugabwehrraketen zu bringen. Doch betonte das Ministerium: „Es ist unwahrscheinlich, dass Russland besonders erfolgreich war: Die Ukraine hat mindestens 90 Prozent der ankommenden Drohnen neutralisiert, hauptsächlich mit ihren älteren und billigeren Flugabwehrwaffen und mit elektronischen Störsendern.“ 
  • Der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj hat mitgeteilt, dass seit Beginn des russischen Angriffskriegs mindestens 485 Kinder getötet worden seien. Dabei handle es sich ausschließlich um Opfer, deren Daten offiziell erfasst worden seien. In Wirklichkeit liege die Zahl deutlich höher. 
  • Die republikanische Präsidentschaftsbewerberin Nikki Haley hat sich während einer Bürgerfragestunde des US-Senders CNN klar zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine positioniert. Bei der Unterstützung der Ukraine gehe es auch darum, die Freiheit zu verteidigen und der Tyrannei weltweit Einhalt zu gebieten, sagte sie bei dem Auftritt in Des Moines im Bundesstaat Iowa am Sonntagabend. Damit grenzt sich die 51 Jahre alte Republikanerin, die von 2017 bis 2018 US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen war, deutlich von ihrem stärksten parteiinternen Konkurrenten und früheren Chef Donald Trump ab.

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