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© dpa/Ilia Yefimovich

Umstrittene Justizreform in Israel: Rechte und Linke vereint gegen Netanjahu

Der erste Teil der Justizreformen wurde in der Knesset in erster Lesung angenommmen. Eine ungewöhnliche Allianz schlägt Alarm.

Die Gegner der Justizreformen, die die israelische Regierung plant, haben einen ersten Rückschlag einstecken müssen: In der Nacht auf Dienstag passierte ein erster Teil der umstrittenen Maßnahmen die erste von drei Abstimmungen in der Knesset, dem israelischen Parlament. „Heute Abend geht Israel den ersten Schritt auf dem Weg hin zu einem nicht-demokratischen Staat“, hatte Oppositionsführer Yair Lapid zuvor gewarnt.

Am Tag vor der Abstimmung herrschte in Jerusalem Ausnahmezustand: Hunderttausende Menschen demonstrierten dort gegen die Reformen, manche blockierten Straßen, diverse Organisationen riefen zum Streik auf.

Seit Wochen streitet das Land über die geplante Reform der rechten Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Unter anderem sehen die Pläne vor, die Macht des Obersten Gerichts zu beschneiden und der Regierung mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern einzuräumen.

Heute Abend geht Israel den ersten Schritt auf dem Weg hin zu einem nicht-demokratischen Staat.

Oppositionsführer Yair Lapid über den ersten Schritt der Justizreform

Die Gesellschaft ist gespalten, die Stimmung aufgeheizt wie selten. Kritiker befürchten eine Bedrohung, womöglich gar das Ende der israelischen Demokratie. Selbst US-Präsident Joe Biden hat sich vorsichtig kritisch zu den Plänen geäußert.

Kürzlich hatte sich auch Israels Staatspräsident Yitzhak Herzog in die Debatte eingeschaltet. „Wir sind nur noch wenige Momente von einem Zusammenstoß entfernt, vielleicht sogar einem gewalttätigen“, warnte er und rief zu Verständigung auf. Dazu stellte er einen eigenen Reformvorschlag als Grundlage für einen Kompromiss vor.

Die Opposition zeigt sich offen, verlangt von der Regierung allerdings, zuerst den legislativen Prozess zur Verabschiedung ihrer Pläne auf Eis zu legen – was diese ablehnt.

Wir sind nur noch wenige Momente von einem Zusammenstoß entfernt, vielleicht sogar einem gewalttätigen.

Israels Staatspräsident Yitzhak Herzog

Am Dienstag gab Netanjahu sich in einer Videobotschaft gleichwohl gesprächsbereit. „Ich höre diejenigen, die (die Reformen) loben, und ich höre auch diejenigen, die sich Sorgen machen“, sagte er.

„Wenn es unter uns Meinungsverschiedenheiten gibt, ist es möglich und nötig, miteinander zu reden, um zu Einigungen zu kommen oder zumindest die Meinungsverschiedenheiten zwischen uns abzubauen.“ Er rief die Opposition auf, „ohne Vorbedingungen oder Ausreden“ zu verhandeln.

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Oppositionsführer Yair Lapid antwortete auf Twitter: „Bibi“, schrieb er, wobei er den Spitznamen Netanjahus verwendete, „ohne Tricks, stoppe die Gesetzgebung, und es wird einen Dialog geben“.

Netanjahus Interesse an wohlwollenden Richtern

Die erste Tranche der Reformen, über die die Knesset nun abgestimmt hat, sieht unter anderem vor, den Anteil von Politikern in Komitees, die Richter ernennen, zu erhöhen.

Kritiker fürchten, dass die Maßnahme ehrgeizige Juristen dazu bringen könnte, um die Gunst von Politikern zu werben – und dass die Regierung womöglich genau dies beabsichtigen könnte. Schließlich läuft gegen Netanjahu weiterhin ein Verfahren wegen Verdacht auf Betrug, Bestechlichkeit und Untreue – er hat also ein persönliches Interesse an wohlwollenden Richtern.

Die größte Bedrohung für Israel ist gesellschaftliche Spaltung.

Tamir Pardo, Ex-Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad

Die Front, die sich gegen die Reformpläne formiert hat, ist außergewöhnlich in ihrer Breite. Längst nicht nur linke Aktivisten und Oppositionspolitiker zählen dazu, sondern auch führende Köpfe der High-Tech-Branche, Wirtschafts- und Finanzexperten, Rechtswissenschaftler und Kriegsveteranen (eine Gruppe aus Letzteren machte kürzlich Schlagzeilen mit dem Versuch, als Zeichen des Protests einen Panzer zu klauen).

Selbst Vertreter der umstrittenen Siedlungsbewegung, die sich weit rechts auf dem politischen Spektrum verorten, sprechen sich gegen die Pläne aus.

Seit Kurzem wagen sich sogar für gewöhnlich verschwiegene Ex-Geheimdienstchefs vor. Sowohl Tamir Pardo, der frühere Chef des Mossad, als auch Yoram Cohen, einstiger Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, sprechen sich gegen die Reformpläne aus.

„Die größte Bedrohung für Israel ist gesellschaftliche Spaltung“, warnte Pardo in einem Radiointerview und legte Netanjahu, seinem früheren Chef, den Rücktritt nahe: Sofern diesem das Wohlergehen Israels am Herzen liege, sagte er, „ist es das Richtige, heimzugehen und sich um seine persönlichen Angelegenheiten zu kümmern“.

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