zum Hauptinhalt
Mitglieder eines ukrainischen Spezialkommandos auf einem der Boyko-Türme

© GUR / Ukrainischer Geheimdienst

Ukraine-Invasion Tag 566: Abenteuerlicher Sturm auf Bohrtürme – mit vielen Nadelstichen zum ukrainischen Erfolg?

Kim Jong-un in Russland eingetroffen, Putin erklärt Friedenslösung eine Absage, Deutschland importiert weiter russisches Öl. Der Überblick am Abend.

Es ist ein kleiner Erfolg, aber er reiht sich in mehrere ähnliche aktuelle Entwicklungen ein: Dem Geheimdienst der Ukraine ist es laut eigener Aussage und Analysen von Experten gelungen, mehrere Erdgas- und Ölplattformen nahe der Krimküste zurückzuerobern.

Die Infrastruktur, auch bekannt als die „Boyko-Türme“, spielten für Russland durchaus eine wichtige Rolle, waren auf ihnen unter anderem auch Radaranlagen installiert. Die überwachten die Gewässer und den Luftraum um die Krim. Russland ist nun also ein Stück blinder geworden, was ukrainische Aktivitäten in der Gegend angeht und damit verwundbarer für Angriffe ukrainischer Wasserdrohnen und Spezialkommandos, die sich in jüngster Zeit gehäuft haben. 

Russland hatte die Plattformen schon 2015 besetzt, kurz nach der Annexion der Krim. Wie häufig begleitet der ukrainische Geheimdienst seine Aktion mit einer Prise Militärfolklore (siehe das Foto der Spezialkräfte auf einer der Plattformen unten). Neben der Eroberung der Radare und Hubschraubermunition wurde mit einer Boden-Luft-Rakete der Angriff eines russischen Kampfjets abgewehrt, wobei einer der Ukrainer über Bord des Schlauchboots ging. Er wurde nach 14 Stunden aus dem Wasser gerettet, das russische Flugzeug drehte angeblich beschädigt ab. 

Die Eroberung der Plattformen ist ein weiterer kleiner Nadelstich im Kampf gegen Russland. Sie reiht sich ein in eine Strategie, Russland an vielen Abschnitten der Front so unter Druck zu setzen, dass Einheiten verteilt werden müssen – und eventuell an anderen Abschnitten fehlen. 

So haben es die Ukrainer inzwischen geschafft, an zahlreichen Stellen des linken, also russisch besetzten, Dniproufers Brückenköpfe zu errichten. Von dort aus könnten die Ukrainer demnächst eine neue Front im Süden eröffnen oder zumindest die russischen Generäle zwingen, wertvolle Einheiten von anderen Frontabschnitten abzuziehen. Ein weiterer dieser Nadelstiche war die teilweise Rückeroberung des Dorfes Opytne am Wochenende. Es liegt nur wenige Kilometer vom strategisch wichtigen Flughafen der besetzten Stadt Donezk entfernt. Auch hier wird Russland zu Truppenbewegungen gezwungen. All das begrenzt das Truppenkontingent, das Russland an den stark umkämpften Abschnitten der Front einsetzen kann.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Auf einem Wirtschaftsforum im Fernen Osten Russlands macht Wladimir Putin deutlich: Er stellt sich auf einen langen Krieg ein. Die Verantwortung dafür gibt er der Ukraine und dem Westen. Mehr hier.
  • Schweden erwägt eine Lieferung von Gripen-Kampfjets an die Ukraine. Die Regierung habe die eigenen Streitkräfte gebeten, die Möglichkeit einer solchen Lieferung zu prüfen, berichtet der öffentlich-rechtliche Rundfunksender SR unter Berufung auf nicht genannte Quellen. Dem SR-Bericht zufolge hofft die Ukraine auf eine Division, die aus 16 bis 18 Flugzeugen besteht. Die Gripen-Kampfjets werden vom schwedischen Rüstungskonzern Saab gefertigt. Mehr in unserem Newsblog.
  • Polen hat eine Verlängerung des Einfuhrverbots für ukrainisches Getreide beschlossen, obwohl eine entsprechende EU-Regelung Ende der Woche ausläuft. Unabhängig von einer weiteren Entscheidung der EU-Kommission „werden wir nicht die Grenze für ukrainisches Getreide öffnen“, erklärte die Regierung in Warschau am Dienstag.
  • Das EU-Parlament will die Rüstungsindustrie mit 300 Millionen Euro ankurbeln. Für das zweieinhalbjährige Anreizprogramm stimmten am Dienstag 530 Abgeordnete in Straßburg gegen 66 Stimmen bei 32 Enthaltungen. Der neuen Verordnung stimmten die einzelnen Mitgliedstaaten bereits zu. Sie soll Lücken schließen helfen, die durch die Lieferung von Waffen und Munition in die Ukraine entstanden sind.
  • Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter hat das anhaltende Zögern der Bundesregierung bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine kritisiert. Im Redaktionsnetzwerk Deutschland sprach Hofreiter von einem immer wiederkehrenden Ritual: „Die Waffensysteme werden monatelang gefordert, der Kanzler zögert und blockiert. Und wenn dann geliefert wird, geschieht es Monate zu spät“, kritisierte er.
  • Die ukrainische Armee macht bei ihrer Gegenoffensive laut eigenen Angaben durchschnittlich 50 bis 200 Meter Geländegewinne am Tag. „Manchmal sind es Kilometer und manchmal gibt es überhaupt keine Bewegung, da wir uns festsetzen und unsere Truppen schützen müssen“, sagte der Sprecher des Frontabschnitts „Taurien“, Olexander Schtupun, gemäß der Nachrichtenagentur Ukrinform in der Nacht zum Dienstag.
  • Zahlen des Statistischen Bundesamtes legen nahe, dass Deutschland über Indien weiterhin große Mengen russisches Öl importiert. Die Einfuhren an Mineralölerzeugnissen aus Indien haben sich in den ersten sieben Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als verzwölffacht, wie die Behörde am Dienstag mitteilte.
  • Zum Schutz gegen ukrainische Drohnenangriffe hat Russland nach britischen Angaben seine Flugabwehr rund um Moskau neu eingestellt. „Seit Anfang September 2023 sind russische SA-22-Luftverteidigungssysteme rund um die Hauptstadt auf erhöhten Türmen und Rampen positioniert“, teilte das Verteidigungsministerium in London am Dienstag in seinem täglichen Geheimdienst-Update mit. Ziel sei eine bessere Verteidigung gegen Drohnenattacken, „denen die Stadt derzeit an den meisten Tagen ausgesetzt ist“. 
  • Die Ukraine hat nach russischen Angaben am Montag die Stadt Enerhodar in der Nähe des Atomkraftwerkes Saporischschja mit Drohnen angegriffen. Sechs Drohnen seien abgefeuert und alle von russischen Truppen zerstört worden, sagt der Chef des staatlichen russischen Atomenergiekonzerns Rosatom, Alexej Lichatschew, der Nachrichtenagentur RIA zufolge am Dienstag. Betroffen gewesen seien unter anderem ein Park sowie ein Gelände, auf dem sich ein Büro der Kremlpartei Geeintes Russland befindet. 
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ruft die Ukrainer auf, sich auch 18 Monate nach Beginn der russischen Invasion voll und ganz auf die Kriegsanstrengungen zu konzentrieren. „Obwohl heute der 565. Tag dieses Krieges ist, muss jeder Einzelne wie in den ersten Tagen auf die Verteidigung des Staates konzentriert sein“, sagt Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false