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Seit 20 Jahren regiert Erdogan die Türkei.

© Imago/Depo Photos/Abdurrahman Antakyali

Druck auf Opposition, teure Wahlgeschenke: Erdoğan zieht die Wahlen in der Türkei vor – was ist sein Kalkül?

Im Juni sollte die Türkei wählen, doch Präsident Erdoğan verlegt die Wahlen nun um einen Monat vor. Schafft er so die Wiederwahl im Mai?

Die Wahlen würden nicht vorgezogen, sagte Recep Tayyip Erdoğan noch im November: Der Termin für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2023 stehe fest. Jetzt will der türkische Präsident schon am 14. Mai wählen lassen, einen Monat früher als geplant.

Offiziell begründet er das mit den türkischen Schulferien, die im Juni beginnen, und mit der Ernte von Tee und Haselnüssen an der türkischen Schwarzmeerküste.

Der wahre Grund ist politisch: Der neue Termin ist besser für die Wahlchancen des 68-jährigen Erdoğan – und könnte die Opposition auf dem falschen Fuß erwischen.

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Wahltag hat für Erdoğan symbolische Bedeutung

Die türkische Verfassung gibt sowohl dem Präsidenten als auch dem Parlament das Recht, die Wahlen vorzuziehen. Im Parlament ist die nötige Mehrheit dafür allerdings nicht in Sicht, weil die Opposition nicht mitmachen will.

Deshalb will Erdoğan am 10. März offiziell die Neuwahlen ansetzen; damit beginnt dann eine 60-Tage-Frist für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen.

Am ersten Sonntag nach dieser Frist – dem 14. Mai – wird gewählt. Wenn bei der Präsidentschaftswahl eine zweite Runde nötig wird, fällt diese auf den 28. Mai.

45
Prozent der Wähler sind mit Erdoğans Amtsführung zufrieden.

Der 14. Mai hat für Erdoğan symbolische Bedeutung: Im Jahr 1950 errang sein Vorbild, der islamisch-konservative Politiker Adnan Menderes, an diesem Tag bei der Parlamentswahl einen Erdrutschsieg gegen die Säkularisten-Partei CHP, die das Land seit Gründung der Republik 1923 regiert hatte.

Nun wolle er 73 Jahre nach Menderes der CHP erneut eine Abfuhr erteilen, sagte Erdoğan vor wenigen Tagen.

Erdoğan will durch vorgezogene Wahlen Zeit gewinnen

Die Erinnerung an Menderes und die Haselnüsse sind aber nicht die wichtigsten Gründe für die Vorverlegung. Erdoğan will sich mit den Wahlen beeilen, weil seine derzeitige Politik die Staatskasse leert.

Er hat den Mindestlohn und die Beamtengehälter wegen der galoppierenden Inflation kräftig angehoben, den Eintritt in die Frührente erleichtert und plant eine weit reichende Steuer-Amnestie. Gleichzeitig gibt die Zentralbank auf Weisung des Präsidenten Milliardensummen aus, um den Wertverlust der Lira zumindest ein wenig abzubremsen.

Ewig könne dieses System nicht funktionieren, sagte der unabhängige Wirtschaftsexperte Emre Deliveli dem Tagesspiegel. „Aber Erdoğan will bis zu den Wahlen damit durchkommen.“ Ein Zeitgewinn von einem Monat würde dem Präsidenten helfen.

Wenn früher gewählt wird als geplant, erhöht das auch den Druck auf die Opposition. Ein Bündnis aus sechs Parteien will Erdoğan stürzen und im Parlament die Mehrheit erringen. Doch bisher hat sich die Allianz weder auf ein detailliertes Regierungsprogramm noch auf einen Präsidentschaftskandidaten einigen können.

Aussichtsreichster Gegenkandidat: Der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu ist nach einem Urteil der regierungstreuen Justiz von einem Politikverbot bedroht.

© dpa/Khalil Hamra

Erst im Februar soll Erdoğans Herausforderer nominiert werden. Das Sechser-Bündnis lehnt zudem eine Zusammenarbeit mit der Kurdenpartei HDP ab, obwohl diese in den Umfragen auf elf Prozent kommt und der Opposition eine satte Mehrheit im Parlament garantieren könnte.

Nach einer Befragung des Instituts MetroPoll kritisieren viele Wähler, dass die Sechser-Allianz schon jetzt für die Zeit nach einem erhofften Wahlsieg plant, statt einen Präsidentschaftskandidaten zu küren.

Der aussichtsreichste potenzielle Erdoğan-Herausforderer, der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, ist nach einem Urteil der regierungstreuen Justiz von einem Politikverbot bedroht. Auch der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu würde gern Präsident werden, schneidet in den Umfragen aber schlechter ab als İmamoğlu.

Das Zögern der Opposition und Erdoğans teure Wahlgeschenke erhöhen die Siegchancen des Präsidenten. Laut den jüngsten Umfragen legt das Regierungsbündnis aus Erdoğans Partei AKP und der rechtsnationalen MHP derzeit wieder zu.

Rund 45 Prozent der Wähler sind mit Erdoğans Amtsführung als Präsident einverstanden, obwohl die Inflation im vergangenen Jahr zeitweise auf 85 Prozent gestiegen war und mit offiziell 64 Prozent immer noch sehr hoch ist.Vier Monate vor den Wahlen kann Erdoğan zwar nicht fest mit einem neuen Erfolg rechnen – aber seine Gegner auch nicht.

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