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Ukrainische Soldaten an der Front nahe Robotyne.

© REUTERS/Viacheslav Ratynskyi

Ukrainer erreichen wichtige Schützengrabenlinie: „Situation der Russen könnte schlimmer sein als gedacht“

Nach wochenlangem Stillstand kommt die Gegenoffensive der Ukraine im Süden des Landes voran. Vor allem bei Werbowe gibt es laut einem Militärexperten Erfolge.

Die Lage an der südlichen Front in der Region Saporischschja um die Orte Robotyne und Werbowe entwickelt sich offenbar weiter positiv für die ukrainische Armee. Es sei ihr tatsächlich gelungen, die erste von drei russischen Verteidigungslinien nahe Werbowe zu durchdringen, berichtet der Militärhistoriker Emil Kastehelmi auf X, vormals Twitter. Schon in den vergangenen Tagen hatten ukrainische Militärs von einem Durchbruch an dieser Stelle gesprochen. Inzwischen stünden die Ukrainer vor einer der zentralen Schützengrabenlinien der Russen, schreibt Kastehelmi weiter.

Kastehelmi analysiert die russische Invasion in der Ukraine als Teil der finnischen Black Bird Group, die eigenen Angaben nach seit 35 Jahren militärische Spezialoperationen auswertet.

Die russische Hauptverteidigungslinie ist jene Linie, die nach dem mittlerweile bei Präsident Wladimir Putin in Ungnade gefallenen und abgesetzten Oberbefehlshaber Sergei Surowikin benannt ist – und die über 800 Kilometer entlang der von Russland besetzten Gebiete im Südosten der Ukraine verläuft. Sie besteht an einigen Stellen aus drei Verteidigungslinien, die teilweise 20 Kilometer in die Tiefe gehen. In die erste Linie, also die, die jetzt teilweise durchbrochen wurde, haben die Russen dem Vernehmen nach am meisten Zeit und Ressourcen investiert, in die beiden weiteren Verteidigungslinien deutlich weniger.

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Minenfelder, Drachenzähne, Schützengräben

Die verschiedenen Verteidigungslinien der Russen sind Beobachtern zufolge eine Befestigungsanlage, die aus Minenfeldern, den sogenannten Drachenzähnen als Panzersperren, Schützen- und Panzergräben sowie Raketenwerfern und Artillerie besteht, wie etwa die beiden Militärexperten Christian Mölling und András Rász von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) für das ZDF aufschlüsselten.

Die ukrainische Offensive hat in den letzten Wochen an Schwung gewonnen, und wir erwarten, dass dieser noch weiter zunimmt.

Militärhistoriker Emil Kastehelmi

Überdies, schreibt der Militärhistoriker Emil Kastehelmi, hätten ukrainische Militärs ihre russischen Widersacher im Süden von Robotyne überrannt. Vor der Stadt Nowoprokopiwka, die fünf Kilometer südlich von Robotyne liegt, sollen die Ukrainer inzwischen eine weitere große Schützengrabenanlage erobert haben. Den insgesamt wenigen verfügbaren Informationen zufolge sollen sich die Kämpfe nun auf den Abschnitt zwischen Robotyne und dem wenige Kilometer östlich davon gelegenen Dorf Werbowe konzentrieren.

Kastehelmi schätzt, dass die Ukraine sich in den Außenbezirken von Robotyne eine dauerhafte Basis aufgebaut hat. Zugleich betont er, bei den Fortschritten in der Region handele es sich noch nicht um einen Durchbruch des gesamten russischen Verteidigungssystems. Davon wollen Experten vor allem deshalb noch nicht sprechen, weil die Ukraine zwar mit leichter Infanterie die Panzerwälle überwunden habe, jedoch noch kein schweres Gerät in der Gegend sei.

Überrascht von ukrainischem Fortschritt südlich von Robotyne

Experte Kastehelmi äußerte sich überrascht, dass die Ukrainer bereits Positionen südlich von Robotyne erobern konnten. Kiew Truppen seien wahrscheinlich weiter vorgerückt als öffentlich bekannt. „Die Situation der Russen könnte schlimmer sein als gedacht.“ Außerdem hätten Putins Truppen es nicht mehr geschafft, die Ukrainer in diesem Sektor der Front zurückzudrängen.

„Die ukrainische Offensive hat in den letzten Wochen an Schwung gewonnen, und wir erwarten, dass dieser noch weiter zunimmt“, schreibt Kastehelmi.

Andere Frontberichte sprechen ebenfalls von einer schwierigen Lage für Moskau. Nun soll sich Russland laut verschiedenen Medien sogar in Gesprächen mit dem sonst international isolierten Nordkorea um Nachschub an Waffen und Munition bemühen; der Kreml schweigt dazu.

Zuletzt befanden sich die ukrainischen Verteidiger nach Einschätzung des Brigadegenerals Oleksander Tarnawskyj, der Kommandeur im Gebiet Saporischschja ist, im Süden zwischen der ersten und der zweiten Verteidigungslinie der Russen. Das hatte er dem „Observer“, der Sonntagsausgabe der britischen Zeitung „The Guardian“, gesagt. Das deckt sich mit den Analysen von Kastehelmi.

Kommandeur Tarnawskyj zufolge gehen Kiews Kämpfer erfolgreich gegen Moskaus Militär vor. „Im Zentrum der Offensive schließen wir jetzt die Zerstörung der feindlichen Einheiten ab, die den Rückzug der russischen Truppen hinter ihre zweite Verteidigungslinie decken“, zitierte der britische „Guardian“ den General. Moskau sei daher gezwungen, Reserven selbst aus Russland an die brüchigen Frontabschnitte zu verlegen.

Hohe Verluste für Ukraine

Zugleich räumte er ein, dass der geringe Raumgewinn mit hohen Verlusten erkauft worden sei. „Je näher der Sieg rückt, umso härter wird es. Warum? Weil wir leider die stärksten und besten (Soldaten) verlieren“, sagte der Brigadegeneral. Wie viele der ursprünglich für die Offensive ausgebildeten zwölf Brigaden mit geschätzt 60.000 Mann noch kampffähig sind, bleibt dabei unbekannt.

Laut der ukrainischen Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar sind die nächsten Ziele in Richtung der Stadt Tokmak die Orte Nowoprokopiwka und Otscheretuwate, teilte sie am Montag mit. Tokmak liegt allerdings noch rund 20 Kilometer entfernt von den ukrainischen Truppen.

Derweil rückten auch im ostukrainischen Gebiet Donezk die ukrainischen Truppen nach eigener Auskunft vor. Angaben aus dem Kriegsgebiet können jedoch oft nicht direkt unabhängig überprüft werden. Auch weisen Experten immer wieder darauf hin, dass Lagebilder von der Front oft verzögert kämen.

Die Gegenoffensive der Ukraine läuft bereits seit rund drei Monaten. Sie war gerade in der Region Saporischschja lange durch ein riesiges Minenfeld erschwert worden. Die ukrainischen Soldaten wollen letztlich bis an die Küste zur Krim vorstoßen und das eigene Territorium zurückerobern. (Tsp, mit dpa)

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