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Jewgeni Prigoschin, der Eigentümer des Militärunternehmens Wagner Group, blickt aus einem Militärfahrzeug auf einer Straße in Rostow am Don.

© dpa/-

Ukraine-Invasion Tag 488: Das erzählen Insider über die Verhandlungen zwischen dem Kreml und Prigoschin

Russischer Verteidigungsminister besucht offenbar die Front, Verfahren gegen Prigoschin läuft laut Medien weiter, Ukraine eröffnen wohl neuen Frontabschnitt. Der Überblick am Abend.

Wo sich der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin derzeit aufhält, ist unbekannt. Sein Büro ließ am Sonntag verlauten, er habe schlechten Handyempfang, werde aber gerne alle Fragen beantworten, wenn er wieder erreichbar sei. Am Montag meldete er sich auf Telegram schließlich zu Wort. Er habe nicht vorgehabt, mit dem Marsch seiner Soldaten auf Moskau die russische Regierung zu stürzen, betonte er in einer elfminütigen Sprachmitteilung.

Bekannt wurde am Montag zudem, dass die russischen Behörden das Verfahren gegen Prigoschin noch nicht eingestellt haben, wie es wohl vereinbart war. Am Tag zwei nach der Wagner-Meuterei in Russland sind also immer noch viele Fragen offen. Auch, was genau am Samstag hinter den Kulissen des Kreml passierte.

Eine erste Antwort darauf präsentiert das russische Exilmedium „Meduza“ (Quelle hier), deren Journalisten als exzellent vernetzt in Russland gelten. Demnach begannen Beamte im Kreml und in der Militärführung schon am Freitagabend, mit Prigoschin zu verhandeln. Prigoschin forderte demnach die Absetzung des russischen Verteidigungsministers Sergei Schoigu, mehr Geld und mehr Autonomie für seine Truppe. Forderungen, die Präsident Wladimir Putin offensichtlich nicht erfüllen wollte. 

Phase zwei begann demnach am Samstagvormittag. Die Strategie des Kreml war, dass sich Offizielle öffentlich gegen Prigoschin stellen sollten, was unter anderem der Befehlshaber der Luftstreitkräfte und der Vize des Militärgeheimdienstes taten. Den Höhepunkt bildete die Fernsehansprache von Putin, in der der Präsident dem Söldnerchef Rebellion und Hochverrat vorwarf – einen „Dolchstoß in den Rücken“ Russlands. Die Zeichen standen jetzt auf Konfrontation. 

Gegen Mittag soll Prigoschin dann versucht haben, Putin persönlich ans Telefon zu bekommen. Putin wollte ihn aber nicht sprechen. In dem Moment soll dem Wagner-Chef bewusst geworden sein, dass er zu weit gegangen war. Zu diesem Zeitpunkt bewegten sich die Wagner-Söldner auf die erste Defensivlinie der russischen Armee zu, die ihren Vormarsch in Richtung Moskau stoppen sollte. Dumm für Prigoschin: Zu diesem Zeitpunkt waren keine Soldaten der regulären Armee zu ihm übergelaufen. Ein Blutbad drohte.

Putin wollte laut den Informanten von „Meduza“, die unter anderem im Kreml arbeiten sollen, eine Gruppe hochrangiger Beamter für die Verhandlungen. Am Ende waren das sein Stabschef Anton Waino, Nikolai Platonowitsch Patruschew (Leiter des russischen Sicherheitsrates), und der russische Botschafter in Minsk, Boris Gryslow, – die Verhandlungsleitung lag beim weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Der Ausgang ist bekannt: Prigoschin pfiff seine Truppen zurück. Dafür sollten seine Kämpfer und er straffrei bleiben. Eine der offenen Fragen am Montag: Hält Putin das Versprechen seiner Verhandler?

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Erster Auftritt nach Wagner-Aufstand: Prigoschin-Erzfeind Schoigu soll Truppen an der Front besucht haben. Mehr hier.
  • Ukrainer überwinden den Dnipro – und schlagen Russen in die Flucht: Ukrainische Soldaten haben den Fluss bei Cherson überquert und sollen russische Einheiten zum Rückzug gezwungen haben. Das berichten auch russische Quellen. Mehr hier. 
  • Putin zeigt sich zuversichtlich hinsichtlich des Ukrainekriegs: Das Gespräch wurde am Sonntag im russischen Fernsehen in Ausschnitten gezeigt. Der russische Präsident sagte von sich selbst, er werde „alle Pläne und Aufgaben“ erfüllen. Mehr hier.
  • „Krieg kehrt in seinen Heimathafen zurück“: In einem Telefonat berieten der ukrainische Staatschef und US-Präsident Biden über den Söldner-Aufstand in Russland. Auch der bevorstehende Nato-Gipfel war Gesprächsthema. Mehr hier.
  • Die US-Regierung und sogar Kremlchef Putin sollen den Söldneraufstand kommen gesehen haben. In Deutschland wurde man von den Vorfällen in Russland wohl überrascht. Mehr hier.
  • Gegen Jewgeni Prigoschin wird offenbar nach wie vor wegen Volksverhetzung ermittelt, das berichtet die russische Tageszeitung „Kommersant“. Eine Quelle bei der Aufsichtsbehörde erklärte gegenüber dem Blatt, dass die Entscheidung, ein Strafverfahren einzuleiten, noch nicht rückgängig gemacht worden sei und die Ermittlungen wegen der Meuterei fortgesetzt würden. Mehr in unserem Liveblog.
  • Die russische Privatarmee Wagner wird nach dem bewaffneten Aufstand unter ihrem Chef Jewgeni Prigoschin nach Einschätzung von US-Experten weiter zum Einsatz kommen. Die Rückkehr von Wagner-Truppen in ihre Ausbildungslager mit militärischer Ausrüstung deute darauf hin, dass der Kreml zumindest Teile der Gruppe eher aufrechterhalten wolle, als sie aufzulösen, erklärte das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) am Sonntag. Die Zukunft der Kommando- und Organisationsstruktur sei jedoch unklar.
  • Drei Wochen nach der Zerstörung des südukrainischen Kachowka-Staudamms ist der Wasserstand im umkämpften Gebiet Cherson teils wieder normal. Nahe der gleichnamigen Regionshauptstadt Cherson betrug der Stand des Dnipro am Montagvormittag 33 Zentimeter, wie der ukrainische Krisenstab auf Telegram mitteilte. Dies entspräche den dortigen Messwerten vor der Damm-Zerstörung. Zugleich ist der Kachowka-Stausee nach Angaben der ukrainischen Rettungskräfte ausgetrocknet.
  • Noch vor dem Nato-Gipfel Mitte Juli wird es nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Spitzentreffen geben, um den Beitritt Schwedens zur Allianz zu vollenden. Teilnehmen sollen die Außenminister, Geheimdienstchefs und Sicherheitsberater Schwedens und der Türkei, wie Stoltenberg bei einem Besuch in Litauen mitteilt. 
  • Im ostukrainischen Donezker Gebiet hat die ukrainische Armee eigenen Angaben zufolge ein weiteres Dorf von russischen Truppen befreit. „Weiter geht’s“, schrieb Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar am Montag bei Telegram mit Blick auf die Einnahme des Ortes Riwnopil. Bisher sprach Kiew im Rahmen der seit knapp drei Wochen laufenden Gegenoffensive von insgesamt etwa 130 zurückeroberten Quadratkilometern und acht Dörfern. 
  • Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat die dauerhafte Verlegung von 4000 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten in das Nato-Partnerland Litauen angekündigt. „Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren“, sagte Pistorius am Montag in Vilnius. Voraussetzung sei „die entsprechende Infrastruktur“ vor Ort sowie die „Kompatibilität mit den Nato-Plänen“, betonte der Verteidigungsminister.
  • Das Nato-Mitglied Dänemark will seine F-16-Kampfjets zwei Jahre früher als geplant ausrangieren und damit möglicherweise den Weg zu einer Spende der Flugzeuge an die Ukraine ebnen. Die Maschinen der dänischen Luftwaffe sollen nun bereits 2025 statt wie bisher angedacht 2027 ausgemustert werden, wie der dänische Rundfunksender DR am Montag berichtete. Damit rücke auch eine dänische Spende der Kampfflugzeuge an die Ukraine näher, sagte der geschäftsführende Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen dem Sender.
  • Die EU stockt die Finanzmittel für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Ukraine und andere Partnerländer um weitere 3,5 Milliarden Euro auf. Eine entsprechende Entscheidung trafen am Montag die Außenminister der Mitgliedstaaten bei einem Treffen in Luxemburg, wie eine EU-Sprecherin mitteilte.
  • Wie der „Spiegel“ berichtet, bereitet die Bundesregierung eine langfristige Unterstützung der Ukraine mit Artillerie-Munition vor. Demnach legte das Verteidigungsressort dem Haushaltsausschuss des Bundestags Ende vergangener Woche einen entsprechenden Rahmenvertrag mit der Firma Rheinmetall zur Genehmigung vor. Der Vertrag sieht vor, bis 2029 die Lieferung von bis zu 333.000 Schuss 155-Milimeter-Munition zum Auffüllen der eigenen Depots, aber auch zur langfristigen Versorgung der ukrainischen Streitkräfte mit dringend benötigter Haubitzen-Munition vor.
  • Die südukrainische Hafenstadt Odessa ist in der Nacht zum Montag aus der Luft angegriffen worden. In der Stadt seien mehrere Explosionen zu hören gewesen, berichtete die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform. Weitere Angaben wurden nicht gemacht. Kurz zuvor hatte die ukrainische Luftwaffe vor möglichen russischen Angriffen mit von Schiffen im Schwarzen Meer abgeschossenen Marschflugkörpern gewarnt.

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