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Russischer Verteidigungswall in der Region Saporischschja

© UTC Planet Scope/Defense Express

Ukraine-Invasion Tag 657: Die eine Sache, die Kiew von den russischen Truppen kopieren muss

Selenskyj in Washington, Blockade an der polnisch-ukrainischen Grenze beendet. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

eines ist jetzt schon klar, das Kriegsjahr 2024 wird sehr anders verlaufen als 2023. Muss es auch, denn noch einmal wird sich die Ukraine eine gescheiterte Großoffensive wie im Sommer nicht leisten können. Einmal aus außenpolitischen Gründen: Im besten Fall wird der Westen seine Lieferungen verstetigen können, aber für eine Massenlieferung an Panzern, Munition und anderem Gerät wie 2023 reichen die Bestände nicht. Auch innenpolitisch könnte es in diesem Fall für den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ungemütlich werden. 

So absurd es klingt: Um militärisch erfolgreich zu sein, müssen die Ukrainer von den Russen lernen und sich deren bisher erfolgreichstes Instrument in diesem Krieg abschauen: die Verteidigungsanlagen. In nur wenigen Monaten hatten russische Ingenieure und Tausende Rekruten diese im Winter 2022 und im Frühjahr 2023 an der gesamten Front errichtet. Sehr zum Ärger des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der auch deshalb seinen Ukraine-Befehlshaber Sergej Surowikin feuerte. Der Kremlherrscher wollte Offensiven sehen. Aus russischer Sicht hätte Putin Surowikin im Nachhinein eher einen Orden verleihen sollen, denn ohne ihn wären die Ukrainer wohl im Sommer bis zur Krim durchgebrochen. 

Auch für die russische Armee dürften ähnlich dichte Verteidigungsanlagen auf ukrainischer Seite unüberwindbar sein. Die Gefahr eines Durchbruchs wäre für Kiew weitgehend gebannt. Und, fast ebenso wichtig: Die Ukraine hätte Zeit, ihre Armee wieder und weiter aufzurüsten, ihre Soldaten weiter zu trainieren. Das ist auch das Szenario, das Washington sich für das kommende Jahr wünscht (siehe Leseempfehlungen unten).

Aber wo soll das hinführen, mag man fragen? Zurückerobert ist mit einer Verteidigungslinie noch kein besetztes Gebiet. Der schlechteste Fall in diesem Szenario wäre aus Kiews Sicht tatsächlich, dass die aktuelle Frontlinie zur neuen Grenze zwischen Russland und der Ukraine wird. Aber Putin ist Putin. Und deshalb ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er seine Armee weiter angreifen lässt und hohe Verluste in Kauf nimmt. Das mag irgendwann ein Möglichkeitsfenster für die Ukraine eröffnen für einen entscheidenden Vorstoß. Vielleicht ist die Hoffnung darauf das Beste, was derzeit zu erwarten ist.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Vier von zehn Deutschen sind gegen einen Beitritt der Ukraine: Auf dem EU-Gipfel am Donnerstag könnte es grünes Licht für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine geben. Eine „Blitzumfrage“ in sechs Mitgliedsländern zeigt aber, dass es Vorbehalte gibt. Mehr hier. 
  • Lkw-Verkehr zwischen Ukraine und Polen rollt wieder: Seit Anfang November blockieren polnische Transportunternehmen einen wichtigen Grenzübergang zur Ukraine. Nun haben polnische Behörden die Protestaktion aufgelöst. Mehr hier. 
  • Durch einen beispiellosen Angriff ist der größte Mobilfunkanbieter der Ukraine lahmgelegt worden. „Am Morgen des 12. Dezembers wurde das Netz von Kyivstar zum Ziel einer starken Hackerattacke, die der Grund für die technischen Störungen ist“, teilte der Konzern am Dienstag beim Kurznachrichtendienst X mit. Die Polizei sei eingeschalten worden. Persönliche Daten sollen nicht in fremde Hände geraten sein, versicherte das Unternehmen. Landesweit fielen Telefon- und Internetverbindungen im Netz des Anbieters aus. Die Unternehmenswebsite war ebenfalls nicht erreichbar. Mehr in unserem Newsblog
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist am Dienstag im US-Kongress in Washington eingetroffen, um sich für eine Fortsetzung der US-Militärhilfen für sein Land einzusetzen. Bei seiner Ankunft in der US-Hauptstadt hatte er am Montag eindringlich vor einem Auslaufen der US-Hilfen gewarnt: Verzögerungen dieser Hilfen seien „wahr gewordene Träume“ für den russischen Staatschef Wladimir Putin.
  • Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat die Ukraine 18 Prozent ihrer Wissenschaftler verloren, das zeigt eine kürzlich veröffentlichten Studie der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne über die das ukrainische Nachrichtenmagazin „Kyiv Independent“ berichtet. Jene 23,5 Prozent der Wissenschaftler, die noch in der Ukraine leben, haben den Zugang zu wichtigen Informationen für ihre Forschung verloren. 20,8 Prozent haben keinen physischen Zugang zu ihrer Einrichtung, heißt es. 
  • Russische Truppen haben nach britischer Einschätzung wegen fehlender Nachtsichtgeräte Probleme bei Kämpfen in der Dunkelheit. Während die ukrainischen Verteidiger von ihren internationalen Partnern mit gutem Material ausgerüstet worden seien, müssten russische Soldaten bei Verwandten und Unterstützern um Geräte bitten, teilte das britische Verteidigungsministerium am Dienstag mit. Es mangele auch an Kameras für Drohnen, die bei Dunkelheit gute Bilder aufnehmen können.
  • Der grüne Europapolitiker Anton Hofreiter hat von der EU im Streit um die Ukraine-Unterstützung mehr Druck auf Ungarns Regierungschef Viktor Orban gefordert. „Ich glaube, dass die Europäer einfach mit deutlich größerer Härte gegen Orban vorgehen müssen“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Dem ungarischen Ministerpräsidenten gehe es mit seiner Veto-Drohung nur darum, „EU-Gelder freizupressen“.
  • Der US-amerikanische Strategieexperte und Direktor „des Critical Threats Project“ Fred Kagan warnt in einem Gastbeitrag für das „Institute for the Study of War“ vor den Folgen einer Kürzung der US-Militärhilfe für die Ukraine. Die Beendigung oder erhebliche Begrenzung der Unterstützung würde es Russland ermöglichen, den Krieg zu gewinnen, schreibt er. „Das wäre eine Katastrophe nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die Nato und die Vereinigten Staaten.“ Die Fähigkeit der ukrainischen Armee, russische Streitkräfte daran zu hindern, groß angelegte mechanisierte Manöverkriege zu führen, hänge weiterhin „unbedingt von der fortgesetzten Bereitstellung westlicher Hilfe ab“. Kagan nennt speziell Luftverteidigung, Artillerie und Panzerabwehrsysteme als existenzielle Anforderungen für die Ukraine.
  • Mit einem Importverbot für russisches Uran wollen die USA den Druck auf die Regierung in Moskau erhöhen. Das Repräsentantenhaus hat einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. „Die Risiken einer anhaltenden Abhängigkeit von Russland für unsere nuklearen Brennstoffe sind einfach zu groß“, erklärt die republikanische Abgeordnete Cathy McMorris Rodgers vor der Abstimmung.

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