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Putin in Dubai

© AFP/Sergei Savostyanov

Ukraine-Invasion Tag 651: „Putin hat bewiesen, dass er sich nicht unterkriegen lässt“ 

Pistorius räumt Verzögerung bei Waffenlieferungen ein, Ukraine meldet fast 50 russische Drohnenangriffe, Lettland reagiert gelassen auf Drohungen aus Moskau. Der Überblick am Abend.

Aktuell läuft vieles für den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die richtige Richtung. Seine Armee konnte die ukrainische Sommeroffensive ausbremsen, was im Westen zu Verunsicherung führt und der Frage: kann die Ukraine diesen Krieg überhaupt gewinnen? In der Ukraine selbst gibt es eine innenpolitische Debatte, ob die Armee einen ausreichend guten Plan für das Jahr 2024 hat. In Russland stellt niemand mit Einfluss entsprechend kritische Fragen.

Putin hat sich zudem als feste diplomatische Größe im Kreis von Schurkenstaaten wie Nordkorea und Iran etabliert. Ihre Waffenlieferungen, so könnte man böse sagen, sind weniger störanfällig als die aus Berlin und Washington für die Ukraine. In vielen Ländern des Globalen Südens hat Putin mit seiner Kritik an den USA außerdem Sympathien gewonnen. In der Sprache der Politikwissenschaftler könnte man sagen: In Sachen „soft“ und „hard power“ steht Russland nicht so schlecht da, wie es im Februar 2022 zu erwarten gewesen wäre. 

Hinzu kommt: In Moskau scheint die politische und wirtschaftliche Elite inzwischen überzeugt, dass Russland wegen der blutigen Invasion der Ukraine kein Ungemach mehr drohen kann. So berichtet der im Exil lebende, aber in Russland immer noch exzellent vernetzte Journalist und Autor Michail Sygar, dass Putins Regime so „stabil scheine wie nie in den letzten zwei Jahren“. Zu Kriegsbeginn noch hätten viele der Oligarchen den Kollaps des Putin-Regimes gefürchtet, schreibt Sygar (Quelle hier). 

Das liegt laut Sygar vor allem daran, dass sich die Wirtschaft von den westlichen Sanktionen weitgehend unbeeinflusst entwickelt. Zwar fehlen der russischen Wirtschaft Hunderttausende Fachkräfte, was künftig zu enormen Problemen für das Land führen wird. Aktuell aber läuft die Kriegswirtschaft auf Hochtouren und auch der Export von Rohstoffen hat kaum gelitten. Wirtschaftliche Sorgen um die Zukunft macht sich die Mittelschicht offensichtlich nicht, was sich an vollen Restaurants in Moskau und im ganzen Land zeige. Auch einen Immobilienboom gebe es. Die Villen, die die Oligarchen früher an der Côte d’Azur kauften, werden jetzt in Russland gebaut. Statt westlicher Autos gibt es jetzt chinesische. 

Sygars Fazit: „Vor zwanzig Monaten waren die russischen Eliten davon überzeugt, dass der lange Zeit unangreifbare Putin es endgültig übertrieben habe und für seine Fehlkalkulation einen hohen Preis zahlen müsse. Heute scheinen die meisten ihre Meinung geändert zu haben. Für sie hat der russische Präsident bewiesen, dass er sich nicht unterkriegen lässt.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • US-Finanzministerin spricht von „katastrophaler Situation“: Janet Yellen drängt darauf, dass sich Demokraten und Republikaner auf weitere finanzielle Hilfen für die Ukraine einigen. Auch in Kiew sieht man das eigene Schicksal nun in den Händen der USA. Mehr hier.
  • Finnlands Präsident wertet Vorgehen an der Grenze als Erpressungsversuch: Sauli Niinistö wirft Moskau vor, Menschen an die finnische Grenze getrieben zu haben. Aus seiner Sicht hören Russen und ihr Präsident Putin nur auf die Sprache der Macht. Mehr hier. 
  • Kreml-Chef Wladimir Putin ist zu Gesprächen in die Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien aufgebrochen. Festgenommen wird Putin dort trotz des internationalen Haftbefehls gegen ihn wohl nicht. Mehr hier.
  • Russische Trolle haben mit Robert Habeck telefoniert und im Nachgang einen Mitschnitt veröffentlicht. Das Wirtschaftsministerium will seine Sicherheitsvorkehrungen prüfen. Mehr hier.
  • „Das ist russische Einschüchterungspolitik“: Putin hatte die Ausländerrechtsreform des kleinen EU- und Nato-Staates mit bedrohlichen Worten kritisiert. Seinen lettischen Amtskollegen lässt das kalt. Mehr hier. 
  • Russland hat seit Mitte des Jahres offenbar seine Kampf-Drohnenflotte, die größtenteils aus iranischen Schaheds besteht, um ähnliche Drohnen aus eigener Produktion erweitert. Diese sollen mit der Einsatzerfahrung der iranischen Drohnen modifiziert worden sein, berichtet das britische Verteidigungsministerium unter Bezug auf Geheimdienst-Informationen. Demnach wurde im November eine abgeschossene russische Drohne mit ukrainischer Sim-Karte und 4G-Modem sichergestellt. Diese improvisierte Modifizierung soll den Briten zufolge eine Echtzeit-Lenkung mithilfe von Funktürmen ermöglichen, um nicht von Navigation über Satelliten abhängig zu sein. Zudem könnte dahinter der Versuch stecken, die elektronische Kriegsführung der Ukrainer zu umgehen. Mehr in unserem Newsblog.
  • US-Präsident Joe Biden versucht, mit Blick auf die Genehmigung neuer US-Hilfen für die Ukraine Optimismus zu verbreiten. „Wir werden das durchsetzen, wir werden es bekommen“, sagte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) vor Reportern. „Es ist einfach völlig verrückt, die Ukraine nicht zu unterstützen“, so Biden weiter. Sollten die Hilfen wegfallen, gehe das gegen die Interessen der USA und der Welt. „Es ist einfach falsch.“
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich stockender Finanz- und Militärhilfe aus dem Westen zum Trotz siegessicher im Kampf gegen die Invasionstruppen gezeigt. Die Ukraine werde Russland besiegen und einen fairen Frieden „gegen alle Widerstände“ erringen, sagte Selenskyj am Mittwoch. Er verkündete seine Botschaft in einem ungewöhnlichen Video am frühen Morgen, das ihn zeigte, wie er durch Kiew ging, um am Tag der Streitkräfte den gefallenen Soldaten die letzte Ehre zu erweisen. 
  • Der Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, hat bei weiter ausbleibender US-Finanzierung vor einer drohenden Niederlage der Ukraine im Krieg gegen Russland gewarnt. „Natürlich macht es die Fortsetzung der Anstrengungen zur Befreiung (der ukrainischen Gebiete) unmöglich und schafft ein großes Risiko, diesen Krieg zu verlieren“, sagte Jermak in Washington einer Meldung des staatlichen US-Auslandssenders Voice of America vom Mittwoch zufolge. Der Ukrainer forderte den Kongress auf, ein seit Oktober blockiertes Milliardenpaket auf den Weg zu bringen. 
  • Nach Russland hat die Ukraine in der Nacht zum Mittwoch offiziellen Angaben zufolge erneut mit Dutzenden Kampfdrohnen beschossen. Von den insgesamt 48 unbemannten Flugkörpern hätten 41 abgewehrt werden können, teilte die ukrainische Luftwaffe auf Telegram mit. Über mögliche Opfer und Schäden war zunächst nichts bekannt. Bereits am Dienstagabend hatte die Luftwaffe über anfliegende Drohnen berichtet und vor Angriffen insbesondere im südlichen Gebiet Odessa gewarnt. Später wurde gemeldet, dass die Luftverteidigung auch im westukrainischen Chmelnytzkyj aktiv war. 
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird am Mittwoch an einem von Japans Regierungschef Fumio Kishida geleiteten Video-Gipfel der G7-Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Selenskyj werde dem ersten Teil des Treffens zugeschaltet, sagte der japanische Regierungssprecher Hirokazu Matsuno vor Journalisten. Bei dem Gipfel würden „wichtige Themen für die internationale Gemeinschaft, wie die Situation in der Ukraine und die Lage im Nahen Osten“ erörtert, fügte er hinzu. Zu den G7 zählen die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada. 
  • Der Vizevorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte, hat die Bundesregierung zur Ausweitung der Militärhilfe an die Ukraine aufgefordert. „Der Frontverlauf wird sich trotz vieler Verluste voraussichtlich in den Wintermonaten nicht grundlegend ändern. Umso wichtiger bleibt eine langfristige Unterstützung der Ukraine“, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Er forderte zugleich, die ablehnende Haltung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an das von Russland angegriffene Land aufzugeben. 
  • Ukrainische Soldaten, denen die höchste Auszeichnung als „Held der Ukraine“ verliehen worden ist, bekommen künftig vom Staat eine Wohnung geschenkt. Das sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag in seiner abendlichen Videoansprache. „Nicht im Laufe der Jahre, nicht irgendwann später, sondern jetzt.“ Er habe am Dienstag in einer Zeremonie in Kiew die ersten 21 Besitzurkunden an die Soldaten oder - falls sie nach dem Tode ausgezeichnet wurden - an deren Hinterbliebene übergeben.
  • Verteidigungsminister Boris Pistorius hat Verzögerungen bei Waffenlieferungen an die Ukraine eingeräumt und zugleich betont, die Kapazitäten würden so schnell wie möglich hochgefahren. „Wir haben gerade das Problem, das ist bekannt, dass die Rüstungsindustrie in bestimmten Bereichen nicht so schnell liefern kann, wie die Bedarfe da sind“, sagte der SPD-Politiker am Dienstagabend im ZDF-„Heute Journal“.

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