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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel.

© dpa/Efrem Lukatsky

Ukraine-Invasion Tag 639: Nun soll Selenskyj doch an den Verhandlungstisch

Neue russische Angriffswelle auf Awdijiwka, ukrainische Vizeregierungschefin warnt vor Kriegsmüdigkeit in Europa, Putin begnadigt Kannibalen nach Ukraine-Einsatz. Die Lage am Abend.

Kriegsmüdigkeit im Westen. Das ist wohl, was der Führung in Kiew derzeit die meisten Sorgen macht - und auch machen muss. Die italienische Staatschefin Giorgia Meloni fiel vor einigen Tagen auf zwei russische Comedians bei einem Telefonstreich herein und erklärte, dass sie des Krieges in der Ukraine „müde“ sei und, dass alle Beteiligten bald nach einem „Ausweg“ suchen würden. Nicht auf dem Schlachtfeld freilich, sondern am Verhandlungstisch. 

Der einzige, der sich über den Telefonstreich amüsiert haben wird, ist der russische Präsident Wladimir Putin. Spielt doch genau das ihm in die Hände: Die Front einfrieren, ein paar Monate, vielleicht sogar Jahre, um die Streitkräfte neu aufzubauen – und dann wieder losschlagen. In der Zwischenzeit lassen sich die besetzten Gebiete weiter russifizieren. Nach dem katastrophalen Beginn des Krieges wäre das keine schlechte Zwischenbilanz für den Kremlherrscher. 

Ein unwahrscheinliches Szenario? Eher nicht. Denn wie der seit Kriegsbeginn eng mit dem Geschehen in der Ukraine betraute Reporter der „Bild“-Zeitung Julian Röpcke heute berichtet (Quelle hier), setzen sowohl Washington als auch Berlin nun darauf, Kiew in eine möglichst gute Verhandlungsposition zu bringen. Vom ukrainischen Ziel, die Russen aus dem Land zu vertreiben, ist keine Rede.

Ganz überraschend ist das nicht, haben sowohl Washington und Berlin immer wieder betont, dass die Regierung in Kiew entscheidet, wann die Zeit für Verhandlungen gekommen ist – und dass die Ukraine bis dahin möglichst gut gerüstet sein soll. Kanzler Olaf Scholz sprach zudem nie von einem Sieg Kiews über Russland, sondern immer nur davon, dass Putin den Krieg nicht gewinnen dürfe. Genau dafür reichen die Waffenlieferungen des Westens auch, für mehr aber nicht. Bleibt die Frage, was die Entscheider in Kiew aus dieser Tatsache machen? Die Antwort bisher: weiterkämpfen. 

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Bürgermeister meldet neue russische Angriffswelle auf Awdijiwka: Die zum Großteil zerstörte Stadt liegt an der Front im Osten der Ukraine. Sie ist fast komplett von russischen Truppen umzingelt. Mehr hier.
  • Putin soll Kannibalen begnadigt und in den Ukrainekrieg geschickt haben: Auch Verbrecher kämpfen für Russland in der Ukraine. Unabhängige russische Medien berichten nun über einen besonders spektakulären Fall. Mehr hier.
  • Schon länger ist bekannt, dass Russland die Ukrainer in den besetzten Gebieten dazu drängt, russische Pässe anzunehmen – auch bereits vor der Invasion im Februar 2022. Das Ziel ist klar: Es besteht in der Vergrößerung des eigenen Einflussgebiets nicht allein durch Landnahme, sondern auch durch erzwungene Einbürgerungen. Doch angeblich will Russland nun noch einen Schritt weitergehen. Die ukrainische Zeitung „Kyiv Post“ berichtet über einen Plan, wonach alle Ukrainer aus den besetzten Gebieten herausgebracht werden sollen, sofern sie die russische Staatsbürgerschaft nicht bis zum 1. Januar 2024 angenommen haben. Die Zeitung verweist auf Ivan Fedorov als Quelle. Er ist der ukrainische Bürgermeister der besetzten Stadt Melitopol. Mehr in unserem Newsblog.
  • Finanzielle Hilfen für die Ukraine sind laut Bundesfinanzminister Christian Lindner trotz der aktuellen Haushaltskrise nicht in Gefahr. „Die Unterstützung der Ukraine steht nicht infrage“, sagte der FDP-Chef dem Deutschlandfunk laut Vorabbericht vom Freitag. Die Bundesregierung will die Hilfen für die Ukraine von vier auf acht Milliarden Euro verdoppeln. 
  • Aus russischem Gebiet sind nach Angaben aus Kiew seit dem Sommer mehr als 13.500 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer heimgekehrt. Sie seien nach der Öffnung eines einzigen Grenzübergangs durch Russland durch einen humanitären Korridor in der ostukrainischen Region Sumy zurück ins Land gekommen, teilte das für die besetzten Gebiete zuständige ukrainische Ministerium am Freitag in Kiew mit. Unter ihnen seien 1653 Kinder gewesen.
  • Die Aufenthaltserlaubnisse von Geflüchteten aus der Ukraine sind bis März 2025 verlängert worden. Der Bundesrat stimmte in seiner Sitzung am Freitag in Berlin einer entsprechenden Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums zu. Damit müssen die Betroffenen laut Ministerium keinen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltsstatus stellen und es sind auch keine damit verbundenen Termine bei den Ausländerbehörden notwendig.
  • Die ukrainische Vizeregierungschefin Olha Stefanischyna hat vor einer wachsenden Kriegsmüdigkeit der europäischen Länder gewarnt. An dem Willen der Ukraine, sich gegen den russischen Angriffskrieg zu wehren, habe sich in mehr als 600 Tagen nichts geändert. „Unsere Entschlossenheit ist gleich geblieben“, sagte die für europäische und euro-atlantische Integration zuständige Politikerin am Freitag in Berlin. 
  • Über der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim will Russlands Militär eigenen Angaben zufolge 13 ukrainische Drohnen abgewehrt haben. Drei weitere unbemannte Flugkörper seien in der Nacht zum Freitag über dem südrussischen Gebiet Wolgograd abgeschossen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Freitag mit. Unabhängig überprüfen ließ sich das zunächst nicht. Immer wieder kommt es vor, dass Russland von angeblich erfolgreich abgewehrten Drohnenangriffen spricht, dann aber doch Schäden bekannt werden. 

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